# taz.de -- Christian Wulff als Mahnmal: Vollends gescheitert? Nein! | |
> Christian Wulff ist jetzt Single. Er verkörpert mit seiner Trennung den | |
> Typus des neuen, starken Mannes, der nicht gepanzert durchs Leben laufen | |
> muss. | |
Bild: Würden Sie diesem Mann ins Gesicht treten? Nein? – Wir auch nicht. | |
Christian Wulff ist kein Mann in der Krise, Christian Wulff ist ein Mann, | |
der nun endgültig am Boden liegt. Es geht im so schlecht, niemand mag ihm | |
nun auch noch ins Gesicht treten – vielmehr fliegen ihm, dem Gefallenen, | |
dem Gescheiterten, nun die Sympathien zu. Amt verloren, Ehre – bis auf den | |
Sold – verloren, Frau verloren. | |
Verprügelt wird nunmehr nicht Christian Wullff, sondern Bettina Wulff. | |
Cherchez la femme, am ungeschminktesten twitterte es FDP-Staatssekretär | |
Hans-Joachim Otto in die Welt, wörtlich: „Die Vorgänge, die Christian Wulff | |
sein Amt gekostet haben, hat er nur getan, um Bettina zu imponieren. So | |
sind (manche) Frauen […].“ | |
Sie also, die schöne, blonde Frau mit dem berüchtigten Tattoo auf dem | |
Oberarm, ist an allem schuld. Und nun verstößt sie auch noch gegen den | |
ehernen Grundsatz des Ehewesens: Stand by your man. Stattdessen lässt sie | |
ihn, vorhersehbar spätestens nach der Veröffentlichung ihres | |
autobiografischen Werkes, im Regen stehen. | |
## Schulden, Scheidung, Hypothek | |
Ein Albtraum. Das, was den Wullfs widerfahren ist, ist so ungefähr der | |
größtmögliche Unfall, den sich das deutsche Bürgertum vorstellen kann. | |
Berufliche und finanzielle Existenz weitgehend zerstört. Schulden, | |
Scheidung, Unterhaltungszahlungen, Hypothek auf dem Haus. Man kann förmlich | |
spüren, wie den Kommentatoren und Treppenhaus-Chattern der Arsch auf | |
Grundeis geht bei dem Gedanken – Männern wie Frauen, wobei sich Letztere | |
nun auch nicht gerade gedrängt fühlen, Partei für Bettina Wulff zu | |
ergreifen, denn es ist eher schwierig, aus ihr eine feministische Ikone zu | |
machen. Nicht mal als Opfer taugt sie, allzu durchsichtig erscheint den | |
meisten ihr Kalkül. | |
Das Opfer ist nun eben Christian Wulff, und das ist, abseits der | |
reflexartigen Schuldzuweisungen an die (böse) Frau, interessant. Das | |
Mitleid, die fast schon zärtliche Besorgtheit, die ihm nun zuteil wird, | |
verweist auch auf ein neues Männlichkeitsbild der Gesellschaft. Der Mann, | |
angeblich beständig in der Krise, er ist nicht mehr, was er war: Und das | |
ist gut für ihn. | |
Christian Wulff zum Beispiel, Anfang 50, kommt aus einer Zeit, in der | |
traditionelle Männlichkeit noch nicht von der Bildfläche verschwunden war – | |
und in dieser Logik hatte er, der Sohn eines Tankstellenbesitzers, zunächst | |
alles richtig gemacht. Nämlich: Karriere. Er wurde zum klassischen | |
„Erwerbsmann“, der sich von ganz unten nach ganz oben durchzukämpfen | |
versucht – Status erwerben, Geld verdienen, eine Familie ernähren –, und er | |
hat das ja auch geschafft. Selbstverwirklichung? Gefühle zeigen? Eher nein. | |
## Abstieg galt nicht | |
Im Vordergrund stand stets der Weg nach oben, das Funktionieren – koste es, | |
was es wolle. Einen „Andenpakt“ mit Roland Koch, Günther Oettinger & Co ist | |
er einst eingegangen mit anderen ehrgeizigen Jungmännern aus seiner Partei, | |
der klassische Männerbund, die Seilschaft, mit der man zwar nicht wirklich | |
befreundet ist, die einem aber behilflich ist in Fragen der Karriere. | |
Zum Ministerpräsidenten hatte er es dann irgendwann endlich geschafft, und | |
wenn es schon mit der Kanzlerschaft nichts werden sollte, dann eben mit der | |
Staatspräsidentschaft. Ganz egal, ob erst im dritten Wahlgang. Hauptsache, | |
oben, verlieren geht nicht – denn wenn der Aufzug einmal fährt, dann fährt | |
er immer nach oben. Verlieren, absteigen, das würde der Selbstvernichtung | |
nahekommen, dem Verlust des eigenen Selbstbildes. | |
Und wer alles richtig gemacht hat, dem widerfährt auch nur Gutes. Er | |
bekommt Anerkennung – und zwar nicht nur in Form von Ruhm, Ehre und Geld. | |
Denn der traditionelle Mann, er ist ohne weibliche Akklamation überhaupt | |
nicht denkbar. Bettina Wulff. Eine Frau, die man nicht nur in der | |
Moped-Gang an der Tankstelle vorzeigen kann, sondern eine, die sogar als | |
moderne, frische „First Lady“ durchgeht, die mit Michelle Obama auf | |
Augenhöhe parlieren kann. Eine Frau, um die einen andere Männer womöglich | |
beneiden, die also den eigenen sozialen Status als Mann aufwertet. | |
## Akzeptables Scheitern | |
Nun hat er also alles verloren – und ist trotzdem noch da. Die Sympathie, | |
die ihm nun entgegengebracht wird, ist eigentlich eine Sympathie für den | |
neuen Mann. Den neuen Mann, der nicht mehr gepanzert durchs Leben gehen | |
muss, der Gefühle hat, auch mal verlieren darf. Den neuen Mann, der | |
richtige, aufrichtige Freunde verdient hat und nicht nur solche wie | |
Bild-Chef Kai Diekmann. Einen neuen Mann, der vielleicht in Zukunft einfach | |
nur Vater von zwei Söhnen ist. Wenn Wulff gerade das personifizierte | |
Scheitern ist, dann bedeutet das Wohlwollen ihm gegenüber, dass das | |
Scheitern, die Schwäche, das „Nichtkönnen“ nunmehr als akzeptabel gelten … | |
dieser Gesellschaft – auch wenn es sich um angeblich so starke Männer | |
handelt. | |
Lange vergangen ist das 19. Jahrhundert, in dem man von „Ehrenmännern“ in | |
Situationen des Scheiterns insgeheim erwartet hätte, dass sie mit ihrer in | |
der Schreibtischschublade aufbewahrten Duellierpistole zur letzten | |
Konsequenz schreiten. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen es Männern | |
unmöglich war, über Ängste zu reden. | |
Es zeugt von einem gesellschaftlichen Fortschritt, wenn nun in der | |
öffentlichen Meinung das Scheitern eines einst mächtigen Mannes als Chance | |
begriffen wird – und zwar für ihn. Er ist nicht der einzige Mann, der sich | |
mit der Frage konfrontiert sieht: Wer bin ich eigentlich wirklich? Was will | |
ich von meinem Leben? Wer liebt mich, und wer sind meine wahren Freunde? | |
Das alles sind Fragen, die sich Menschen in den bürgerlichen Klinkerhäusern | |
zwischen Großburgwedel und Bad Salzuflen manchmal stellen – und sei es nur | |
heimlich, während sie am Abend mit dem Gardena-Gartenschlauch den Rasen | |
sprengen. | |
14 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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