# taz.de -- Neues Volksbegehren in Berlin: Erster Schritt zur Energiewende | |
> Am Montag startet das Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“. Was soll | |
> das? Was kostet es? Die taz beantwortet die wichtigsten Fragen. | |
Bild: Der Strom kommt bald nicht nur aus der Steckdose. | |
Was wollen die Initiatoren des Volksbegehrens erreichen? | |
Berlin soll zwei neue öffentliche Unternehmen gründen, um damit die | |
Energiewende voranzutreiben und aktiven Klimaschutz zu betreiben: Berliner | |
Stadtwerke sollen erneuerbare Energien produzieren und an Kunden in Berlin | |
verkaufen. Eine Berliner Netzgesellschaft soll von 2015 an das Stromnetz | |
von Vattenfall zurück in kommunale Hände holen. | |
Will die Politik nicht genau dasselbe? | |
Doch. Außer der CDU sind alle im Parlament vertretenen Parteien offizielle | |
Unterstützer des Volksbegehrens. Zudem haben sich alle Fraktionen im | |
Abgeordnetenhaus, inklusive der CDU, mehr oder weniger deutlich für | |
Stadtwerke sowie ein kommunales Stromnetz ausgesprochen. Rot-Schwarz hat | |
Gesetze auf den Weg gebracht, die die Gründung von Ökostadtwerken als | |
Tochterunternehmen der Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) vorsehen. | |
Umweltsenator Michael Müller (SPD) ist für das Landesunternehmen namens | |
Berlin Energie (BE) zuständig, das sich um die Stromnetzkonzession bewirbt. | |
Warum startet dann jetzt ein Volksbegehren? | |
Den Initiatoren sind die Pläne der Politiker zu unverbindlich. Sie | |
befürchten, diese wollten nur die Öffentlichkeit beschwichtigen und das | |
Volksbegehren bremsen. Zudem lehnt Rot-Schwarz die basisdemokratische | |
Dimension des Energietisch-Modells als zu aufwendig ab. Folglich sollen im | |
Aufsichtsrat der beiden Unternehmen neben Senats- und | |
ArbeitnehmervertreterInnen je sechs direkt gewählte Bürger sitzen; | |
regelmäßige Bürgerversammlungen und veröffentlichte Dokumente wie | |
Aufsichtsratsbeschlüsse sollen Transparenz herstellen. | |
Was hat es mit den Plänen für die Stadtwerke auf sich? | |
Sie sollen Strom aus eigener, dezentraler Erzeugung in Berlin und | |
Brandenburg gewinnen, so steht es in dem Gesetzentwurf, den der | |
Energietisch vorgelegt hat. Solar- oder Wasserkraftwerke im Ausland sind | |
als Stromquellen tabu – lediglich in den übrigen 14 Bundesländern dürfte | |
das Unternehmen Energie akquirieren, bräuchte dafür aber stets eine | |
Sondergenehmigung des Abgeordnetenhauses. Die Stadtwerke sollen aber auch | |
das Stromsparen fördern: durch Unterstützung bei energetischen | |
Gebäudesanierungen, Stromsparberatungen und die Installation von | |
intelligenten Zählern. Außerdem sollen sie eine soziale Geschäftspolitik | |
verfolgen und möglichst niemandem den Strom abstellen, weil er offene | |
Rechnungen hat. | |
Warum unterstützt der Energietisch dann nicht einfach die BSR-Pläne der | |
rot-schwarzen Koalition? | |
Dass eine Tochter der Stadtreinigung die richtige Form für Stadtwerke ist, | |
bezweifelte in einer Anhörung im Umweltausschuss sogar die BSR-Chefin: In | |
Berlin kämpfen 300 Stromanbieter um Kunden, doch der BSR fehlt bisher | |
jegliche Kompetenz im Vertrieb von Strom, zudem setzt ihr das | |
Müllgebührenrecht enge Grenzen für neue Geschäftsfelder. Umweltsenator | |
Michael Müller hält die Berliner Energieagentur (BEA) für besser geeignet – | |
die bietet schon jetzt Energieberatung an und beliefert Kunden mit Strom | |
aus Fotovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerken. Doch das Land müsste sich | |
erst mit den anderen Anteilseignern der BEA einigen, um daraus ein reines | |
Landesunternehmen zu machen. Die Eigner sind die staatliche KfW-Bank, Gasag | |
und Vattenfall. Senator Müller: „Wir sind in Gesprächen.“ | |
Und warum sollte Berlin sein Stromnetz selbst betreiben? | |
Zum einen, weil die Stadt dann über Investitionen, etwa zugunsten | |
intelligenter Technologien, verfügen könnte. Zum anderen, weil ein | |
Stromnetz bei effizientem Betrieb eine solide Rendite für den Betreiber | |
abwirft. Zwischen 2007 und 2011 machte Vattenfalls für das Berliner Netz | |
zuständige Tochter durchschnittlich 28 Millionen Euro Gewinn pro Jahr. | |
Dieses Geld, so der Energietisch, soll nicht mehr in einem privaten Konzern | |
aufgehen, sondern dem Land Berlin zugute kommen. | |
Kostet es nicht irre viel Geld, solch ein Netz zu übernehmen? | |
Mit 400 Millionen Euro kalkuliert der Energietisch, von 3 Milliarden | |
spricht Vattenfall. Für eine endgültige Klärung müssten wohl Gerichte | |
sorgen. Als sicher gilt, dass sich der Kauf über Kommunalkredite und die | |
solide Rendite realisieren ließe. Der Energietisch schlägt zudem | |
Bürgeranleihen vor – was dem Modell der BürgerEnergie Berlin entgegenkommt, | |
die zurzeit Genossenschaftsmitglieder für den Netzkauf anwirbt. | |
Woran könnte die Kommunalisierung des Netzes scheitern? | |
Am besseren Angebot von einem der sieben Mitbewerber; dem müsste die | |
zuständige Senatsverwaltung für Finanzen dann den Zuschlag geben. Deshalb | |
soll das Volksbegehren dem Senat Druck machen, dass er Berlin Energie mit | |
ausreichend Personal, Know-how und Finanzen ausstattet, um die Konzession | |
zu gewinnen. Außerdem haben SPD und CDU nur festgelegt, dass mindestens 51 | |
Prozent von Berlin Energie dem Land gehören müssen. Denkbar ist also ein | |
Kooperationsmodell mit anderen Bewerbern. Dafür käme die Genossenschaft | |
BürgerEnergie Berlin infrage, aber eben auch Vattenfall – ganz nach Gusto | |
der Politik und dem Ausgang des Volksbegehrens. | |
Wie stehen die Chancen? | |
Gut. 173.000 Unterschriften sind nötig, doch die Initiatoren sprechen immer | |
nur von der Zielmarke 200.000. Dieses Selbstvertrauen speist sich aus dem | |
großen, 50 Mitglieder umfassenden Bündnis, das der Energietisch darstellt. | |
Dazu gehören im Energie- und Ökologiebereich kundige Mitglieder wie BUND | |
und Nabu, kampagnenerprobte Akteure wie Attac und Michael Efler von Mehr | |
Demokratie e. V., Sozialverbände, Parteien und seit Kurzem auch der | |
Berliner Mieterverein mit seinen 150.000 Mitgliedern. | |
10 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Puschner | |
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