# taz.de -- Berliner Kulturlandschaft: Der unbekannte Besucher | |
> Wie lockt man mehr migrantische BerlinerInnen in kulturelle Angebote, | |
> fragte die Kulturloge. Eine Podiumsdiskussion im Grips Theater suchte | |
> Antwort. | |
Bild: Interessant für Migranten? Die Kippenberger-Ausstellung im Museum Hambur… | |
"Alle sollten Zugang zu Kultur haben", ob reich oder arm, jung oder alt, | |
Deutscher oder Nicht-Deutscher, konstatierte der Intendant des | |
Grips-Theater, Stefan Fischer-Fels gleich zu Beginn. Aber, fügte er | |
selbstkritisch hinzu: Das Grips behandele in der Regel "sehr deutsche | |
Themen, gespielt von deutschem Personal". Entsprechend sei das Publikum: | |
vor allem Deutsch. Wie Berliner Kultureinrichtungen mehr migrantische | |
Besucher gewinnen können, war Thema der Jahrespressekonferenz der | |
Kulturloge Berlin am Freitag. | |
Seit 2010 vermittelt der Verein Kulturloge e.V. nicht verkaufte | |
Eintrittskarten für Kulturveranstaltungen an Geringverdiener. Wer von dem | |
Angebot profitieren möchte, muss sich als Gast bei der Kulturloge anmelden | |
und wird persönlich angerufen, wenn der Verein zwei Tickets hat, die | |
möglicherweise auf ihn passen könnten. Die Karten kommen von | |
Kultureinrichtungen, die mit der Loge kooperieren: das Prinzip entspricht | |
dem der Lebensmittel-Tafeln, wo etwa Supermärkte nicht verkaufte | |
Lebensmittel spenden. Die persönliche Vermittlung dieser „Restposten“ durch | |
inzwischen 74 großenteils ehrenamtlichen Mitarbeitern hat durchaus Erfolg: | |
2012 habe der Verein 23.000 Tickets an rund 6.000 Gäste vermitteln können, | |
sagte Kulturlogen-Gründerin Angela Meyenburg zur Einführung in die | |
Diskussion. | |
Allerdings habe man im Laufe der Zeit festgestellt: Besonders schwierig sei | |
es, migrantische BerlinerInnen für einen Besuch etwa im Theater oder einem | |
Museum zu begeistern. Zudem habe die Kulturloge bislang relativ wenig | |
migrantische Kulturangebote in ihrem Programm, auch das wolle man ändern – | |
um so auch dem deutschen Publikum umgekehrt den Zugang zu migrantischer | |
Kultur zu erleichtern. Im April 2012 habe man daher das Projekt "Kulturelle | |
Teilhabe migrantischer GeringverdienerInnen" gestartet. | |
Wo gibt es denn Kulturangebote, die migrantische BerlinerInnen besonders | |
interessieren könnten? Mit welchen migrantischen Kulturanbietern könnte die | |
Kulturloge also kooperieren, um die Zielgruppe der Migranten zu erreichen? | |
Meyenberg hat im Verlaufe ihrer Suche nach den Migranten eine – für Berlin | |
doch überraschende - Erkenntnis gewonnen. „Es gibt gar nicht so viele | |
Institutionen in Berlin, die migrantische Kultur zeigen“, befand sie in der | |
Diskussion. Oder die Projekte seien finanziell so eng ausgestattet, dass | |
sie es sich nicht leisten könnten, Eintrittskarten für die Kulturloge zu | |
verschenken. Aktuell würden etwa dem Tiytrom - Türkisches Theater Berlin, | |
mit dem die Kulturloge kooperiert, die Zuschüsse gekürzt. „Das ist auch für | |
die Stadt schade“, befand die Kulturlogen-Chefin. | |
Was die migrantischen Besucherzahlen in Kultureinrichtungen angeht, sei | |
eine Steigerung gewiss nötig, bestätigte Thomas Renz vom Institut für | |
Kulturpolitik der Uni Hildesheim, die das Projekt wissenschaftlich | |
begleitet. Schließlich sei die Idee von der „Kultur für alle“ längst kei… | |
sozialdemokratische Idee mehr. „Das wollen alle“, so Renz. Ganz im | |
Gegensatz dazu werde aber öffentlich geförderte Hochkultur vor allem von | |
Akademikern genutzt, kaum von Menschen mit geringem Bildungsgrad. So seien | |
nur 10 Prozent der Nutzer von Hochkultur regelmäßige Nutzer aller Arten von | |
Kulturgüter wie Theater, Museum, Programmkino, Oper. Diese seien Deutsche | |
und in der Regel mit Studienabschluss. 40 Prozent der Kulturnutzer seien | |
Gelegenheitsnutzer und sogar 50 Prozent seien so genannte Nicht-Besucher | |
bzw. Fast-Nie-Besucher. „In dieser letzten Gruppe haben viele einen formal | |
niedrigen Bildungsabschluss“, erklärte Renz. Bei Menschen mit | |
Migrationshintergrund seien diese Tendenzen noch ausgeprägter: Generell | |
nutzten sie Kultureinrichtungen seltener als Deutsche, und noch weniger am | |
unteren sozialen Rand. | |
Was ist da zu tun? Zum einen versucht die Kulturloge, einen besseren Zugang | |
zu potenziellen migrantischen Gästen zu bekommen, indem sie sich an soziale | |
Träger und Vereine wendet, die im entsprechenden Umfeld arbeiten. So sei | |
ein wichtiger Botschafter der Kulturloge etwa der Verein Aufbruch Neukölln | |
von Kazim Erdogan, erklärte Meyenberg. Als neuen Partner stellte sie bei | |
der Veranstaltung den Berliner Landesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) | |
vor. Dessen Geschäftsführer Hans-Wilhelm Pollmann erklärte, die AWO habe | |
seit 50 Jahren Erfahrung in der Beratung von türkeistämmigen Bürgern.„Das | |
können wir nutzen um Menschen aufzuschließen für diesen Bereich der | |
Kultur,“ hofft er. | |
Allerdings warnte Kulturforscher Renz vor zu großen Hoffnungen, mit dem | |
Abbau einer Barriere, etwa der Sprache, würden gleich die Besucherzahlen | |
der Theater in die Höhe schnellen. „Die größte Barriere bei migrantischen | |
Nicht-Besuchern ist das mangelnde Desinteresse im sozialen Umfeld“, sagte | |
der Kulturforscher. Denn bei Migranten würden Kulturveranstaltungen vor | |
allem als soziale Veranstaltungen begriffen: Man geht hin, weil man etwas | |
mit Freunden oder Familie machen möchte. „Man geht nicht hin, wenn die | |
Freunde kein Interesse haben“, erklärt er. | |
Kulturangebote müssen sich also den Lebenswelten von Migranten öffnen, um | |
für sie interessant zu werden, so ein Fazit der Diskussion. Etwa, schlug | |
Renz vor, indem sie nach draußen gehen, auf die Straße, etwas mit den | |
Menschen zusammen machen „und ihre Veranstaltungen so aufbauen, dass sie | |
geselliger sind“. Sie müssten aber auch Bezüge zu den Herkunftsländern der | |
potenziellen Besucher herstellen. So wie die Ausstellung "7 mal jung": Sie | |
versuche, NS-Geschichte für türkische SchülerInnen interessant zu machen, | |
indem sie über die deutsche Emigation in die Türkei in den 30ern aufkläre, | |
sagte Sophia Oppermann vom Verein "Gesicht Zeigen!". Da stimmte auch | |
Schauspieler Kerem Can zu: Man solle aufhören einseitig Integration zu | |
fordern, „ich und meine Eltern sind auch Teil der deutschen Geschichte und | |
diese Geschichten muss man auch erzählen“. Auch die Kulturinstitutionen | |
müssten sich langfristig ändern, man brauche etwa türkeistämmige | |
Intendanten an den Theatern: "Und das wird kommen", gab er sich | |
zuversichtlich. | |
1 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Indien | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
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