# taz.de -- Proteste in Jordanien: Es riecht nach Revolution | |
> Seit zwei Tagen gehen in Jordanien Tausende auf die Straße. „Brot, | |
> Freiheit, Gleichheit“ rufen sie wütend und tanzen gegen den König. | |
Bild: Viele Jordanier fürchten den Winter – die Preise für Heizstoffe stieg… | |
AMMAN taz | Nirgendwo in Jordanien wird die Lücke zwischen Politik und Volk | |
deutlicher als auf der Königin-Alia-Straße. Während die ersten | |
Demonstranten auf den Dakhlieh-Platz strömen, dem Verkehrsknotenpunkt der | |
Hauptstadt Amman, steigen einige hundert Meter weiter Irhal Khareibe und | |
Mohammed Daoudieh in ihre Staatskarossen. | |
Zwei Stunden lang haben der Vordenker der jordanischen Muslimbrüder und der | |
Exminister über das Für und Wider der anstehenden Wahlen sinniert, ohne mit | |
einem Wort die ökonomische Krise zu erwähnen. | |
Am frühen Dienstagabend hatte die Regierung angekündigt, die Subventionen | |
auf Benzin, Kerosin, Diesel und Gas abzuschaffen. Die Entscheidung soll den | |
finanziellen Druck von dem Königreich nehmen, das durch steigende | |
Gaszahlungen an Ägypten und ausbleibende Fördergelder aus Saudi-Arabien in | |
Bedrängnis geraten ist. Der Subventionsschnitt war in Jordanien mit | |
Schrecken erwartet worden, geht er doch zu Lasten der Bevölkerung. Und das | |
kurz vor Winterbeginn. | |
„Ich verdiene 350 Dinare im Monat. Wie soll ich mir noch ein Leben | |
leisten?“, fragt Mu’ed Khauadr aufgebracht. Der 30-jährige Lehrer ist aus | |
dem nördlichen Jerash nach Amman gekommen, als er die ersten Fernsehbilder | |
der Demonstration gesehen hat. Al-Dschasira sendet die Nacht live aus der | |
Hauptstadt, es riecht nach Revolution. Mit seinen knapp 390 Euro Gehalt im | |
Monat muss Khauadr nun bei Gaskartuschen für den Haushalt Preissteigerungen | |
von bis zu 55 Prozent hinnehmen. Diesel- und Kerosinpreise stiegen über | |
Nacht um 33 Prozent, Normalbenzin um 15 Prozent. | |
„Brot, Freiheit, Gleichheit!“ und „Freiheit kommt von Allah, nicht von di… | |
Abdallah“, skandieren die etwa 3.000 Demonstranten in Ammans Stadtmitte. | |
Landesweit gehen in der Nacht zum Mittwoch in mehr als 100 Orten Menschen | |
auf die Straße. Nicht überall bleibt es so friedlich wie in der Hauptstadt. | |
In den südlichen Provinzen Ma’an und Karak brennen Autos. Im Ammaner Vorort | |
Salt versuchen mehrere hundert Menschen zum Haus von Premierminister | |
Abdullah Ensour vorzudringen. Und das soll erst der Anfang sein: Am | |
Mittwoch treten mehrere Berufsgruppen in Streik, Schulen bleiben | |
geschlossen, weitere Proteste sind für die Abendstunden angekündigt. | |
## Spontan auf der Straße | |
„Niemand hat zu den Protesten aufgerufen. Die Menschen sind spontan auf die | |
Straße gegangen – das ist das Besondere“, sagt Politikprofessor Hassan | |
Barari. „Das zeigt, wie gering das Vertrauen in den König ist.“ Abdullah | |
II. verkaufe seinen Reformprozess und die anstehenden Wahlen als Jordaniens | |
Erlösung, aber von 150 Sitzen im Parlament sollen Ende Januar nur 27 über | |
Parteilisten gewählt werden. Der Rest sind Direktkandidaten, die darauf aus | |
sind, die Bedürfnisse ihres Stammes zu sichern. Politische Parteien, | |
palästinensische Jordanier – die Mehrheit der Bevölkerung – und Frauen | |
haben das Nachsehen. | |
Um den Unmut niedrig zu halten, hat das Regime Drohkulissen aufgebaut – | |
ähnlich wie in anderen Krisenstaaten wie Syrien. Im säkularenWesten | |
fürchtet man die Islamisten, während die Ostjordanier den Einfluss der | |
Palästinenser geringhalten wollen. Die Konsequenz ist ein heillos | |
zerstrittenes Parteiensystem, das die Nöte der Bevölkerung aus den Augen | |
verloren hat. „Ich schätze, dass die Muslimbrüder die Mehrheit bekommen | |
würden, gäbe es eine demokratische Wahl“, sagt Barari. | |
Lehrer Khauadr hat sich nicht für die Wahlen registrieren lassen – wie der | |
Rest seiner Familie. „Es werden doch sowieso nur wieder die gleichen Leute | |
gewählt“, sagt der 30-Jährige. Seine Hoffnung liegt auf Jordaniens Straßen, | |
die langsam aus ihrer Trägheit erwachen. Bis spät in die Nacht tanzen die | |
Menschen in Amman ihre Protest-Dabke, einen traditionellen Kreistanz. Der | |
Text ist eingängig: „Ali Baba“, singen sie und meinen damit natürlich den | |
König, „du bestiehlst uns mit deinen 40 Räubern.“ | |
14 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Seidel | |
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