# taz.de -- Trainer von Hertha BSC Berlin: „Faulheit passt nicht zu mir“ | |
> Viel Disziplin und Perfektion im Spiel: So will Trainer Jos Luhukay | |
> Hertha BSC Berlin wieder in die 1. Bundesliga führen. | |
Bild: Akribischer Antreiber: Jos Luhukay im Heimspiel gegen St. Pauli | |
taz: Herr Luhukay, Sie können sorgenfreie Weihnachten feiern. | |
Jos Luhukay: Ja, wir sind punktemäßig voll im Soll. Die Probleme, die aus | |
dem Abstieg erwachsen sind, haben wir recht schnell in den Griff bekommen. | |
Wir sind als Team zusammengewachsen und nun über Monate hinweg sehr stabil. | |
Wir haben die meisten Tore in der Liga erzielt, nach Braunschweig die | |
wenigsten Gegentore kassiert. | |
Sie gelten als akribischer Arbeiter. Waren Sie als Spieler auch schon so | |
diszipliniert? | |
Das war bei mir als Spieler auch schon so. Und wenn man selbst Trainer ist, | |
übernimmt man das. Ich habe ganz klein angefangen, habe erst Kinder und | |
Jugendliche trainiert, dann im Amateurbereich, später war ich Assistenz- | |
und in den letzten Jahren dann Cheftrainer. Ich habe von unten nach oben | |
einen langen Weg durchlaufen. So lernt man Geduld, man lernt, dass man | |
Vorbild ist. Auf diesem Weg musste ich eine klare Linie vorgeben. | |
Geradlinigkeit, Konsequenz und eine deutliche Ansprache sind mir wichtig, | |
das kommt bei den Spielern, glaube ich, gut an. Aber natürlich will ich | |
auch vermitteln, dass es ein Für- und Miteinander ist. Ob ich nun die | |
Kinder oder einen Profiklub trainiere, in dieser Hinsicht habe ich mich | |
nicht verändert. | |
Sie waren Co-Trainer von Huub Stevens, Marcel Koller und Jupp Heynckes, | |
haben Sie von denen diesbezüglich viel gelernt? | |
Ja, auch von Friedhelm Funkel. Natürlich nimmt man von diesen Trainern | |
einiges mit. Nichtsdestotrotz muss man sich selbst als Trainer entwickeln. | |
Entscheidend ist für mich, dass man sich nicht zu sehr leiten lässt durch | |
einen einzelnen Sieg oder eine Niederlage, sondern dass man einen | |
langfristigen Plan hat. Mich reizt es, eine Entwicklung und einen Prozess | |
in Gang zu bringen. Deshalb war es auch für mich die richtige | |
Herausforderung, zur Hertha zu kommen und in die Zweite Liga zurückzugehen. | |
Wir haben hier große Ambitionen. Wir wollen Hertha nicht nur in die Erste | |
Liga zurückbringen, sondern auch danach für Stabilität und Kontinuität | |
sorgen. In den letzten Jahren ist aus Gründen, die ich nicht beurteilen | |
möchte und kann, einiges schiefgelaufen. | |
Das Disziplinierte, Geradlinige: Zeichnet das auch den Privatmenschen | |
Luhukay aus? | |
Das sind schon die eigenen Wurzeln, die Werte und Einstellungen, die ich | |
entwickelt habe. Mich hat man früher als Trainer nie motivieren oder | |
antreiben müssen, man musste mich eher bremsen. Aber das ist ja nichts | |
Negatives, denke ich. Ich mag das tagtägliche Arbeiten mit der Mannschaft – | |
und die Krönung am Wochenende, das nächste Spiel. | |
Wie viele Stunden beschäftigen Sie sich am Tag mit Fußball? | |
Ich denke eigentlich fast jede Minute an Fußball. Fußball ist mein Leben. | |
Auch wenn wir morgen einen freien Tag haben, werde ich nicht abschalten | |
können. Der Fußball ist immer im Hinterkopf. Man denkt an das nächste | |
Spiel. | |
Sie werden im kommenden Jahr 50. Hat sich die stoische Ruhe, die Sie | |
ausstrahlen, erst im Laufe der Zeit mit der Routine entwickelt? | |
Ich glaube, ich bin immer so gewesen. Aber ich weiß auch, wie es im Fußball | |
ist: Wenn man dann mal nicht erfolgreich ist, heißt es, der Trainer sei zu | |
ruhig. In der Erfolgssituation werden gewisse Charaktereigenschaften anders | |
dargestellt. Wichtig ist, dass man sich als Person treu bleibt. Mir ist | |
auch im persönlichen Umfeld – Familie, Freunde – Kontinuität wichtig. Dass | |
mich immer noch die gleichen Menschen seit vielen Jahren umgeben, spricht | |
dafür. | |
Gibt es Situationen, in denen ein stets ruhiger, sachlicher Trainer für ein | |
Team auch schädlich sein kann? | |
Also dass ich immer nur ruhig und gelassen bin, dieser Eindruck ist | |
vielleicht auch falsch. Man muss als Trainer entscheiden, wann man für | |
etwas steht. Wenn etwas negativ läuft, muss man in der Ansprache auch | |
deutlich sein. Mein Antrieb ist es, den Fußball ein Stück perfekter zu | |
machen – weil oder obwohl ich weiß, dass er nie perfekt sein wird. Mir ist | |
die Arbeit auf dem Trainingsplatz wichtig, dass dort Qualität, | |
Konzentration und Wille da ist, um stärker oder besser zu werden. Und dass | |
man nicht mit dem zufrieden ist, was man hat. In der Zweiten Liga muss man | |
sich Siege manchmal hart und dreckig erarbeiten, das macht das Team in den | |
vergangenen Monaten hervorragend. Für einen Großteil der Mannschaft waren | |
nach dem Abstieg diese Erfolgserlebnisse wichtig, um wieder Freude an ihrem | |
Beruf zu haben. | |
Wenn das Umfeld mal unruhiger wird, wie reagiert der Trainer Luhukay dann? | |
Ich wünsche mir, dass das hier nicht eintritt. Auch in Bezug auf die | |
Medienlandschaft gilt aber: Es ist wichtig, dass man den Weg, den man | |
einschlägt, geradlinig verfolgt und sich nicht verrückt machen lässt. | |
Schaffen Sie es denn immer, diese öffentliche Aufmerksamkeit auszublenden? | |
Wichtig ist, dass man als Mensch relativieren kann im Hinblick auf die | |
hektische und erfolgsorientierte Gesellschaft, deren Teil der Fußball ist. | |
Zwischen Sieg und Niederlage ist in den Medien entweder alles gut oder | |
alles schlecht. Als Trainer muss man sich etwa auch im Erfolgsfall fragen: | |
Ist wirklich alles gut gewesen? | |
Da halten Sie es wie der FC Barcelona: Wie erfolgreich die auch waren und | |
sind, sie haben immer weiter auf die Defizite geschaut. | |
Das ist meine Aufgabe. Zwischen Erfolg und Misserfolg liegt manchmal gar | |
nicht so viel, man muss nur wissen, wo man ansetzen muss, um das wieder | |
hinzubiegen. | |
Haben Sie sich – als sehr erfolgreicher Erst- und Zweitligatrainer – auch | |
manchmal unterschätzt gefühlt von der Öffentlichkeit? | |
Nein, das nicht. Die letzten drei Jahre waren für mich eine absolute | |
Erfolgsgeschichte, in dieser Zeit habe ich genug Anerkennung bekommen. | |
Eigentlich weiß jetzt jeder, dass ich bisher als Trainer gute Arbeit | |
geliefert habe. Wichtig war mir, dass ich schnell Abstand zu den alten | |
Trainerstationen bekomme. Hier in Berlin öffnet sich wieder ein neues Buch, | |
das hoffentlich von Erfolg gekrönt sein wird. | |
Haben Sie hier auf lange Sicht mehr Potenzial gesehen als in Augsburg? | |
Langfristigkeit ist schwierig im Fußball. Man weiß als Trainer nie, wie | |
lange man bei einem Verein bleiben wird, dazu zählt zu sehr der | |
kurzfristige Erfolg. Ich hoffe, dass wir hier noch gemeinsam viel Freude am | |
Team haben werden, das ist meine Motivation. In Augsburg haben wir mit | |
geringeren Mitteln den Erstligaverbleib ermöglicht. Hier will ich | |
langfristig mit etwas mehr Mitteln entsprechend mehr erreichen. | |
Aber den Verein drückt ein Schuldenberg. | |
Auch wenn die wirtschaftliche Situation zurzeit nicht so gut ist, ist | |
Berlin als Stadt, als fußballerisches Umfeld mit dem Fanpotenzial ein | |
großer Anreiz für Spieler, die in Zukunft zur Hertha kommen möchten. Und | |
wir müssen uns so viel Anerkennung und Respekt verschaffen, dass Spieler | |
sich auch aus sportlichen Gründen für die Hertha entscheiden. | |
Bevor Sie kamen, hatten die Spieler innerhalb eines Jahres mit drei | |
verschiedenen Trainern und Spielsystemen zu tun. Waren diese Brüche für Sie | |
noch spürbar? | |
Drei verschiedene Spielphilosophien in kurzer Zeit zu verinnerlichen, ist | |
schwierig. Aber ich habe nicht nach hinten geschaut, sondern mit den | |
Spielern nur darüber gesprochen, was wir vorhaben: offensiven, schnellen, | |
aggressiven Fußball zu spielen, mit frühem Pressing. | |
Sehen Sie sich als Systemtrainer? Trainieren Sie Systeme ein, in denen | |
möglichst jeder ersetzbar ist? | |
Ein System ist nur eine Absicherung. Die taktischen Anweisungen im | |
Defensiv- und Offensivverhalten und die Art und Weise, wie sie in den | |
einzelnen Mannschaftsteilen befolgt werden, sind entscheidend. Ob man dann | |
4-4-2 oder 4-3-3 spielt, ist nicht so wichtig. | |
Ein Spieler schien in den vergangenen Wochen schwer ersetzbar. | |
Sie meinen Ronny. Ja, der war zuletzt in hervorragender Verfassung, so | |
konstant war er noch nie. Wenn ich an das Tor gegen Köln denke, kriege ich | |
jetzt noch eine Gänsehaut. Oder auch die Ballannahme vor dem Tor in | |
Cottbus: So was kann ich genießen, so eine Szene schaue ich mir gerne noch | |
fünf, sechs Mal an. Und alle fragen sich, was Sie mit dem gemacht haben. | |
Ronny galt lange als Faulpelz. | |
Ich habe ihm keine Medizin gegeben. Zwischen ihm und mir ist eine große | |
Akzeptanz und großer Respekt. Er fühlt sich wohl derzeit, und das merkt man | |
an seinem Spiel. | |
Wie sehr berührt es Sie, wenn Sie unangenehme Personalentscheidungen | |
treffen müssen? | |
Schön ist das nie. Am liebsten würde man immer noch mehr Spieler als elf | |
aufstellen. Man weiß, dass die Jungs auf der Bank oder Tribüne unzufrieden | |
sind. Aber ich versuche, auch die an den Kollektivgeist zu erinnern, da | |
muss sich das Individuum unterordnen können. Diese Entscheidungen muss ich | |
nun mal treffen. | |
Wann ist denn der Punkt erreicht, ab dem Sie Strenge walten lassen? | |
Ich versuche den Blick auf das Wesentliche zu richten. Wenn jemandem die | |
Bereitschaft, an sich zu arbeiten, fehlt, dann bekommt er das von mir zu | |
hören. Auf alles, was den Erfolg gefährdet, habe ich ein Auge. | |
Sind Sie privat auch so streng mit sich oder gönnen Sie sich Faulenzen auf | |
dem Sofa? | |
Faulheit, das Wort passt nicht zu mir. Auch in der Familie, als meine | |
beiden Kinder noch kleiner waren, war ich da, um zu unterstützen und zu | |
helfen. Ich bin ein Familienmensch, auch dort spüre ich Verantwortung. Ich | |
bin seit 30 Jahren mit meiner Frau zusammen, und ich hoffe, dass das auch | |
die nächsten 30 Jahre so bleibt. | |
Ist Ihre Freizeit dann vielleicht doch mal fußballfrei? | |
Ich genieße diese Zeit mit Familie und Freunden sehr. Aber man spricht | |
schon auch über Taktik und über Fußball. | |
14 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
Jens Uthoff | |
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