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# taz.de -- Ausstellung zu Friedensreich Hundertwasser: Die Linien des Lebens
> Bremens Kunsthalle zeigt Friedensreich Hundertwassers aus der Zeit
> gefallene Kunst - aus jener Schaffensphase, als sie noch nicht zur
> Routine verkommen und der Künstler keine Marke war.
Bild: Antimodern und doch gegenwärtig: Hundertwassers "Pissender Knabe mit Wol…
BREMEN taz | Einen harten Schnitt gibt’s, eine Trennungslinie, und die wird
markiert durch das Jahr 1970. In ihrer Hundertwasser-Ausstellung zeigt die
Bremer Kunsthalle kein Werk, das nach 1970 entstanden wäre. Und zwar mit
gutem Grund: Denn 1970 beginnt sozusagen das von Hundertwasser, was alle
kennen, was ihn zum Liebling der Kinder und Massen gemacht hat und zur
Schreckensfigur der Kunsthistoriker und des Feuilletons.
Bis dahin aber hat Christoph Grunenberg, Direktor der Kunsthalle seit einem
Jahr, das Oeuvre von Friedensreich Hundertwasser fast schon
stumpf-chronologisch geordnet für seine erste große Ausstellung in Bremen.
Die ist eine ziemlich mutige Stellungnahme. Auch, weil sie die oft verpönte
biografische Ordnung als einziges Kriterium anerkennt und dabei auf so gut
wie jede Kontextualisierungen verzichtet: Sie zeigt Hundertwasser,
Hundertwasser an sich und Hundertwasser für sich – und wenn ab und zu eine
andere Größe der Kunstszene wie Arnulf Rainer oder Bazon Brock mit aufs
dokumentarische Bild gerutscht ist, dann liegt das nur daran, dass man die
Kollaborateure schlecht rausretuschieren hätte können.
Eine kuratorische Herangehensweise, die wirkt, als sei sie aus der Zeit
gefallen. Und die genau deshalb ideal zum Gegenstand passt. Denn der am 15.
Dezember 1928 als Friedrich Stowasser in Wien geborene Künstler verfolgte
ein radikal-individualistisches Konzept. Und: Sein Werk ist nicht durch die
Biografie verstellt, sondern – durchs Werk, also dessen späte Phase, mit
der Hundertwasser sich durch eine stark repetitive und somit ins
Kunsthandwerkliche tendierende Produktion zur – nicht zuletzt im Kalender-
und Postersegment erfolgreichen – Marke Hundertwasser umgestaltet.
In Bremen ist nun den frühen und frühesten Arbeiten zu begegnen. Es sind
sogar Bilder dabei, die vom penibel seine Arbeiten ordnenden Maler im
Werkkatalog mit JW als „Jugendwerk“ stigmatisiert, also halbwegs
aussortiert wurden: „Kaffeemühle auf Fleckerlteppich“ ist eines, ein
Stillleben von 1949.
Spannend daran ist, wie der junge Künstler hier bereits an Formen
herumprobiert, die später seine Bildsprache prägen werden. Da sind die
spiraloid strukturierten Zitronen im Bildvordergrund, da sind die Linien
des Läufers, da ist die bildimmanente Dialektik von Kreisform und Kästchen
im Objekt der Kaffeemühle.
Spirale, organische Linien, Architektur – und eine aus biologischen
Pigmenten selbstproduzierte Farbgebung, das sind die Faktoren, die das
Experimentierfeld Hundertwassers bestimmen. Er probiert die gestische
Sprache des Informel, befragt, nach Paris gezogen, malerisch die
Architektur Le Corbusiers und die waben- oder zellenförmige maghrebinische
Bauweise: All dies wird damals durchdacht, in Frage gestellt, gedanklich
bewegt – bis eine persönliche Lösung gefunden ist: Die der freihändigen,
pulsierenden aber nie sonderlich expressiven, nie wilden Linie von
strahlender Farbigkeit – und der Spiralform als ihrer zeichnerisch fast
schon zwangsläufigen Konsequenz.
Der Moment, in dem diese Befreiung ge- und erfunden ist, wirkt wie ein
Triumph. Am grandiosesten spricht der sich im völlig planlos, frei gewebten
Wandteppich „Pissender Knabe mit Wolkenkratzer“ von 1952 aus:
Rücksichtslos, unvorsichtig, antimodern und doch gegenwärtig. Und eben so
unbürgerlich und so radikal individualistisch, dass er nie in
Serienproduktion wird gehen können.
Erst ab 1970 wird auch die Traum-Kindergartenarchitektur verwirklicht. Bei
ihr heißt das: Sie verflacht. Denn während die Vision des Bauens sich noch
konsequent antifunktional formuliert, statt des Ornaments den Besitz eines
Lineals zum Verbrechen erklärt und darauf beharrt, dass jedes Individuum
sich diese dritte Haut selbst bilden müsse, läuft’s in der Realität dann
doch nur darauf hinaus, durch abgerundete Ecken und Mosaiksteine Camouflage
zu betreiben: Auch Getreidesilos, Bahnhöfe und Müllverbrennungsanlagen
lassen sich so verhübschen. Das erste Haus-Modell hat Hundertwasser 1970
gebastelt, und seit 1977 steht’s in Wien.
Dass er Hundertwasser gar nicht kennt, erfährt der Ausstellungsbesucher in
Bremen wie einen Schock. Die Kunsthalle knallt ihm das beim Betreten an den
Kopf: Im Zentralsaal hockt der Künstler als junger Mann, ohne Bart, ohne
Kappe, mit nacktem Oberkörper, ein Mensch, den man, ehrlich gesagt, noch
nie gesehen hat.
Die überlebensgroß reproduzierte, freigestellte schwarz-weiß Fotografie
hängt mittig an der Rückwand des Saals, auf einer orangegrundierten
Infotafel. Ein wenig wie ein Vogel wirkt er, und eingehend scheinen seine
dunklen großen Augen den Betrachter zu mustern, nicht unfreundlich, aber
mokant und herausfordernd, ja fast schon arrogant.
Das also ist Hundertwasser, der Mensch. Und so lässt sich von dieser quasi
archäologisch freigelegten realen Person hinter, oder zeitlich besser: vor
der Marke, dieser Person im biografischen Zustand der Unschuld, eben auch
ins Werk switchen, in dessen Anfänge, von denen aus sich sein Weg, seine
Entwicklung als eine Linie nachvollziehen – und letztlich eben auch ahnen
lässt: Wieso das alles als blöde Merchandising-Maschine enden konnte –
trotz, oder wegen seines anrührenden Individualismus.
Denn den Impuls der Widerständigkeit, den Drang abzuweichen, den dieses
Werk auszeichnet, gibt die Biografie als Befreiung von der
überlebenswichtigen Anpassung der Kindheit preis. Als Siebenjähriger
unterwirft sich der Junge der Taufe und 1942 tritt er der Hitlerjugend bei,
um sich und die Mutter zu retten: Deren jüdische Verwandte werden
deportiert, 69 von ihnen ermordet.
Selbst die Gruppierungen, denen er angehörte, veranstalteten zwar
gemeinsame Happenings und Ausstellungen – aber ihre gemeinsame ästhetische
Doktrin bestand im Verzicht auf eine gemeinsame ästhetische Doktrin: Jeder
der „drei Unterzeichneten“, so informiert er mit Ernst Fuchs und Arnulf
Rainer 1959 im Pintorarium-Manifest, sei für sich bereits „selbständig mit
eigenen Philosophien vor die Öffentlichkeit getreten“ und keiner von ihnen
plane vom Prinzip der „individuellen Autonomie“ abzuweichen.
So ähnlich dürfte auch das Statut einer Zweck-WG klingen, sollte es denn
verschriftlicht werden. „Ich will nicht vertrotteln“, endet es dann doch
noch mit einem Minimal-Konsens. Bis 1970 hat sich Hundertwasser daran auch
strikt gehalten.
Nein, es geht gar nicht darum, alles, was danach kommt, als Schrott
abzuwerten und als Kitsch. Es ist aber so, dass der drängende Impuls, die
unerbittliche Suche und wohl auch die Verzweiflung, die sich in der ersten
Werkphase aussprechen, weit eher berühren: Da ist „Die politische
Gärtnerin“, die eine merkwürdige Verschmelzung eines in einem seltsamen
blaustichigen Grün gehaltenen, durch Hakenkreuz- und Hammer- und
Sichel-Abzeichen stigmatisierten Frauenaktes mit seiner Umwelt inszeniert –
Kraft der alles auf diesem Gemälde durchdringenden und durchwirbelnden
Spiralen.
Und da ist, als eine Antwort durch die Zeit auf Gustav Klimts Kuss
konzipiert, die rot und blau sich in die Netzhaut einbrennende, zugleich
den Betrachter aufsaugende Doppelhelix „Der große Weg“ von 1955: Dieses
seit der Urzeit bekannte, magische Symbol von Leben und Unendlichkeit wirkt
in jenen Jahren frisch, als wäre es von Hundertwasser selbst erfunden. Und
diese Euphorie, diese Faszination, diese hypnotische Kraft wird in dieser
Linie immer pulsieren. Auch wenn sie, bald danach, im späteren Werk, sich
nur noch behauptet als Routine – bestimmt und geleitet von den Prinzipien
des Marktes.
1 Jan 2013
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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