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# taz.de -- Frauenroman aus Albanien: Eine Akte geöffnet
> Die Sippe zählt in Albanien immer noch mehr als das Individuum. Lindita
> Arapi erzählt zum ersten Mal aus Sicht einer Frau über die Frauen in
> ihrem Land.
Bild: Albanische Frauen wehren sich. Hier 1997 wegen eines Lottobetrugs.
BERLIN taz | Zu Zeiten von Enver Hodscha wusste kaum jemand außerhalb des
Landes, was innerhalb desselben vor sich ging. Und heute interessiert es
kaum jemand. Noch schlimmer ergeht es der albanischen Literatur. Wer kennt
schon außer eventuell noch Ismail Kadaré, überhaupt irgendeinen albanischen
Schriftsteller? Von Schriftstellerin ganz zu schweigen.
Jetzt gibt es eine, Lindita Arapi, deren Debüt „Schlüsselmädchen" zum Roman
des Jahres 2011 in Albanien gewählt wurde und das kürzlich ins Deutsche
übersetzt wurde. Zum ersten Mal wird hier eine Geschichte der immer noch
herrschenden atavistischen Verhältnisse in Albanien erzählt, jedenfalls zum
ersten Mal von einer Frau.
Es geht um Lodja, ein Mädchen bzw. eine junge Frau, deren Biographie
typisch ist für den Lebenslauf albanischer Frauen. Als kleines Mädchen, so
beginnt der Roman, sitzt Lodja jeden Tag am Fenster ihres Elternhauses und
beobachtet die Dorffrauen beim Tratschen und Kaffeetrinken. Ihre eigene
Mutter ist nie dabei. Und Lodja darf auch nicht raus. Warum, das findet sie
erst viel später raus.
Als Lodja erwachsen ist, geht sie ins Ausland, um dort zu studieren, eine
andere, eine offenere Welt kennenzulernen. Doch sie kehrt zurück und will
endlich wissen, was da los war, in der Vergangenheit ihrer Familie und
warum sie immer so komisch behandelt wurde. Sie erfährt, dass ihr Großvater
während der der kommunistischen Diktatur in „Ungnade" gefallen war und
damit die gesamte Familie abgestempelt und ausgeschlossen war. Das
bedeutete, nicht jeden heiraten zu können, den man liebte, geringe Chancen
auf ein Studium, etc., Aussätzige in einem hermetischen politischen System.
Doch auch innerhalb der Familie geht es hermetisch zu. Arapi erzählt die
Familiengeschichte anhand der Frauen: Lodja, ihre Mutter Dria, ihre
Großmutter Fatima. Sie sind „Profile bestimmter Zeiten" sagt die 1972 in
Albanien geborene Journalistin, die heute in Bonn lebt und bei der Deuschen
Welle arbeitet. Ihre Lebensgeschichten der Frauen zeigen immer wieder
eines: Die Sippe, der Brauch, der Atavismus sind noch beständiger als Enver
Hodschas Staat.
Arapi leistet etwas, für das Literatur auf dem Balkan immer herhalten muss,
Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen. Dabei trifft ihr Roman aber
mitten in einen gesellschaftlichen Wandel. Neben bildhübschen Popstars, die
sich auch mal für die Rechte der Frauen stark machen, ist zwar die
Parlamentspräsidentin eine Frau, es gibt auch etliche Professorinnen, aber
die rurale Stammeskultur ist ein Tabuthema. Wegen der Landflucht allerdings
längst auch in den Städten virulent.
Eine Frauenbewegung hat es in Albanien nie gegeben. „Die Mütter opfern sich
für ihre Kinder, tun alles, damit die Mädchen es besser haben. Doch im
Gegenzug fordern sie totale Gehorsamkeit und das macht das Verhältnis
zwischen Tochter und Mutter in Albanien so schwierig. Das Wort Pubertät
habe ich zum ersten Mal in Deutschland gehört. Mit 22 Jahren“, erzählt
Arapi im Gespräch.
Hinzu komme, dass Albanien eine traumatisierte Gesellschaft sei. „Doch
keiner redet darüber.“ Was sie damit meint, sind die nicht aufgearbeiteten
Verbrechen des sozialistischen Staates. Albanien ist das einzige Land, das
bis heute seine Akten geschlossen hält. Zwar fordern beide großen
politischen Parteien permanent die Öffnung der Akten, doch keiner tut es.
Arapi jedenfalls hat eine Akte geöffnet, in die nun alle Einsicht haben.
Hoffentlich nützt es.
Lindita Arapi: „Schlüsselmädchen". Dittrich Verlag, Berlin 2012, 206 S.,
19,80 Euro.
26 Feb 2013
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Albanien
Frauen
Debütroman
Albanien
Albanien
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