| # taz.de -- Kasino-Hochburg Macao boomt: Unter Zockern | |
| > Jahrzehntelang war Macao ein verschlafenes Fischerstädtchen. Das änderte | |
| > sich, als Portugal seine Kronkolonie an China zurückgab. | |
| Bild: Die 35 Kasinos in Macao nahmen 2012 umgerechnet 28,7 Milliarden Euro ein … | |
| MACAO taz | Mit einem dicken Strohhalm schlürft CK Wong die Tapioka-Perlen | |
| aus seinem warmen Milchtee. Ab und zu streicht sich der 63-Jährige mit der | |
| Hand über den Spitzbart und lächelt verschmitzt. Nervös wirkt er nicht. | |
| Dabei hat ein von ihm angeheuerter Profispieler am Vorabend 200.000 | |
| Hongkong-Dollar verzockt. Das entspricht rund 18.000 Euro. | |
| Nun soll sein Spieler das verlorene Geld wieder hereinholen. Chips im Wert | |
| von 4.000 Euro sind gerade im Einsatz. Man spielt Baccara, ein Kartenspiel. | |
| Nur zwei Spieltische stehen in dem mit edlen Holzmöbeln und Goldstuck | |
| ausgestatteten VIP-Zimmer im 23. Stock eines Kasino-Hochhauses. Vier junge | |
| Kellnerinnen stehen bereit, sofort nachzuschenken, sobald das Glas nur noch | |
| drei Viertel voll ist. | |
| Der Croupier hat die Karten ausgegeben, eine neutrale Karte liegt oben auf | |
| dem Stapel. CK Wong und sein Profi haben heute Abend nur einen Gegner. | |
| „Naturel“, sagt dieser auf Französisch mit stark kantonesischem Akzent und | |
| legt seine beiden Karten auf den Tisch. Eine Sieben und ein Ass – ergibt | |
| acht Punkte. Wer am nächsten an die Neun kommt, hat gewonnen. CKs Spieler | |
| schaut konzentriert auf seine Karten. Weder ein Lächeln im Gesicht noch | |
| sonst eine Regung, die Aufschluss geben könnten. | |
| Er geht die Sache locker an. Ein Profi. Nicht mal sein Hemd steckt | |
| ordentlich in der Hose. Langsam legt er seine Karten hin. Eine Piek 5. Dann | |
| huscht doch ein Lächeln über sein Gesicht: Karo 4. Gewonnen. Acht | |
| rechteckige Chips reicht der Croupier über den grünen Spieltisch. CK Wong | |
| sagt: „Schluss für heute.“ Nach knapp einer halben Stunde Spielzeit. Aber | |
| die Verluste vom Vorabend sind wieder eingespielt, es gibt sogar ein Plus. | |
| „Amerikaner und Europäer spielen zum Vergnügen“, sagt CK Wong später beim | |
| Lobster-Essen. „Wir Chinesen spielen um Geld.“ | |
| CK Wong lebt eigentlich in Schanghai. Wie viele Chinesen hat er sich einen | |
| neuen Vornamen gegeben, er spricht das CK englisch aus. Bis vor drei Jahren | |
| war er Inhaber einer Logistikfirma. Als das Geschäft besonders gut lief, | |
| verkaufte er sie. Nun genießt er das Leben. Führt seine Familie zum Essen | |
| aus, abends. Verbringt den Tag in Zockerbuden und wettet auf Pferde. Einmal | |
| im Monat fliegt er nach Macao, der inzwischen umsatzstärksten Kasinostadt | |
| der Welt. | |
| ## Spielen und spielen lassen | |
| „Natürlich lockt mich auch der Nervenkitzel“, sagt CK Wong. Aber der werde | |
| weniger. Seit fünf Jahren kommt er regelmäßig nach Macao und spielt – | |
| beziehungsweise lässt spielen. Diese Leidenschaft teilt er mit Millionen | |
| anderer Chinesen. Und es geht immer um Geld. Doch das Kasinogeschäft ist in | |
| der Volksrepublik selbst verboten. Deswegen kommen sie zu Millionen nach | |
| Macao, das wie das benachbarte Hongkong einen Sonderstatus genießt. | |
| Er spüre kein Entsetzen mehr, wenn an einem Abend mal mehrere zehntausend | |
| verloren gehen, sagt CK Wong. Denn zusammen genommen habe er immer noch | |
| mehr eingenommen als ausgegeben. Behauptet er zumindest. Damit dürfte CK | |
| Wong zu einer kleinen Minderheit gehören. Denn wirkliche Gewinner gibt es, | |
| zumindest rechnerisch, in Spielerhochburgen nur wenige. | |
| Die 35 Kasinos in Macao nahmen im vergangenen Jahr umgerechnet 28,7 | |
| Milliarden Euro ein – vier mal so viel wie die Spielhöllen in Las Vegas. | |
| Allein das Kasino Lissabon, Macaos ältestes Kasino, zählt täglich | |
| Zehntausende Gäste. Und woher sonst sollen die hohen Einnahmen kommen, wenn | |
| die vielen Spieler nicht mehr verlieren würden, als sie gewinnen? | |
| Macaos Aufstieg von einem verschlafenen Fischerstädtchen zu einer der | |
| wohlhabendsten Städte Ostasiens geht unmittelbar einher mit der Rückgabe | |
| der ehemaligen portugiesischen Kronkolonie an die Volksrepublik. Nach 450 | |
| Jahren Fremdherrschaft fiel die Stadt mit den ihr vorgelagerten Inseln 1999 | |
| an China zurück. | |
| Das Kasinogeschäft war bereits unter portugiesischer Verwaltung erlaubt. | |
| Doch nur das Kasino Lissabon hatte eine Lizenz. Vollkommen liberalisiert | |
| wurde das Zockergeschäft erst unter chinesischer Herrschaft. Inzwischen | |
| sind alle großen internationalen Hotelketten und Kasinobetreiber in Macao | |
| vertreten. The Sand hat ebenso eine Dependance wie The Wynn oder das | |
| Venetian – jedes von ihnen gigantischer und noch kitschiger als das | |
| Original in Las Vegas. | |
| ## Medizinische Versorgung ist kostenlos | |
| Die 580.000 Macanesen profitieren davon. Denn die Steuereinnahmen bleiben | |
| in der Stadt. Die medizinische Versorgung ist kostenlos, ebenso die | |
| Altenversorgung. 2012 erhielt jeder Einwohner eine Prämie von 8.000 Patacas | |
| – immerhin fast 1.000 Euro bar auf die Hand. | |
| Inzwischen hat Chinas Führung den Macao-Besuch ihrer Bürger eingeschränkt. | |
| Seit vergangenem Jahr dürfen Festlandchinesen nur noch einmal im Monat | |
| einreisen. Dennoch kommen viele. Und umso mehr floriert das Geschäft mit | |
| angeheuerten Spielern. Sie spielen im Auftrag ihrer Kunden, auch wenn diese | |
| gar nicht dabei sind. | |
| Zum Lobster-Essen kommt auch CK Wongs Profispieler dazu. Seit drei Jahren | |
| kennen sie sich. Wie Freunde seien sie, sagt der Mann, der seinen wahren | |
| Namen nicht preisgeben möchte. Kommt CK Wong am Flughafen an, holt er ihn | |
| mit seinem Lexus RX 350 ab. Er übernimmt die Hotelkosten für ihn, selbst | |
| das Ein- und Auschecken an der Rezeption. Und bringt Familie Wong in die | |
| angesagten Lokale der Stadt – oft ebenfalls auf seine Rechnung. „Das gehört | |
| zur Freundschaft dazu“, sagt er. | |
| Viele Jahre lang hat er in Hongkong ein Restaurant betrieben – und dabei | |
| seine Spielleidenschaft entwickelt. Nun macht er das eben professionell. | |
| Und verdient nicht schlecht, wie er sagt. Die Kasinobetreiber geben ihm | |
| eine Courtage von 500 Euro pro vermitteltem Kunden, dazu Spesen. Das sei | |
| aber nur das Taschengeld, sagt er und grinst. Gewinnt er für seinen Kunden, | |
| heimst er in der Regel 20 Prozent davon ein. Verliert er, drücken ihm die | |
| meisten dennoch ein paar Scheine in die Hand – sofern sie nicht alles | |
| verloren haben. | |
| Auch auf Vorschuss spielt er. Das gehört zum Service dazu. Und wenn ein | |
| Kunde die Verluste nicht zurückzahlt? Auf einen Kunden aus der chinesischen | |
| Provinz Guangxi habe er Schlägertrupps ansetzen müssen. 2 Millionen | |
| Hongkong-Dollar würde der ihm schulden. „Da ist es mit der Freundschaft | |
| vorbei.“ | |
| ## Verstand ist hilfreich | |
| Baccara ist ein Glücksspiel, das bei Chinesen auch deswegen so beliebt ist, | |
| weil teilweise Verstand vonnöten oder zumindest hilfreich ist. Mithilfe der | |
| Wahrscheinlichkeitsrechnung lassen sich die Spielchancen erhöhen. Die | |
| Ergebnisse der einzelnen Spiele werden daher auf einem Bildschirm neben dem | |
| Spieltisch angezeigt. Viele rechnen, bevor sie setzen. „Wer mit System | |
| spielt, gewinnt vielleicht. Wer ohne spielt, verliert ganz bestimmt“, | |
| erklärt der Profispieler. | |
| Am zweiten Abend zieht CK Wong ohne seinen professionellen Spieler los. Er | |
| hat sich mit einem Freund aus Hongkong zum Spielen verabredet, einem | |
| inzwischen pensionierten Schifffahrtskapitän. Der reist zusammen mit Gattin | |
| an. Doch niemand holt das Paar vom Flughafen ab, auch die Hotelkosten | |
| müssen sie selbst tragen. Der Hongkonger verzichtet auf einen | |
| professionellen Spieler und setzt auf seinen eigenen Verstand. Über Monate | |
| hinweg hat er Ratgeber gelesen, Kalkulationen aufgestellt und eine Formel | |
| entwickelt. Die will er nun ausprobieren. | |
| Drei Seiten Papier mit einer langen Zahlentabelle packt er aus seiner | |
| Aktentasche. Seine Frau ist skeptisch. „Ich glaube an keine Formeln“, sagt | |
| sie. Glücksspiel bleibe Glücksspiel. Auf 20.000 Hongkong-Dollar Einsatz | |
| haben sie sich geeinigt, die ihr Mann maximal setzen darf. Sie selbst will | |
| sich die Zockerei nicht mit ansehen und zieht sich aufs Zimmer zurück. CK | |
| Wong begleitet den Freund. | |
| ## Tabellen auf den Bildschirmen | |
| Zusammen laufen sie die Spieltische in den großen Kasinohallen ab und | |
| studieren die Tabellen auf den Bildschirmen. Stimmen die Ergebnisse mit den | |
| Zahlen auf der Tabelle des pensionierten Kapitäns überein, legen sie los. | |
| Zunächst setzen sie nur kleine Summen: Chips im Wert von 500 | |
| Hongkong-Dollar, dann auch mal einen Tausender. Sie gewinnen. Dann noch ein | |
| Gewinn. Sie wechseln den Spieltisch. Und wieder liegen sie richtig. | |
| Aufseher blicken bereits misstrauisch. | |
| Doch bereits beim sechsten Spiel lässt sie die Formel im Stich. Beim | |
| siebten, achten und neunten Mal ebenso. Um die Verluste auszugleichen, | |
| setzen sie einen großen Beitrag. Und wieder verlieren sie. War die Stimmung | |
| anfangs noch euphorisch, herrscht jetzt Schweigen. Nach etwa anderthalb | |
| Stunden bleiben ihnen nur noch ein paar 500er-Chips übrig. Wenig später | |
| sind auch die weg. | |
| Die vorgesehenen 20.000 Hongkong-Dollar sind am Ende des Abends verspielt. | |
| CK Wongs Gewinn vom Vorabend ebenso. CK Wong verlässt Macao mit einer roten | |
| Null, Kost und Logis waren für ihn und seiner Familie immerhin frei. Für | |
| den pensionierten Schifffahrtskapitän hingegen ist der Aufenthalt eine | |
| Pleite. Macao aber boomt. | |
| 13 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
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