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# taz.de -- Polemik zum Einzelhandel: Dazu noch ein Heißgetränk?
> Warum kann man nicht einfach das kaufen, was man will, ohne dabei noch
> etwas angeboten zu bekommen? Es reicht!
Bild: Unter Umständen war nur das Croissant gewollt, der Kaffee aber gerade im…
Es wirkt aus heutiger Sicht wie die Reminiszenz an eine lang vergangene
Epoche, aber man konnte wirklich einmal Schreibwarenläden, Bäckereien oder
die Post betreten und an der Kasse nur das bezahlen, was man wirklich haben
wollte, ohne genötigt zu werden, noch mehr zu kaufen. Es war eine Zeit, in
der es noch einen Einzelhandel gab, der diesen Namen auch verdiente.
Einzelne Läden, die versuchten, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu stillen.
Ein paar von ihnen gibt es immer noch, und hat man es mit jemand
Aufmerksamem zu tun, wird man beim Bezahlen allenfalls gefragt, ob es sonst
noch etwas sein dürfe. Natürlich will auch dort Geld verdient werden, aber
die Frage ist vor allem als Aufmerksamkeit gemeint, als nette Geste. Und
manchmal erinnert man sich so tatsächlich daran, dass die Tesafilm-Rolle
auf dem Schreibtisch leer und ein Milchhörnchen gut für die Stimmung am
Frühstückstisch ist.
Meistens aber herrschen andere Sitten. Der Einzelhandel wird von Konzernen
dominiert, die das Land mit Filialen überzogen haben, die alle gleich
aussehen, ein gleiches Sortiment führen und gleiche Umgangsformen haben.
Allen voran die, an der Kasse notorisch weitere Produkte anzupreisen.
„Wollen Sie zu Ihrem belegten Brötchen noch ein Heißgetränk? Gibt es zum
Aktionspreis“, heißt es dann zum Beispiel an der Theke des Brotfabrikanten
Kamps, der seine Läden nicht mehr „Bäckerei“ nennt, sondern „Backstube�…
seinen Mitarbeitern weiße Mützchen aufsetzt, weil irgendein
Marketingstratege auf die Idee kam, dass eine Prise Mehlstaub-Nostalgie gut
fürs Geschäft sei.
## Nicht aufmerksam, sondern unverschämt
Bei der Discount-Schreibwarenkette McPaper kann man kaum den Laden
verlassen, ohne frontal von der Frage getroffen zu werden, ob man zum
Druckerpapier einen Hunderterpack Prospekthüllen kaufen möchte. „Sind
gerade im Angebot.“ Und am Schalter einer Postfiliale kann es passieren,
dass man, wenn man nicht aufpasst, unvermittelt in ein Gespräch darüber
verwickelt wird, ob man eigentlich mit seinem Bankkonto zufrieden sei.
Das ist nicht aufmerksam, sondern unverschämt. Ausgedacht von Menschen, die
sich in ihren Zentralen den Kopf darüber zerbrechen, wie sich der Profit
maximieren lässt. Weit entfernt von den Schaltern, an denen ihre
bedauernswerten Mitarbeiter keine andere Wahl haben, als ihre Mitmenschen
und sich selbst zu quälen. Denn keiner von denen tut das freiwillig.
Man muss nur einmal in die leeren Augen einer Verkäuferin blicken, die auf
den Satz „Sie müssen mich das fragen, oder?“ mit einem stummen Nicken
reagiert, als hätte man sie gefragt, ob unter der Ladentheke ein
Krimineller kauert, der sie mit einer Pistole bedroht.
Wenn die Finanzinvestoren die Heuschrecken unseres Wirtschaftssystems sind,
dann sind die Strategen, die sich solche Maßnahmen ausdenken und als
Service verbrämen, die Hyänen. Die Raubtiere mit den plumpen Gesichtern
ziehen in Rudeln übers Land und verhalten sich kleptoparasitär: Sie
entreißen anderen ihre Beute und machen sich darüber her. Im Einzelhandel
kann man dasselbe Phänomen als McPaperitis bezeichnen: Businesshyänen
entreißen anderen ihre nett gemeinte Geste und fressen sich daran satt.
## McPaperitis
Doch das ist noch gar nicht das Perfideste. Man kann sich solcher Methoden
ja entziehen, indem man die von der McPaperitis befallenen Läden meidet.
Mit Ausnahme der Post vielleicht, für die sich nicht so leicht eine
Alternative finden lässt, weshalb es ratsam ist, sich am Schalter eine
Verteidigungsmaßnahme zurechtzulegen. Etwa, indem man antwortet: „Danke,
mit meinem Konto bin ich ganz zufrieden. Aber haben Sie was gegen
Sodbrennen?“
Absurd wird es, wenn man mit den Verantwortlichen darüber ins Gespräch
kommen möchte, was in der Kindheit schief gelaufen sein muss, wenn man
nichts daran findet, der Menschheit derart auf die Nerven zu gehen. Dann
passiert zum Beispiel dies: Anruf in der Pressestelle von Kamps, die Nummer
steht auf der Website.
„Moment, ich verbinde Sie mit der Marketingabteilung“, heißt es schnell. In
der Warteschleife zählt eine Stimme auf, was man alles auf dem Kasten habe.
Gefolgt vom Hinweis: „Wir von Kamps können einiges, nur gerade nicht
telefonieren.“ Was Kamps anschließend insofern eindrucksvoll unter Beweis
stellt, als man nach 20 Sekunden aus der Leitung geschmissen wird. Ähnlich
läuft es beim zweiten Versuch, und eine Mail wird erst gar nicht
beantwortet.
## [email protected]
An die Nummer der Zentrale von McPaper zu kommen, ist weniger einfach. Kein
Hinweis im Netz, nichts im Telefonbuch. Zwei willkürlich angerufene
McPaper-Filialen wissen nichts von einer Telefonnummer. In der dritten ist
eine Dame am Telefon, die sagt: „Moment, ich glaube, draußen an der Tür
steht was.“ Nach zwei Minuten kommt sie zurück und diktiert.
Dann: Anruf in der Zentrale. „Das ist ja nicht gerade einfach, Sie zu
erreichen“, sagt man. Und erhält als Antwort, dass es auch nicht möglich
sei, sich mit einem Ansprechpartner verbinden zu lassen. „Sie können ja
eine E-Mail schreiben.“ Das tut man dann und ahnt, dass die E-Mail umgehend
auf der Deponie der nie gelesenen Briefe landen wird: Die Adresse lautet
[1][[email protected]].
Ausgerechnet die Unternehmen also, die an ihren Ladentheken gar nicht genug
mit ihren Kunden kommunizieren können, verstecken sich, wenn man sich mit
ihnen darüber unterhalten möchte, hinter Warteschleifen und allgemeinen
E-Mail-Adressen.
Wie schade. Hätte man die Verantwortlichen doch zu gern gefragt, ob es zu
einem Interview nicht auch noch eine Gute-Nacht-Geschichte sein dürfe. Ist
gerade im Angebot.
26 Jan 2013
## LINKS
[1] /[email protected]
## AUTOREN
Kai Schächtele
## TAGS
Einzelhandel
Post
Konsum
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