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# taz.de -- Kommentar Papst Benedikt XVI.: Zu „modern“ für Gottes Statthal…
> Mit seiner Amtsaufgabe entzaubert Joseph Ratzinger ein wichtiges Ritual.
> Die katholische Kirche wird sich davon nicht so schnell erholen.
Bild: Am Tag als Benedikt XVI. seinen Rücktritt bekannt gab: Tiefes Grollen un…
Kann man beschließen, nicht mehr der Stellvertreter Gottes sein zu wollen?
Kann man entscheiden, sich künftig vom Allmächtigen nicht mehr bis hin zur
eigenen Unfehlbarkeit erleuchten zu lassen?
Wer nicht religiös ist, zuckt bei derlei Fragen vermutlich die Achseln. Mit
jener Mischung aus Gleichgültigkeit und Ratlosigkeit, mit denen säkulare
Liberale alle Religionen betrachten: Man hat ja nichts dagegen, aber warum
ein Drama daraus machen?
Jeder Glaubensinhalt, den man selbst nicht teilt, wirkt irrational und
absurd. Interessant sind jedoch nicht die religiösen Botschaften als
solche, sondern die Kontexte, in denen sie stehen. Und die Folgen, die sie
haben.
Die Frage, ob sich ein Papst im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte aufs
Altenteil zurückziehen kann, berührt einen Kern des Katholizismus.
Kirchenrechtlich ist ein Rücktritt allerdings kein Problem: Wenn der
Schritt aus freien Stücken erfolgt, also ohne Druck von außen, und wenn er
außerdem öffentlich angekündigt wird, dann ist er wirksam und hat dieselben
Konsequenzen wie der Tod eines Oberhauptes der katholischen Kirche.
Aber das ist eine sehr theoretische Betrachtungsweise. Es ist kein Zufall,
dass Päpste in der Geschichte nur sehr selten zurückgetreten sind und noch
viel seltener freiwillig. Papst Coelestin V. trat im Jahr 1294 zurück: ein
Mann, der sich dem Amt offenbar nicht gewachsen fühlte, der als
Einsiedlermönch starb und später heilig gesprochen wurde.
Dieser Rücktritt liegt mehr als 700 Jahre zurück. Mehr als 700 Jahre! Kein
anderes Amt wurde über einen so langen Zeitraum hinweg von seinen
jeweiligen Trägern bis zum Tod ausgeübt, läßt man die wenigen Fälle einmal
beiseite, in denen Päpste durch äußere Umstände wie Intrigen und
Erpressungen zum Verzicht gezwungen wurden.
Gewiss war Benedikt XVI. nicht der erste Papst, der sich altersschwach
fühlte. Aber für keinen seiner Vorgänger war das ein hinreichender Grund,
sein Amt aufzugeben. Im Gegenteil. Der angekündigte Rückzug wirkt jetzt –
ob absichtsvoll oder zufällig – eher wie eine Distanzierung vom Vorgänger
und einstigen Vertrauten.
Johannes Paul II. hatte erklärt, er lege die Dauer seiner Amtszeit in
Gottes Hände. Was hieß: Er blieb Papst bis zu seinem Tod. Und hat durch
seine öffentlich gelebte Krankheit eine Auseinandersetzung mit den Themen
Leid und Behinderung erzwungen.
Das wollte und will sein Nachfolger nicht. Dessen Entschluss zum Rücktritt
lässt sich auf sehr verschiedene Weise betrachten: als demütige Geste eines
Menschen, der seine eigenen Grenzen erkennt und öffentlich benennt – oder
als rationale Entscheidung des Managers einer Weltkonzerns, der weiß, wann
es Zeit ist, abzutreten.
Der angekündigte Rücktritt des Papstes kann als Akzeptanz der
Herausforderungen gewertet werden, mit denen das Pontifikat im 21.
Jahrhundert konfrontiert ist, anders ausgedrückt: als Bereitschaft, sich im
Spannungsfeld zwischen religiösen und weltlichen Anforderungen zu bewegen
und die jeweils richtigen Prioritäten zu setzen. Ein Papst, der nicht mehr
mobil ist, kann sein Amt nicht so ausüben, wie es heutzutage von ihm
erwartet wird. Also muss er zurücktreten.
Muss er wirklich? Die Entscheidung des „noch amtierenden“ Papstes zum
Rücktritt – was für eine Formulierung! Geht das: des „noch amtierenden“
Stellvertreter Gottes? –, diese Entscheidung also wirkt modern.
Zukunftweisend, wenn man darunter denn die Einsicht verstehen will, dass
die eigenen Kräfte schwinden. Aber ist das nicht ein bisschen wenig, ein
bisschen allzu „modern“ – für Gottes Statthalter?
Die katholische Kirche behauptet, dass die Kardinäle im Konklave bei der
Papstwahl von irgend einem Zeitpunkt an nicht mehr von machtpolitischen
Erwägungen geleitet werden, sondern dass der göttliche Wille auf sie
übergeht.
Der Rücktritt des Papstes wird deshalb auch im Hinblick auf die Wahl seines
Nachfolgers nicht folgenlos bleiben. Wer zeigt, dass er einfach gehen kann,
entzaubert das Ritual.
Mit dem Rücktritt von Benedikt XVI. droht die katholische Kirche zur
Gefangenen eines Mythos zu werden, den sie selber geschaffen hat. Hätte ein
alter Mann einfach erklärt, er wolle sich jetzt endlich ausruhen – niemand
hätte darin ein Problem sehen können. Aber Benedikt XVI. ist eben nicht
einfach ein alter Mann. Sein Rückzug dürfte für Unruhe sorgen. Nicht für
lauten Protest, aber für lange anhaltendes Unbehagen. Das hat der
katholischen Kirche gerade noch gefehlt.
12 Feb 2013
## AUTOREN
Bettina Gaus
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