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# taz.de -- Klinikfusion in Norddeutschland: Abtreibung von Gottes Gnaden
> In Wilhelmshaven wollen die städtische und die katholische Klinik
> fusionieren. Künftig gibt es nur noch medizinisch indizierte
> Schwangerschaftsabbrüche.
Bild: Kein Abbruch unterm Jesuskreuz: In zwei Krankenhäusern in Wilhelmshaven …
HAMBURG taz | Mehr als 50 Kilometer zum nächsten Krankenhaus, das
Schwangerschaftsabbrüche vornimmt – das wird für die Wilhelmshavenerinnen
die Folge einer Fusion der zwei Kliniken im Ort sein. Das städtische
Reinhard-Nieter-Krankenhaus und das von einem katholischen Verein getragene
St. Willehad Hospital sollen zusammengehen. Im nächsten Jahr sollen die
beiden Häuser in einer Gesellschaft geführt werden – später sollen sie in
einem Neubau zusammenziehen. So steht es in einem Eckpunkte-Papier, auf das
sich beide Häuser geeinigt haben. Der Stadtrat hat zugestimmt.
An der neuen Gesellschaft wird der katholische Verein etwa 20 bis 30
Prozent halten – doch er will bestimmen, an welchen Werten sich die neue
Krankenhausgesellschaft orientiert. Eine „katholische Identität“ soll sich
die neue Gesellschaft geben. Das heißt praktisch: Schwangerschaftsabbrüche
sollen in dem dann überwiegend städtischen Unternehmen so gut wie nicht
mehr durchgeführt werden dürfen – nur noch, wenn eine „medizinische
Indikation“ vorliegt.
Das ist im Reinhard-Nieter-Krankenhaus anders. Bisher werden dort rund 70
Schwangerschaftsabbrüche im Jahr auf Wunsch der Schwangeren und nach der
vorgeschriebenen Konfliktberatung vorgenommen. Darüber hinaus gibt es zwei
Gynäkologische Praxen in Wilhelmshaven, die Schwangerschaftsabbrüche
durchführen.
Das nächste Krankenhaus liegt in Varel – und ist ebenfalls katholisch. In
Oldenburg und Westerstede gibt es die nächsten Krankenhäuser mit
gynäkologischer Abteilung ohne „katholische Identität“ – die also
Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
„Das ist untragbar für uns“, sagt Andreas Bergen, Geschäftsführer des Pro
Familia Landesverbands in Niedersachsen, der auch eine Beratungsstelle in
Wilhelmshaven betreibt. Sein Verband habe ein Problem mit katholischen
Krankenhäusern, die losgelöst von Rechtsgrundsätzen ihre Werte durchsetzen
wollten, sagt er. „Man muss den Frauen die Wahl lassen zwischen
verschiedenen Arten des Schwangerschaftsabbruchs – ein Krankenhaus bietet
andere Möglichkeiten als eine ambulante Praxis“, sagt Bergen.
## Katholische Dominanz in der Gesellschaft
„Ich habe auch jetzt schon mehr Schwangerschaftsabbrüche als das
Krankenhaus“, sagt die Gynäkologin Eva Klee aus Wilhelmshaven. Das seien 80
bis 100 im Jahr. Sie könne vermutlich mit ihrem Kollegen zusammen auch die
Fälle aus der städtischen Klinik auffangen, sagt sie.
Es sei aber trotzdem schlecht, wenn es kein Krankenhaus im Ort gebe, das
Schwangerschaftsabbrüche anbiete. „Es gibt Fälle, bei denen es sinnvoll und
notwenig ist, dass ein Schwangerschaftsabbruch im Krankenhaus stattfindet:
Wenn die Schwangerschaft sehr weit fortgeschritten ist oder die Patientin
andere Erkrankungen hat, die einen ambulanten Eingriff zu riskant
erscheinen lassen“, sagt Klee.
„Es gibt keine Alternative zur Fusion“, sagt Werner Biehl,
Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat von Wilhelmshaven und
Vorsitzender des Krankenhaus-Ausschusses. Die Gebäude beider Häuser müssten
dringend saniert oder modernisiert werden. „Es gibt immer noch Abteilungen,
die nur eine Toilette auf dem Flur haben.“ Außerdem gebe es
Überkapazitäten, die städtische Klinik stand vor der Insolvenz: Allein neun
Millionen Euro Verlust 2012, für 2013 sind sechs Millionen Miese geplant.
Doch warum die katholische Dominanz in der Gesellschaft? „Wir haben als Rat
den Eckpunkten zugestimmt, aber der Verwaltung auch klar gemacht, dass wir
ein Problem damit haben, dass katholische Werte in der neuen
Krankenhausgesellschaft gelten sollen.“
Dass die beiden Partner fusionieren, liegt vor allem am Sozialministerium
in Hannover. „Aus Krankenhaus-planerischer Sicht ist es sinnvoll, beide
Häuser in einem Neubau zusammenzuführen, um die stationäre Versorgung der
Menschen vor Ort langfristig zu sichern“, sagt eine Sprecherin. Das hätte
das Ministerium beiden Kliniken auch immer wieder vorgeschlagen. Das
Ministerium hat angekündigt, das neue Gebäude zu bezuschussen. In welcher
Form aber die Zusammenarbeit stattfinde, habe man nicht vorgegeben.
„Unserer Auffassung nach sollten die Krankenhäuser auch
Schwangerschaftsabbrüche weiter anbieten dürfen“, sagt die Sprecherin. Das
könne das Land aber nicht juristisch durchsetzen. Doch die Kirche solle
diese Debatte zum Anlass nehmen, „um für sich zu prüfen, wie weit sie sich
der modernen Gesellschaft öffnen möchte“.
4 Mar 2013
## AUTOREN
Daniel Kummetz
Daniel Kummetz
## TAGS
katholisch
Schwerpunkt Abtreibung
Katholische Kirche
Katholizismus
Krankenhäuser
Klinik
Schwerpunkt Paragraf 219a
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