# taz.de -- 70. Geburtstag Rosa von Praunheims: „Ich bin ein Menschenfresser�… | |
> Rosa von Praunheim ist die Alice Schwarzer der Homo-Bewegung – und auch | |
> gerade 70 geworden. Ein Gespräch über Streit, Liebe und das Altern. | |
Bild: „Es ist eigentlich Quatsch, an die Zukunft zu denken“. Rosa von Praun… | |
Rosa von Praunheim: Fragen Sie was Intelligentes! | |
sonntaz: Ich versuche es mal mit einem Zitat: „Schönheit nimmt ein | |
schlimmes Ende.“ Sie sind gerade 70 geworden, und trotz aller Lobpreisungen | |
steht da immer auch was von grauen Haaren, Bauchansatz. Wenn Sie Jeanne | |
Moreau wären, würden alle schreiben: Sieht großartig aus für ihr Alter. | |
Ich habe das nicht gelesen! Ich kenne das nicht. Ich kenne nur Leute, die | |
meine Schönheit besingen. Wie toll ich aussehe mit 70. Das nehme ich auch | |
gerne an. | |
Das Klischee geht so: Alle Schwulen sehen gut aus. | |
Nein, es sind nicht alle Schwulen schön. Es gibt vielleicht einen Teil, der | |
gepflegter ist. Aber es gibt Automechaniker, Ärzte, Putzmänner – die ganze | |
Bandbreite, wie bei Heteros. Übrigens wird man auch geliebt, wenn man älter | |
ist. Das kann man als junger Mensch noch nicht begreifen, weil man da so | |
eitel ist. | |
Als Sie jung waren, wurde Ihre Schönheit gepriesen – hat Sie Ihr Aussehen | |
weitergebracht? | |
Ich selbst habe das nicht so gemerkt. Ich war eher unsicher, und das ist ja | |
oft so, dass Leute, von denen man sagt, dass sie gut aussehen, total | |
unsicher sind und immer wieder Bestätigung brauchen. Ich wünschte, ich | |
hätte mehr Selbstbewusstsein gehabt, mir meine Partner auszusuchen. Mich | |
musste man immer erobern, ich bin immer weggerannt wie ein kleines Mädchen, | |
kichernd, und er dann hinterher. | |
Ihr Selbstbild … | |
… war nicht so positiv, nein. Bestätigung habe ich immer über den Beruf | |
bekommen – und je älter ich wurde, desto mehr Selbstbewusstsein habe ich | |
bekommen. Ich würde sagen, jetzt habe ich am meisten Selbstbewusstsein. Ich | |
merke auch, dass das Menschen anzieht. | |
Ab wann wurde es besser? | |
Kommt ja darauf an, was man will. Wenn man mit 60 denkt, man ist 20, dann | |
ist das schwierig – obwohl, kann auch lustig sein. Man muss einfach alle | |
Schrullen blühen lassen. Wenn man kein Geld hat, krank ist, dann ist es | |
schwierig. Dann ist man isoliert. Aber eigentlich ist das heute besser. | |
Früher hieß es, alte Schwule haben nichts zu lachen, das war das Klischee, | |
alt und einsam. Das hat sich sehr geändert. Ich zum Beispiel habe sehr | |
gerne Kontakt zu Gleichaltrigen – und ich kenne 85-Jährige, die total | |
promisk und verrückt sind. | |
Ihre Ängste von früher haben sich also nicht bestätigt. | |
Wenn man jung ist, denkt man nicht ans Alter. Wenn ich 80 oder 90 werde, | |
vielleicht bin ich dann nicht mehr mobil. Aber soll ich jetzt schon daran | |
denken? Man lebt doch in der Gegenwart. | |
Und doch sind Sie jetzt schon 70, haben sehr viel Erfahrung – sind Sie ein | |
guter Ratgeber? | |
Ich empfinde mich nicht als älter. Ich empfinde mich als viel jünger als | |
Sie! Ich fühle mich immer noch wie sieben. Ich habe meine Stofftiere, | |
erzähle denen Geschichten. Ich mache Kinderzeichnungen, lustige | |
Geschichten. Ich habe ein kindliches Gemüt. Mein Freund ist 37 und der ist | |
viel erwachsener als ich. | |
Ich frage trotzdem mal: Soll man mit 40 lieber in eine Psychoanalyse | |
investieren oder in eine Eigentumswohnung? | |
Ich glaube, das kommt darauf an, wie man sich beruflich wohl fühlt. Ich | |
hatte immer das Glück, so arbeiten zu können, wie ich es wollte. Das habe | |
ich auch bei Lotti Huber gesehen, die hat im hohen Alter noch große Erfolge | |
als Alleinunterhalterin gehabt. Es geht darum, dass sich andere Menschen | |
noch für einen interessieren. Aber gilt das nicht auch für 20-Jährige, die | |
nicht wissen, was sie machen wollen? | |
20-Jährige finden Sie ganz toll. Ihre Generationsgenossen haben Sie nicht | |
ganz so lieb. | |
Ich habe ja alles getan, um mir Feinde zu machen. In den Sechzigern, da gab | |
es so wenige mutige Schwule, die für ihre Rechte eingetreten sind. Dann | |
wurde das entkriminalisiert. | |
1969 wurde der Paragraf 175 – damals noch in der Nazi-Fassung – entschärft… | |
Ja. Und dann war ich sauer, weil ich niemanden fand, der meine Interessen | |
teilte. Du konntest ja keine schwulen Künstler treffen, keine schwulen | |
Studenten, keine Kulturinteressierten. Das war ja ein reiner Zufall – du | |
konntest in den Lokalen Teppichreiniger oder Dekorateure vom KaDeWe | |
treffen. Das war dann die Szene, die öffentlicher und mutiger war. Da kam | |
man dann in ein Schlafzimmer von jemandem, der nur Peter Kraus hörte. Die | |
Leute früher flüchteten sich in Illustriertenträume, Mode – sie hatten | |
Angst, offen aufzutreten. Das hat mich wütend gemacht | |
Und dann drehten Sie Anfang der Siebziger „Nicht der Homosexuelle ist | |
pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. | |
Da waren die Leute aus der Szene wütend, nur ein paar linke Studenten haben | |
das damals verstanden. Es wurden dann überall Schwulengruppen gegründet. | |
Und dann, in den Achtzigern, kam Aids. Ich kannte das schon, das Sterben, | |
weil ich in den USA gelebt hatte. Ich habe mich dann sehr offensiv für | |
Safer Sex eingesetzt. Und da gab es Ärger, auch mit den Aids-Hilfen, die | |
sich anfangs nur um die bereits Infizierten kümmern wollten. | |
Sie erwähnten eben die Schaufensterdekorateure. Ist es nicht ein | |
Fortschritt, dass Schwule jetzt auch spießig sein dürfen? | |
Ich habe überhaupt nichts dagegen. Aber damals war es für unser Anliegen | |
eben wichtig, dass es auch unangepasste, mutige Menschen gab. Dafür haben | |
wir ja gekämpft, dass die Leute offen schwul sind, auf die Straße gehen. | |
Dass sie sich zeigen. Alles, was ein Geheimnis ist, weckt bei den anderen | |
ein Unbehagen. | |
Die „Homo-Ehe“ fanden Sie nicht so toll, oder? | |
Ich habe damals in meinem Film gesagt, dass ich das schrecklich fände. Ich | |
hatte prophezeit: Irgendwann wird es so kommen, dass die Schwulen auch | |
heiraten wollen! Dass sie das einfach nachmachen, sich anpassen. Inzwischen | |
denke ich anders: Ja, wir haben wie alle anderen auch das Recht, spießig zu | |
sein, die gleichen Fehler zu machen wie alle anderen auch. Religiös zu | |
sein, obwohl die Religion Schwule unterdrückt. Das ist eben Freiheit, das | |
kann man niemandem verbieten. Meine Generation hat sich gewünscht, dass | |
sich die Gesellschaft ein bisschen verändert – und das hat sie ja auch. | |
Frauen sind heute emanzipierter. Als Schwuler kannst du mit deinem Freund | |
eine Wohnung mieten. | |
Sogar die Hetero-Männer haben sich emanzipiert. Sie sind zum Beispiel jetzt | |
auch Sexualobjekte. | |
Ich glaube, die Frauen sehen das nicht so. Die Industrie, die | |
Modeindustrie, die stellt jetzt Männer als Objekte dar, klar. Aber Frauen | |
sind nicht so doof. Die interessieren sich für Inhalte – ist der charmant, | |
passt der zu mir? Die gucken nicht auf die Hose, ob der Schwanz groß ist. | |
Das beängstigt dann eher. Bei Männern spielt Ästhetik eine größere Rolle, | |
das ist kulturell so gewachsen. Männer haben einen primitiveren Geschmack, | |
egal ob schwul oder hetero. | |
Aber warum ist dann ein Penis in der Öffentlichkeit noch immer ein Problem? | |
In Wien wurden unlängst Plakate überklebt, auf denen solche zu sehen waren. | |
Die religiösen Vorstellungen spielen eben immer noch eine große Rolle. Man | |
sieht es im Islam, in Osteuropa, in den USA – Romney wäre ja fast Präsident | |
geworden. Der Rückschritt ist beängstigend. | |
Der Fortschritt ist eine Schnecke – oder handelt es sich um einen Rollback? | |
Ich glaube, dass das immer wechselt. Es gab immer progressive Zeiten und | |
dann einen Rückschritt. Es gab die Zwanziger, und dann kamen Hitler und | |
Stalin. | |
Viele hoffen gerade auf die neuen Zwanziger, auf eine ganz neue Kultur. | |
Da müssen die noch sehr lange warten. Da brauchen wir erst noch einen | |
Weltkrieg. Die soziale Not hat damit viel zu tun. Italien, Griechenland, | |
Spanien - wird sich diese Not auch kulturell widerspiegeln? | |
Wie schätzen Sie das denn ein? | |
Noch bewegt sich da nichts. Das war meine Hoffnung damals bei Reagan, da | |
dachten wir: Jetzt gibt es eine Gegenströmung. Die kam aber erst mal nicht. | |
Sie klingen entspannt. Haben Sie mit 70 weniger Angst – oder mehr? | |
Bei mir ist es weniger geworden. Lohnt sich gar nicht mehr, Ängste zu | |
haben. Als Künstler musste ich mir immer die Frage stellen: Werden deine | |
Filme noch Erfolg haben? Ich habe ja nichts anderes gelernt. Wovon werde | |
ich leben können? Diese Ängste sind ja gerade in unserer Zeit berechtigt. | |
Aber wenn man älter wird, dann wird man eben souveräner. Man hat schon | |
viele Krisen mitgemacht – und freut sich einfach an jedem Tag, den man | |
erlebt. Es ist eigentlich Quatsch, an die Zukunft zu denken. | |
Aber wenn man eine Familie hat, Verantwortung trägt? | |
Ich habe ja auch eine Familie. Ich lebe hier mit meinem Exfreund, seit 36 | |
Jahren, und mit meinem jungen Freund, seit fünf Jahren. Wir haben | |
Mitarbeiter, die schon sehr lange für uns arbeiten, und natürlich enge | |
Freunde. | |
Was ist aus Ihrer Sicht eine „feste Partnerschaft“? | |
Da gibt’s auch wieder keine Klischees. Bei der heterosexuellen Ehe mit | |
Kindern, da wird ja so viel vorgeschrieben, Monogamie zum Beispiel. Das | |
müssen wir ja nicht machen. Es gibt viele Formen des Zusammenlebens. | |
Tragisch wird es ja nur, wenn man sich nicht mehr wohl fühlt und es nicht | |
schafft, sich zu trennen. Ich finde, dass auch das Alleineleben sehr schön | |
sein kann – da kann man seine Freiheit genießen. Ich fand das immer | |
wunderbar. | |
Haben Sie mal zwei Lieben unter einen Hut bekommen? | |
Zwei gleichzeitig intensiv? Kenne ich nicht. Ich hatte Partnerschaften, die | |
zu Ende gingen, und dann kamen neue. Dann gab es promiske Phasen, ganz ohne | |
Verbindlichkeiten, auch ein schönes Modell. | |
Ihre Definition von Liebe? | |
Ich habe eine Philosophie: Wenn ich jemanden liebe, dann unabhängig davon, | |
wie der mich behandelt, ob der mich mag oder bösartig wird. Ich habe den im | |
Herzen, für immer. Damit bin ich immer großartig gefahren – die anderen | |
geben dann ihren Widerstand irgendwann auf. Ich weiß aber auch, dass sich | |
viele an mir abarbeiten müssen, weil ich eine starke Persönlichkeit bin. | |
Aus christlicher Sicht ist die Liebe ein „Geschenk“. | |
Ich finde es ja eher ein Geschenk, wenn Menschen mich lieben. Ich habe ja | |
ein starkes Interesse an Menschen. Ich bin ein Menschenfresser. | |
Nie übersättigt gewesen? | |
Nein, ich habe gerade siebzig Filmporträts von siebzig Menschen gemacht. | |
Die sind alle interessant, alle anders. | |
9 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Martin Reichert | |
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Paragraf 175 | |
Rosa von Praunheim | |
Dokumentarfilm | |
Rosa von Praunheim | |
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