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# taz.de -- Kämpfen gegen die Ems-Ausbaggerung: Die schwimmende Ruine
> Der Hof von Jan Hinrich Sanders bricht zusammen. Schuld seien, so der
> Bauer, die Ausbaggerungen der Ems für die Überführung großer
> Kreuzfahrtschiffe. Und doch zieht er seine Klage zurück.
Bild: Risse in den Wänden Bauer Jan Hinrich Sanders vor auf seinem absackenden…
PAPENBURG taz | Einsturzgefahr. Betreten verboten. Der Lebenstraum des
Landwirts Jan Hinrich Sanders ist eine Ruine. Sein Hof in Stapelmoor
zwischen Papenburg und Leer bricht zusammen. Schuld seien die ewigen
Baggerungen in der Ems, die untere Sandschichten ins „Schwimmen“ bringen,
glaubt er. Deswegen hat der Landwirt aus dem tiefsten Ostfriesland die
Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz verklagt.
Die hat, laut Sanders, durch ihre planende Behörde, die Wasser-und
Schifffahrtsdirektion Nordwest in Aurich (WSD), die Aushöhlungen im Emsbett
genehmigt, um der Papenburger Meyer-Werft die Überführung großer
Kreuzfahrtschiffe durch die Ems zu ermöglichen. Seit 2001 läuft Sanders’
Verfahren. Jetzt hat ihn das Verwaltungsgericht Oldenburg „überzeugt“,
seine Klage zurückzuziehen.
„Das Gericht hat dem Kläger deutlich gemacht, dass es keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg gibt“, sagt ein Sprecher des Gerichts. „Eine
himmelschreiende Ungerechtigkeit“, schimpft der Bauer, „aber das wäre eine
Gutachterschlacht geworden, die ich nicht bezahlen kann.“
## Risse in der Idylle
Direkt an der Ems steht das etwa einen halben Hektar große Gehöft mit heute
gut 25 Hektar Weidefläche umzu. Alter Baumbestand, einige Obstbäume, ein
Garten, ideal für Gemüse- und Kräuteranbau. Hinter Stall und Scheune liegt
ein kleiner Viehauslauf, daneben eine Remise für Geräte und Maschinen.
„Mein Bruder hat den elterlichen Hof geerbt, ich wollte mir hier eine
Existenz aufbauen. Wäre das alles halbwegs in Ordnung, hätte das Anwesen
locker einen Wert von 250.000 Euro“, schätzt Sanders und fügt als echter
Ostfriese hinzu: „Fremde müssten natürlich mehr blechen. Aber sowas
verkauft man nicht, da gründet man ein Leben drauf.“ Aus der
„Lebensgründung“ wurde nichts. Erst fehlte ihm eine Milchquote, die ihm
gestattet, Milchviehwirtschaft zu betreiben. Er suchte sich einen neuen Hof
und vermietete das Haus in Stapelmoor.
Ab 1987 beginnt der Hof am Emsdeich langsam „wegzuschwimmen“. „Wir nennen
das in Ostfriesland Loopsand. Das sind Sandflächen im Grund, die sich noch
bewegen“, erklärt der Bauer. Die historische Bauweise hat das
berücksichtigt. „Aber niemand dachte 1957 beim Bau des Hofes daran, dass
einmal für die Papenburger Meyer-Werft die Ems umgebaut wird und alles hier
ins Rutschen kommt“, sagt Sanders.
Ins Rutschen kam einiges: Der hintere Giebel des Hofes am Deich ist
komplett nach innen eingestürzt. Von der Rückwand des Hauses zur
Vorderkante knickt ein Gefälle von 50 Zentimetern. Der Betonboden der
Scheune ist zerborsten und an manchen Stellen 30 Zentimeter unter das
Fundament gesackt. Durch Risse im Haus schimmert Sonnenschein. Das Klo im
Halbparterre funktioniert schon lange nicht mehr. Das Abwasser müsste
bergauf in die Spülgrube fließen. Die gute Stube gleicht einer schiefen
Skaterbahn. Seit über drei Jahren ist das Haus jetzt unbewohnbar.
„Eigentlich müsste man die ganze Hütte abreißen“, sagt Sanders traurig.
## Ein großer Gegner
Sanders kann seinem Gegner vom Deich vor seinem Haus ins Auge schauen, die
Meyer-Werft liegt vis-à-vis. Seit Meyer zur Überführung seines ersten
großen Kreuzfahrtschiffes, der „Oriana“, nicht durch die schmale Ems an die
Nordsee schippern konnte, ist der Fluss ständig verbreitert, vertieft,
begradigt und aufgestaut worden.
Allein die Kosten für die ständige Freihaltung der Wasserstraße belaufen
sich für den Steuerzahler auf jährlich 20 Millionen Euro. Schon als 1984
mit den Vorarbeiten begonnen wurde, „klärte“ ein Film des Landkreises
Emsland, der Stadt Papenburg und einer ganzen Phalanx von Gutachtern die
Anrainer auf. O-Ton: „Eine bedarfsweise Vertiefung der Ems hat keinerlei
Auswirkungen auf die Schädigung des Ökosystems, ein Stopp der
Ausbaggerungen hingegen fügt dem Menschen als Teil des Systems sehr wohl
Schaden zu.“
Ein Gegengutachten von Bürgerinitiativen listete schon damals katastrophale
Folgen der Vertiefungen auf, die heute größtenteils von keiner Seite in
Frage gestellt werden. „Die Behörden lassen Dutzende von Mitarbeitern mit
meinen Steuergeldern an Gutachten und Analysen arbeiten, die gegen mich
sprechen. Ich muss alles allein machen und selbst zahlen“, sagt Sanders.
Einige Tausend Euro hat ihn der Gerichtsstreit gekostet.
Jetzt ist Schluss. „Mir hat ein Mitarbeiter des Wasser- und
Schifffahrtsamtes aus Emden (WSA) schon 2001 gesagt: ’Sie können uns nicht
beweisen, dass ihr Haus wegen der Emsvertiefung absackt. Das können Sie gar
nicht bezahlen.‘ So isses“, seufzt Sanders, der Gutachter hatte leider
recht. In einem WSA-Gutachten von 2009 werden eine weitere Vertiefung der
Ems und ein zusätzlicher Stau eher kritisch gesehen. Ein Gutachten der
Umweltschützer kommentiert: „Wir befürchten auch weitere Schäden an den
Häusern der Bürger, an Deichen und Böschungen.“
Entlang der Ems stehen mehrere betroffenen Höfe. Anwohner sprechen von
Deichstraßen, die bis zu 60 Zentimetern absacken. Die Schäden bestreiten
die Behörden nicht. Vor Gericht stellen sie aber fest: Nicht die
Emsvertiefungen seien die Ursache, die eigentlichen Ursachen kenne man
nicht. Das kann ein ostfriesischer Bauern nicht schlucken. „Die sind mich
noch nicht los“, droht Sanders. „Sollten die Behörden irgendwann
Deichversackungen zugeben müssen, werde ich sie alle, aber alle verklagen.“
2 Dec 2012
## AUTOREN
Thomas Schumacher
## TAGS
Landwirtschaft
Meyer-Werft
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