# taz.de -- Klausurtagung der Grünen: Jürgen Trittins verzweifelter Seiltanz | |
> Der mächtigste Grüne will Diskussionen über Schwarz-Grün oder eine Ampel | |
> unterbinden. Aber für Rot-Grün wird es wohl eng. | |
Bild: Immer schön optimistisch bleiben. Renate Künast und Jürgen Trittin am … | |
WEIMAR taz | Eigentlich ist Jürgen Trittin ein Meister der Scheinantwort. | |
Will der Grünen-Fraktionschef eine Frage nicht beantworten, redet er in | |
langen Schachtelsätzen, lenkt ab und laviert um den Kern herum. Doch | |
manchmal scheitert selbst er in dieser Disziplin. | |
Trittin, 58, legt die Fingerspitzen aneinander, er steht nach der | |
Klausurtagung der Bundestagsfraktion in einem Tagungssaal in Weimar. Woran | |
es liegt, dass Peer Steinbrück (SPD) in Beliebtheitsumfragen abstürzt, | |
fragt ein Reporter. Trittin sagt mit vielen Sätzen nichts, und dann beginnt | |
ein Pingpongspiel. | |
Worauf führen Sie Steinbrücks Sinkflug zurück? „Auf den Jahreswechsel.“ … | |
worauf wirklich? „Auf Unbeliebtheit.“ Aber Sie müssen doch einen Grund | |
nennen können? „Dafür müsste ich jetzt viel in der Presse nachlesen, was | |
ich im Urlaub nicht getan habe.“ Aha. Der Mann, der Vizekanzler werden | |
will, hat die Zeitungen nicht gelesen. | |
Bei den Grünen sind die Tage des Herumdrucksens angebrochen. Sie sind | |
fassungslos über das Agieren des Sozialdemokraten, sie fürchten, dass seine | |
Unbelehrbarkeit einen rot-grünen Wahlsieg verhindert. Doch will niemand den | |
Wunschpartner weiter beschädigen. | |
## Lieber nicht über Steinbrück reden | |
Am Mittwoch steht eine interne Aussprache der Fraktion auf der | |
Tagesordnung. Sofort kommen besorgte Äußerungen zu Steinbrück. Trittin und | |
seine Kollegin Renate Künast schwören die Abgeordneten ein. Nur noch | |
diplomatische Äußerungen, bitte lieber grüne Inhalte betonen. | |
So laute jetzt die Parole, erzählen Parlamentarier hinterher. Gleichzeitig | |
zieht die Führung Brandmauern hoch. „Die SPD muss SPD-Probleme lösen, wir | |
lösen unsere“, sagt Künast. „Wenn bei der SPD suboptimal agiert wird, kann | |
das nur heißen, wir werben selbstbewusst für Grün.“ Bei aller Diplomatie | |
klingt da eine gewisse Genervtheit durch. | |
Mit feinen Abgrenzungen wollen die Grünen vorbeugen, in einen Abwärtssog | |
gezogen zu werden. In der Abschlusserklärung loben die Grünen vollmundig | |
ihre Ideen zur Energiewende, zur Gleichstellung von Frauen, zu mehr | |
Gerechtigkeit. Den Partner SPD erwähnen sie in der vorletzten Zeile, nur | |
ein einziges Mal. Natürlich lässt sich die sozialdemokratische Misere dann | |
doch nicht ganz von grüner Politik trennen. | |
So klingen Sätze in der Abschlusserklärung, in der die Grünen der | |
Merkel-Regierung „schamlose Klientelbedienung“ vorwerfen, plötzlich hohl. | |
Eigentlich habe man den Wahlkampf mit dem Thema Geldgier hochziehen wollen, | |
erzählt eine Abgeordnete. „Das können wir uns doch jetzt schenken.“ Mit | |
einem Vortragsmillionär als Kandidaten bekommt einiges einen Beigeschmack, | |
auch wenn er formal im Recht ist. | |
## Westerwelle ist beliebter | |
Zumal nun eine Umfrage erstmals belegt, dass Steinbrücks Image unter der | |
Debatte über Kanzlergehalt oder Pinot Grigio leidet. Wenn es um die | |
Zufriedenheit mit der Arbeit eines Politikers geht, rangiert er bei den | |
Deutschen inzwischen hinter Guido Westerwelle. Hinter einem also, über den | |
gerade Grüne gerne Witze machen. | |
Beim informellen Abendessen im Dorint-Hotel führen viele Abgeordnete eine | |
alte Debatte, deren Neuauflage Trittin unbedingt vermeiden will. Was tun, | |
wenn es für Rot-Grün nicht reicht? Trittin selbst zog lange mit dem Satz | |
durch die Lande, er wolle Schwarz-Gelb „rückstandsfrei“ ablösen. Seit | |
Monaten verkneift er sich jedoch solch absolute Formulierungen. | |
Anders als Künast und Parteichefin Claudia Roth hat er bisher weder eine | |
Ampel noch Schwarz-Grün ausgeschlossen. Stattdessen betont er lieber die | |
Gemeinsamkeit mit der SPD. Es ist ein Seiltanz: Trittin weiß, wie sensibel | |
Partei und Wähler auf Abweichungen von der reinen Lehre Rot-Grün reagieren. | |
Das Drama im Wahlkampf 2009 ist noch zu präsent. | |
Damals drängten die beiden Spitzenkandidaten Trittin und Künast ein halbes | |
Jahr vor der Wahl auf eine Ampel als realistischste Machtoption. Ein | |
Aufstand der Basis war die Folge, der Landesverband NRW drohte offen mit | |
Meuterei. Der Vorstoß endete mit einer Blamage, weil Westerwelle die Ampel | |
kassierte. | |
Kurz vor Trittins Auftritt auf der Pressekonferenz bekommt auch Künast eine | |
Steinbrück-Frage. Können Sie sich einen besseren Kanzlerkandidaten | |
vorstellen? „Mir fällt spontan keiner ein, der mir lieber wäre.“ Es spric… | |
für Künast, dass sie nach diesem Satz selbst schmunzeln muss. | |
11 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
Ulrich Schulte | |
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