# taz.de -- Madagaskars Natur: Die Stars des Regenwaldes | |
> Die Regierung verscherbelt den Wald. Die Artenvielfalt wird durch Raubbau | |
> massiv geschädigt. | |
Bild: Perspektivlosigkeit in Madagaskar vor einem Wahlplakat, das Perspektiven … | |
Sie sind die größten. Und die lautesten. Wer sie hört, dem bleibt die Luft | |
weg, so erzählt man sich. Die Indri Indri sind die Stars im Regenwald des | |
Nationalparks Analamazaotra-Mantadia, 140 Kilometer östlich von Madagaskars | |
Hauptstadt. | |
Während der feuchten Jahreszeit bleiben Lemuren, Chamäleons und Wildkatzen, | |
Schlangen, Geckos, Frösche und was das knapp 12.800 Hektar große Reservat | |
an aufregender Fauna noch zu bieten hat, fast unter sich. Im Januar und | |
Februar waren wieder Wirbelstürme vom Indischen Ozean übers Land | |
hergefallen – keine gute Saison für die Fremden aus Übersee. | |
## Ein Hotspot der Artenvielfalt | |
Zwar ist der Park, „Hotspot der Artenvielfalt“, ein absolutes Muss-Ziel in | |
Madagaskar, wo rund 80 Prozent der Tier- und Pflanzenarten endemisch und | |
höchst schützenswert sind. Doch im Regenwald zur Regenzeit, das tun sich | |
nur Outdoorfreaks an. Wie die knapp zwei Dutzend Gäste, die in der sonst | |
ausgebuchten Hotelanlage „Feon’ny Ala“ einquartiert sind. „Stimme des | |
Waldes“ heißt das in Malagasy. Das passt, die größtenteils aus | |
Naturmaterial konstruierten Bungalows liegen dicht vor der Dschungelwand, | |
aus der nachts ein Konzert aus geheimnisvollem Zirpen, Pfeifen, Quaken und | |
Glucksen tönt. | |
Ob die Indri Indri sich denn auch hören und womöglich sehen lassen? Marcel, | |
ein Veteran unter den Parkführern, kennt die Frage: „Mit Geduld – und auch | |
Glück“, sagt er. Sein Englisch klingt hart. | |
Palisanderbäume, riesigen Agaven ähnelnde Pandanusgewächse, ein Ravinala | |
oder „Baum des Reisenden“, der mit seinem fächerartigen Blattwerk hoch üb… | |
den Wald ragt – Marcel kennt sie alle. Er findet Miniorchideen und bizarr | |
geformte Pilze. Auch den auf einem Ast wippende Paradiesfliegenschnäpper, | |
Wunschtraum eines jeden Ornithologen, macht er aus. | |
## Korruption und Alltagskriminalität | |
Die Pause auf der Höhe muss sein, trinken, die beschlagene Brille putzen, | |
durchatmen. Bis Marcel „Come here! Chamäleon!“ ruft. Ein großes grünes i… | |
es, das sich mit blinkenden Regentropfen auf der Haut fotogen an einen Ast | |
klammert und sofort zur Beute der Kameras wird. | |
In einigen Regionen, bemerkt Marcel, gelten Chamäleons als Glücksbringer. | |
„Viele Madagassen aber mögen sie nicht, weil sie an Politiker erinnern: Die | |
wankende Bewegung, einen Schritt vor, einen zurück, manche der Reptilien | |
wechseln die Farbe, wie unsere Regierungen?“ | |
Seit über drei Jahren plagt eine im Ausland kaum wahrgenommene politische | |
Krise die Menschen Madagaskars, eines der zehn ärmsten Länder der Welt. | |
Seit der 37 Jahre junge Politaufsteiger Rajoelina den vorherigen Präsident | |
und Widersacher Ravalomanana im März 2009 ins Exil nach Südafrika geputscht | |
und sich selbst zum Oberhaupt einer Übergangsregierung ernannt hat, lebt | |
die Mehrheit der 21 Millionen Madagassen buchstäblich von der Hand in den | |
Mund, grassiert zügellos die Korruption, verängstigt die gestiegene | |
Alltagskriminalität vor allem die Stadtbewohner, werden wiederholt | |
unliebsame Oppositionelle und mutige Journalisten verhaftet. | |
Blockierte Hilfsgelder von Geberländern wie der EU und den USA, die das | |
Putschregime nicht anerkennen, fehlen überall – im Gesundheits-, | |
Erziehungswesen und im Naturschutz. Schlimme Umweltfrevel, begünstigt durch | |
schwindende Kontrolle und Profiteure innerhalb der Behörden, sind bekannt | |
geworden. | |
## Als Trost ein Orchideengarten | |
„Im Nationalpark Masoala, im Nordosten, haben sie Unmengen an Rosenholz | |
geschlagen und nach China exportiert, auch in den USA und in Hamburg sind | |
Lieferungen aufgetaucht! Leider werden auch wieder Lemuren gejagt – für den | |
Kochtopf. Überall werden Bäume und Büsche für die Holzkohlenmeiler | |
geschlagen, damit die Leute kochen können“, sagt Marcel. Beschwörend fährt | |
er fort: „Unsere Zukunft – das ist die Natur, das sind Parks wie | |
dieser.Viele Menschen leben vom Fremdenverkehr | |
Aktuell sind Warnungen des WWF, dass bis 2030 Madagaskars Wald verschwunden | |
sein wird, wenn das Abbrennen der Wälder und der Raubbau so weitergeht. | |
„Der vorherige Präsident hat auch Fehler gemacht. Er hatte zwar | |
angekündigt, bis 2011 ein Zehntel des Landes unter Schutz zu stellen, doch | |
gleichzeitig hat er Konzessionen für die Ausbeutung riesiger Landflächen | |
durch Erdöl- und Minengesellschaften vergeben“, erzählt Marcel. | |
In der Gegend um Ambatovy, zwischen der Hafenstadt Toamasina und | |
Antananarivo gelegen, mussten zigtausende Hektar urzeitlichen Primärwaldes | |
weichen, damit ein Bergbaumulti die weltweit größte Fundstätte an Kobalt | |
und Nickel abräumen kann. „Bevor sie den Wald dort abholzten, haben sie | |
wenigstens einige Tiere wie den Goldenen Diademsifaka, eine andere große | |
Lemurenart, hierhin umgesiedelt“, sagt Marcel. | |
„In Toamasina, von wo das Material verschifft wird, leben viele | |
ausländische Experten. Sie spendierten als mageren Trost die Asphaltierung | |
der Innenstadt. Und im Orchideengarten Tafeln mit Erklärungen.“ | |
Der Guide schweigt abrupt, hebt den Finger. Irgendwo unterhalb heult eine | |
Sirene, eine zweite in tieferer Tonlage setzt ein. „Hört ihr sie?!“ Jetzt | |
werden die Laute sanfter, erinnern an die Gesänge von Buckelwalen. Doch | |
nichts bewegt sich, obwohl der Urwald zu vibrieren scheint. Einige hundert | |
Meter weiter, nach einer Rutschpartie den Hang hinab sind die Rufe zwar | |
verstummt, aber die „Feuermelder“ geortet: In den Astgabeln eines alten | |
Palisanderbaums sitzen drei stattliche Lemuren mit schwarz-grauem Fell und | |
abstehenden Wuschelohren. Die Krönung des Waldausflugs. | |
2 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Albrecht Schaefer | |
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