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# taz.de -- Dokudrama über Strafgefangene in Rom: Befreiung für einen Moment
> In „Cäsar muss sterben“, dem jüngsten Film der Brüder Taviani, werden
> Verbrecher zu Schauspielern. Die Gefangenen inszenieren Shakespeare.
Bild: Kino im Knast: Die Schauspieler sitzen alle wegen organisiertem Verbreche…
„Cäsar muss sterben“ ist ein Mafiafilm der besonderen Art. Die Mitglieder
der Mafia, Camorra, Ndrangheta sind echt, aber sie sitzen im Knast. Schwere
Jungs sind sie alle, zu lebenslänglich verurteilt wegen Mord, zu zwanzig,
dreißig Jahren wegen organisiertem Verbrechen, zu langjährigen Strafen
wegen „diverser Taten“.
Sie kommen aus Rom, Neapel, Apulien, Kalabrien und sitzen nun ein im
Hochsicherheitsgefängnis im römischen Vorort Rebibbia, in dem auch der
Papst-Attentäter Ali Agca einst untergebracht war. Aber nicht von ihren
Taten erzählt „Cäsar muss sterben“, man erfährt kaum etwas über die Mä…
persönlich. Man lernt die Verbrecher vielmehr als Schauspieler kennen.
„Cäsar muss sterben“ ist ein Theaterfilm der besonderen Art. Er zeigt, wie
eine Inszenierung von Shakespeares „Julius Cäsar“ entsteht, und zwar in
Rebibbia. Vom Theater im römischen Knast hatten die Tavianis von einer
Freundin gehört, die ebendort eine Aufführung einzelner Szenen aus Dantes
„Inferno“ besuchte. Sie sahen sich das an, sie unterhielten sich mit dem
für die Inszenierungen verantwortlichen Theaterregisseur Fabio Cavalli, und
dann hatten sie die Idee, einen Film im Knast zu drehen, der zeigt, wie
eine Aufführung von Shakespeares „Julius Cäsar“ mit diesem
Schwerverbrecher-Ensemble entsteht.
„Cäsar muss sterben“ ist alles andere als ein Dokumentarfilm. Er beobachtet
nicht einfach Proben zum Stück. „Julius Cäsar“ war die Wahl der Tavianis,
nicht von Fabio Cavalli. Es gibt eine Inszenierung, aber die Vorführung
selbst im Gefängnistheater bildet nur in kurzen Ausschnitten den
rondoförmigen Rahmen, und nur dieser Rahmen ist in Farbe, der Rest ist
schwarz-weiß – mit Ausnahme eines ganz kurzen Sehnsuchtsmoments beim Blick
auf eine Fototapete. Der Film ist nach Drehbuch entstanden, die Tavianis
haben das Shakespeare-Stück für ihre Zwecke stark zurechtgekürzt.
Sie inszenieren nicht, sondern verfilmen das Drama. Sie zeigen auch nicht
die Hintergründe einer Inszenierung. Sie haben vielmehr einen Film gedreht,
der zwar auf die besondere Situation seiner Entstehung durchlässig ist,
diese aber nicht dokumentiert, sondern den ganzen Zusammenhang mit starker
Hand in ein eigenes, bewusst stilisiertes Werk überträgt.
## Das Gefängnis als Bühne
Soll heißen: „Cäsar muss sterben“ ist in einem sehr emphatischen Sinne ein
Spielfilm. Es geht ihm gerade nicht um die Grenze zwischen Dokumentarischem
und Inszenierung. Anders als in Theaterfilmen gibt es streng genommen
keinen Backstage-Moment, alles, auch die Szenen, in denen die
Insassen/Schauspieler Stücktexte proben, in denen sie sich an ihre eigenen
Untaten erinnern, ist bereits Teil der Filmerzählung. Schauplatz der
einzelnen Szenen sind Orte im gesamten Gefängnis, unter dem Vorwand, dass
die Bühne gerade umgebaut wird.
Marc Antonius hält seine berühmte Rede über Brutus als ehrenwerten Mann in
einem kahlen weißen Gefängnisinnenhof; der Brutus-Darsteller kehrt einen
Zellengang und spricht dabei Shakespeare-Text; auch die Wärter werden in
einer Sequenz zu Darstellern nicht des Stücks, aber des Films; eine
Mauerschauszene, bei der, wie im Theater üblich, einer vom Rand der Bühne
schildert, was „draußen“ passiert, bekommt an diesem Ort natürlich noch
einmal einen ganz anderen Sinn.
Theater ist nur da möglich, wo zur Darstellung einer anderen Wirklichkeit
die Wirklichkeit ausgesperrt wird. „Cäsar muss sterben“ probt hier eine
Inversion: Die Insassen vergessen die realen Mauern, indem sie sich in den
anderen Raum des Theaters begeben. Die vierte Wand befreit sie, für den
Moment. Aber auch die Umkehrung gilt: Seit ich die Kunst kenne, fühle ich
mich in meiner Zelle gefangen – formuliert der Cassius-Darsteller.
All das könnte schrecklich gut gemeint sein, aber trotzdem gar misslingen,
wenn nicht geradezu in filmische Ausbeutung der Gefängnisszenerie und der
Schicksale seiner Insassen kippen. Dass es das nicht tut, ist das große
Verdienst der Tavianis, beide schon über achtzig, die nach langen Jahren
noch einmal zur großen Inszenierungskunst von frühen Meisterwerken wie
„Padre Padrone“ oder „Die Wiese“ finden. Sie bleiben Shakespeare treu u…
gewähren den Darstellern und ihrer Situation eine geradezu erhabene Würde
dabei. Darum hat „Cäsar muss sterben“ den Goldenen Bären, den er erhielt,
durchaus verdient.
2 Jan 2013
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Mafia
Knast
Schauspiel
Kino
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