# taz.de -- Regisseur Levy zu Missbrauchskampagne: „Helle, heitere Lebensräu… | |
> Keine Skandalnummer, sondern Nachhaltigkeit: Regisseur Dani Levy hat | |
> TV-Spots gegen Missbrauch gedreht, in denen Missbrauch gar nicht | |
> vorkommt. | |
Bild: Dani Levy zeigt in seiner Kampagne Räume, die geschützt werden müssen. | |
taz: Herr Levy, Sie haben für die Kampagne [1][„Kein Raum für Missbrauch“] | |
des Missbrauchsbeauftragten zwei 30 Sekunden kurze Fernsehspots gedreht. | |
Darin wird das Leben eines Mädchen und eines Jungen gezeigt, von der Geburt | |
bis zur Pubertät: Kita, Schule, Sportverein, Elternhaus. Was soll das? | |
Dani Levy: Ich zeige Lebensräume, in denen sich der Junge und das Mädchen | |
befinden. Die Spots kommen ohne Missbrauchsmotive aus. | |
Wo ist der Clou? | |
Das ist der Clou. Das sind die Räume, die geschützt werden müssen. Helle, | |
heitere Räume, die Kinder in lebensbejahenden Situationen zeigen. Ich | |
wollte keinen bedrohlichen Spot drehen, in dem alles unter Generalverdacht | |
steht, also gerade nicht: Jeder Erwachsener kann ein Täter sein, jedes Kind | |
ein Opfer. Die Kampagne des Missbrauchsbeauftragten setzt auf nachhaltige | |
Aufklärung, das unterstütze ich. | |
Wen sollen die Spots ansprechen? Alle Erwachsenen, die mit Kindern zu tun | |
haben. Die Filme sollen für eine grundsätzliche Aufmerksamkeit für das | |
Thema sorgen. Und das nicht als schnelle Skandalnummer, sondern nachhaltig | |
Gefährdet das Heile, das Ideal in Ihren Spots diese Nachhaltigkeit nicht | |
eher? | |
Es geht nicht um ein Ideal, sondern um Alltag, der nicht von Missbrauch | |
durchdrungen ist. Ich habe mich entschieden, Bewusstsein zu generieren, das | |
nicht von Schwere begleitet ist. | |
Ihr Kollege Wim Wenders hat für solche Spots Betroffene vor die Kamera | |
geholt. | |
Diese neue Kampagne hat eine andere Aufgabe, eine andere Emotionalität.Wir | |
wollen Missbrauch auch nicht in Andeutungen zeigen. Mit solchen Bildern | |
wird viel Unfug getrieben. | |
Was ist bei diesem Thema ein gutes Bild? | |
Das ist nicht einfach. Da müsste ich jetzt länger nachdenken. Darstellung | |
von Missbrauch kann schnell plakativ sein, vor allem in der Kürze eines | |
Spots. | |
Sie stellen dar, dass nichts passiert ist. Genau das wollen Täter auch | |
immer weismachen. | |
Was würde es – andersherum gefragt – bedeuten, würde man Kinder in | |
Missbrauchssituationen zeigen? Dann würden wir suggerieren, dass jeder Raum | |
ein Missbrauchsraum ist. Dann würden wir nicht das zeigen, was es zu | |
beschützen gilt. Täter kennen die Schwachstellen. Wir wollen die | |
Erwachsenen aktivieren, diese Schwachstellen zu schützen. | |
Auch Familienministerin Kristina Schröder startet in Kürze eine Kampagne. | |
Wie unterscheidet sich Ihr Spot von dem Theaterstück der Ministerin? | |
Ich kenne die Kampagne von Frau Schröder nicht. | |
Haben Sie sich, bevor Sie den Spot drehten, mit Missbrauch beschäftigt? | |
Nein, nicht mehr, als ich es als wachsamer Bürger und Vater getan habe. Ich | |
habe das Thema in den Medien verfolgt und den Dokumentarfilm über die | |
Odenwaldschule gesehen, in der maßgeblich Missbrauch stattgefunden hat. | |
Können solche Kampagnen überhaupt etwas bewirken? | |
Diese Frage stelle ich mir nicht – sie würde mich lähmen. | |
Die beiden Kampagnen kosten zusammen rund 4,5 Millionen Euro. | |
Beratungsstellen indes beklagen, dass sie nicht ausreichend finanziert, | |
manche sogar geschlossen werden. | |
Die Kampagne des Unabhängigen Beauftragten kostet nur 400.000 Euro. Der | |
Spot hat nichts gekostet. Wir haben alle umsonst gearbeitet. Dass | |
Beratungsstellen schließen müssen, finde ich skandalös. Den Spot hätte ich | |
trotzdem gedreht. | |
Sie und der Missbrauchsbeauftragte leuchten klandestine Räume sexuellen | |
Kindesmissbrauchs aus. Warum bleiben die offensichtlichen | |
Grenzüberschreitungen in der Kunst, im Films, in der Musik unkommentiert? | |
Bräuchte man da nicht eigene Spots? | |
Ich kann das nur bestätigen – vor allem für die Modebranche. | |
Wo sehen Sie das Problem? | |
Dass Sexualisierung von Kindern ein unbeachtetes Gebiet des Starruhms ist. | |
Das fängt schon im Kindergarten an und setzt sich in der gesamten | |
Jugendwelt fort. Ich bin manchmal entsetzt, wenn ich sehe, wie | |
Schulkameradinnen meiner Tochter sich aufpeppen und welche sexuellen | |
Signale sie aussenden. Die Sexualisierung unserer Kinder ist fester | |
Bestandteil der Mode- und Fotokunst. In der Filmbranche selber kenne ich | |
eigentlich keine Beispiele – von Polanski mal abgesehen. | |
Die ganze Filmszene stand wie eine Eins hinter Roman Polanski, als die | |
Schweiz ihn an die USA ausliefern wollte. | |
Nein, die Reaktionen waren kontrovers. Es gab Aufrufe in beide Richtungen. | |
Ich selbst war zerrissen. | |
Weil Sie fanden, dass Polanskis Oscar wichtiger ist als das traumatisierte | |
13-jährige Opfer? | |
Das ist doch polemisch. Ich hatte mich mit dem Tatbestand nicht genug | |
beschäftigt. | |
Polanski hat zugegeben, dass er das Mädchen schwer missbraucht hat. | |
Das stimmt. Aber es ging auch darum, ob die Auslieferung an die USA | |
zulässig ist. | |
Die Frau – sie ist heute knapp 50 – hat geschildert, wie sehr sie die Tat | |
verfolgt hat. Dass Polanski sie nie mehr in Ruhe gelassen hat – als Star, | |
der überall präsent war, als grandioser Regisseur, als Oscar-Preisträger. | |
In meinen Augen ist Polanski ein Filmemacher, der einen sexuellen | |
Missbrauch an einem Kind verübt hat. Es ist daran aber nichts | |
Branchentypisches in dem Sinne, dass man zum Beispiel bei den Tausenden von | |
Kinder- und Jugendfilmen nun so etwas dauernd hören würde. Es ist nicht so, | |
dass Erwachsene, Regisseure, Aufnahmeleiter und so weiter Kinder sexuell | |
missbrauchen – obwohl viele von ihnen beim Drehen in hochemotionale | |
Situationen gebracht werden, wo sie sicher verletzbar sind. Polanski könnte | |
also genauso gut ein Anwalt oder Banker gewesen sein, der bei einer Party | |
ein 13-jähriges Mädchen abschleppt. | |
Es geht nicht nur um den Missbrauch am Set, das Bild des verführenden | |
kleinen Mädchens wird in vielen Filmen reproduziert. Hinterfragen Sie das? | |
Ich sehe meine Rolle als Künstler darin, aus Sexualität keine spekulative | |
Masse zu machen. Sondern aus Nacktheit ein natürliches und nicht mit Trieb | |
und verklemmter Begierde hochgeputschtes Element entstehen zu lassen. Ich | |
bin geprägt von meiner Berliner Theatererfahrung mit Stücken wie „Darüber | |
spricht man nicht“ oder „Was heißt hier Liebe?“ Das war eine Revolution … | |
die verkrustete und zugleich pseudopotente Aufklärung der 1950er. Ich habe | |
immer versucht, Themen von allem Pathetischen und Verklebten zu befreien | |
und es in eine Direktheit hineinzukriegen. Ich bin sozusagen immer für | |
Terpentin in der Kunst gewesen. | |
Sexualität aus ihrer Verkrustung zu befreien, war Aufklärung. Nur ist unter | |
dieser Flagge von Anfang eine Flotte mitgesegelt, die das ganz anders | |
interpretiert hat – als gleichberechtigten Sex mit Kindern. So etwas gibt | |
es aber nicht. | |
Das ist für mich, neben dem Leid der Opfer, das Bitterste: Der Verrat einer | |
an sich richtig gemeinten Sexual- und Pädagogikrevolution. Es ist | |
furchtbar, dass in den 1960er und 1970er Jahren die neue Freiheit in der | |
Pädagogik systematisch von Tätern ausgenutzt wurde, um ihre eigenen Triebe | |
zu befriedigen. Auf diese Weise ist eine ganze Pädagogik in Verruf | |
gekommen. Die Grundideen waren nicht falsch. Aber was Tätern daraus an | |
Räumen entstanden ist, um ihre Pädosexualität auszuleben, das ist das | |
Schlimmste, was man sich vorstellen kann. | |
Werden Spots wie Ihrer Kinder stärker machen? | |
Das ist schwierig. Ich glaube, Eltern müssen immer wieder in Ruhe mit ihren | |
Kindern darüber sprechen: „Du entscheidest, wer dich anfasst und wer nicht. | |
Und wie. Du musst lernen zu sagen: ’Halt, ich möchte das nicht!‘ “ | |
Und trotzdem haben Sie sich entschieden, in Ihrem Filmchen sichere Räume zu | |
zeigen? | |
Ich fand es besser, nicht aus der geduckten Köperhaltung heraus zu agieren, | |
sondern aufrecht. Und zu sagen: Das sind die Räume, die wir hell behalten | |
wollen! | |
Wehrt sich Kunst energisch genug dagegen, das positive Image der Lolita zu | |
bewahren? | |
Es gibt sicher einen Lolita-Komplex in der Filmkunst. Da sind die | |
verkorksten Lolita-Lüstlinge wie die aufgeklärten Filmemacher, die ein | |
neues Bild von Sexualität kreieren. Wir müssen versuchen, Frauen und Kinder | |
nicht als Sexobjekte auftreten zu lassen. Und keine frühreifen Nummern zu | |
machen, an denen sich ältere Typen einen runterholen können. Das Problem | |
ist nur, dass die aufgeklärte Filmkunst wesentlich weniger kommerziell ist | |
als der große Schund, der sich über uns ergießt. | |
Der letzte Regisseur des Spots gegen Missbrauch, Wim Wenders, hat die | |
Petition für die Freilassung von Polanski unterzeichnet. Sie auch? | |
Nein, ich nicht. | |
Ist es moralisch vertretbar, Polanskis Freiheit zu fordern – und danach | |
einen Antimissbrauchsspot zu drehen? | |
Natürlich – aber was hat das mit meinen Spots zu tun? | |
10 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kein-raum-fuer-missbrauch.de/ | |
## AUTOREN | |
S. Schmollack | |
C. Füller | |
## TAGS | |
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