# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Pizzen verdrängen Policen II | |
> In der Herrfurthstraße 8 hat Orhan Daldeniz viele Jahre Versicherungen | |
> verkauft. Doch die Miete wurde zu teuer. Nun bietet Antonio Vigner dort | |
> Pizzen an. Die taz hat beide getroffen. | |
Bild: Neues verdrängt das Alte: Straßenrand im Schillerkiez. | |
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Orhan Daldeniz bittet aufs schwarze Sofa im Hinterzimmer seines Büros. Ecke | |
Gneisenaustraße/Mehringdamm, im Hinterhof, aber mit großem blauen | |
„Allianz“-Schild vorn an der Straße. Daldeniz stellt türkischen Tee auf d… | |
kniehohen Tisch, lässt sich in einen Sessel fallen. Er trägt Strickjacke, | |
Jeans, den Bart gestutzt. „Ich sehe vielleicht nicht aus wie ein | |
Vertreter“, entschuldigt sich der 36-Jährige lächelnd, „aber so fühle ich | |
mich wohl.“ Neben dem Sofa stapeln sich Kartons. Unausgepacktes aus der | |
Herrfurthstraße, aus Daldeniz’ altem Büro. | |
„Letzten Juni lief mein Mietvertrag in der Herrfurthstraße aus. Als das | |
neue Angebot kam, dachte ich, das sei ein Witz: 860 Euro. Vorher hatte ich | |
524 Euro gezahlt, ganz am Anfang 476 Euro. Ich habe bei der neuen | |
Hausverwaltung angerufen, habe gefragt, wie ich als Versicherungsbüro | |
meinen Umsatz für so eine Miete steigern soll? Da haben sie gesagt, ich | |
könnte ja Gastronomie machen. Dann allerdings wäre die Miete 1.150 Euro. | |
Aber ich bin Versicherer! Und so viel Geld für die Herrfurthstraße, eine | |
B-Lage, höchstens. Das war mir zu blöd. Ich hatte den Laden 2007 | |
angemietet, da war überhaupt nichts los. Vorm Laden haben sich oft Trinker | |
getroffen, da wurde es manchmal so laut, dass ich gar nicht mehr arbeiten | |
konnte. Aber ich mochte die Atmosphäre in der Straße. Wenn die Sonne | |
schien, habe ich oft abgeschlossen und mich rausgesetzt.“ | |
Daldeniz’ altes Büro in der Herrfurthstraße war schlicht: Zwei kleine | |
Räume, Schreibtisch, weiße Wände. Besucher kamen auch mal nur auf einen | |
Tee. „Gott und die Welt“ würden ihn kennen, sagt Daldeniz. In Kreuzberg ist | |
er Vorsitzender des Fußballvereins Türkspor. Er kann zuhören, antwortet | |
ruhig, höflich. Auch über die Geschichte mit der Mieterhöhung kann er heute | |
lachen. | |
„Dann kam der Burgerladen, direkt nebenan. Ich dachte, was soll das denn? | |
Vielleicht läuft so was an der Hermannstraße, aber hier? Aber die Leute | |
kamen in Strömen, wie am Boxi. Wahnsinn. Ich bin ja morgens immer direkt in | |
mein Büro, aber da habe ich mal den Laden abgeschlossen und eine Runde | |
gemacht. Und wirklich: Die leeren Läden waren alle wieder belegt.“ | |
Daldeniz ist seit 14 Jahren bei der Allianz, versichert Imbisse und | |
Bäckereien, die kleinen Leute. Er hat eine Devise: Verkaufe nur, was du | |
selbst kaufen würdest. Boni, sagt er, seien ihm egal. Er mag seinen Job. | |
„Traurig war ich eigentlich nicht, dass ich gehe musste. Eigentlich wollte | |
ich schon immer in den Bergmannkiez. Da bin ich geboren, da wohne ich, da | |
fühle ich mich wohl. Das neue Büro in der Gneisenaustraße habe ich über | |
einen Kumpel. Es ist billiger als die Neumiete im Schillerkiez: 600 Euro | |
warm. Obwohl ich hier 30 Quadratmeter mehr habe und die Lage viel zentraler | |
ist.“ | |
Auch Daldeniz’ neues Büro ist zweigeteilt, mit kleiner Treppe zum | |
Hinterraum. Auch in die Gneisenaustraße kommt heute Tee-Besuch: Daldeniz’ | |
Bruder. Der Vater zweier Kinder ist ein Familienmensch. Seine Frau arbeitet | |
im Büro, seine Eltern wohnen gleich nebenan. | |
„Ich habe schon gemerkt, dass sich im Schillerkiez was ändert: Mein | |
Kundenstamm wurde immer bunter, auch ausländische Studenten kamen vorbei: | |
Italiener, Engländer, Franzosen. Die wollten dann Hausratsversicherungen | |
oder Haftpflicht. Die WGs ziehen aber natürlich auch die Mieten nach oben. | |
Ich habe den Eindruck, dass das systematisch hochgepusht wird. Leider gehen | |
aber auch meine Landsleute in Läden, bei denen ich denke: Ist das noch | |
normal, zu Mieten von 4.000, 5.000 Euro einfach okay zu sagen? Ich finde, | |
davon sollte man Abstand nehmen und dem Vermieter mal zeigen: So weit könnt | |
ihr nicht gehen. | |
In der Herrfurthstraße zogen die Neuen in Leerstand, andere lösten die | |
Alten ab. Die Kneipe „Engels“ ging ins alte Keglerheim und die Schillerbar | |
in eine türkische Bäckerei. Andere aus der Zeit vor der Öffnung des Feldes | |
sind noch da: der Handyshop, die Eckkneipe Herrfurtheck. In Daldeniz’ Büro | |
gibt es jetzt Pizza. | |
„Die türkische Bäckerei gleich an der Ecke hat noch bis zum Schluss | |
investiert und ihren Laden umgebaut. Eines Tages war sie dann zu. Warum, | |
weiß ich nicht, freiwillig bestimmt nicht. Dass bei dem Nachfolger, der | |
Bar, die Scheiben eingeschlagen wurden, fand ich aber daneben. Auch die | |
Neuen haben sich ja viel Mühe gegeben. Ich war neugierig und habe mal | |
geguckt, wer meinen alten Laden angemietet hat. Sieht von außen schick aus. | |
Pizza also – das passt ja zu der Gastronomie-Idee der Hausverwaltung. Im | |
Schillerkiez bin ich sonst nur noch, wenn ich mit meiner Familie in die | |
Sehitlik-Moschee gehe oder aufs Tempelhofer Feld.“ | |
15 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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