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# taz.de -- Kolumne American Pie: Paulus on Ice
> Jaromír Jágr spielt immer noch Eishockey. In Dallas präsentiert sich der
> arrogante Schnösel von einst als Vorbild für die Jüngeren.
Bild: Im Kreise seiner Lieben: Altmeister Jaromir Jagr lässt sich für einen T…
DALLAS taz | Sollte Peter Pan jemals beschließen, mit dem Eishockey
anzufangen, er müsste genau so aussehen wie Jaromír Jágr an diesem Abend in
Katakomben des American Airlines Center in Dallas. Am Kopf kleben die vom
Schweiß nassen Locken, das Trikot ist leicht ramponiert, die Anstrengung
der vergangenen sechzig Minuten auf dem Eis stehen ihm ins alterslose
Gesicht geschrieben.
4:3 haben die [1][Dallas Stars] eben gegen die Calgary Flames gewonnen, es
war ein verdienter Sieg, ein wichtiger Sieg und um Jágrs Mundwinkel spielt
das leicht spöttische Lächeln, das man kennt, seit er vor 23 Jahren zum
ersten Mal in der National Hockey League (NHL) auflief.
Ansonsten aber ist Jágr ein neuer Mensch. Er ist nicht mehr der Schnösel,
der, verwöhnt vom Erfolg in jungen Jahren, sein großes Talent zu
verschwenden schien und der mehr Strafzettel für
Geschwindigkeitsübertretungen als Pokale sammelte. Schon in der vergangenen
Saison in Philadelphia gab er sich geläutert, nun in Dallas scheint die
Wandlung zum Vorzeigeprofi endgültig abgeschlossen.
Mittlerweile 41 Jahre alt ist Jágr. Dafür arbeitet das tschechische
Nationalheiligtum umso intensiver an seiner Fitness. Er habe sich, erzählt
ein Klubmitarbeiter, einen eigenen Schlüssel für die Trainingshalle
anfertigen lassen, um auch mal nachts eine Sonderschicht einlegen zu
können. Die Folge: Jágr hat, wie es sein Trainer Glen Gulutzan nach der
morgendlichen Trainingseinheit formuliert, „unsere Erwartungen bereits
übererfüllt“.
Nicht nur das: Statt wie früher Millionen in Internetkasinos zu verzocken,
ist Jágr neuerdings auch neben dem Eis ein Vorbild für die jüngeren
Kollegen. Angeblich trinkt er nicht mehr, und von der Arroganz, die ihm
einst nachgesagt wurde, ist nichts übrig geblieben: Geduldig lächelnd
beantwortet er die Fragen der Journalisten, während des Trainings plaudert
und scherzt er mit den Kollegen.
## Läuterung in Sibirien
Die Läuterung von Jaromír Jágr begann in Sibirien. 2008 verließ er nach 17
überragenden Jahren die NHL und unterschrieb bei [2][Omsk]. Drei Jahre
spielte er in der KHL und verdiente dort ungefähr doppelt so viel, wie er
in der NHL hätte einstreichen können. Vor allem aber gab es, drei Zeitzonen
von Moskau entfernt, keine Ablenkungen, nur Eishockey. „Sibirien hat mich
verändert“, sagt Jágr. Und der Tod von [3][Alexei Tscherepanow]: Das
19-jährige Talent kollabierte während eines Spiels auf der Bank direkt
neben Jágr und starb quasi in seinen Amen. Der tragische Vorfall habe ihm,
hat Jágr später erzählt, gelehrt, immer das zu tun, was man liebt.
Wenn Jágr heute über die Bande klettert, geht nicht mehr wie früher ein
Raunen durchs Publikum. Es scheint nicht mehr alles möglich, wenn er auf
den Kufen steht. Sein Antritt ist nicht mehr so explosiv wie einst, an der
Bande ist er nicht mehr so durchsetzungsfähig, aber er ist immer noch gut
genug, der beste Scorer seines Teams zu sein. Wenn er gegen Calgary den
Puck am Schläger führt, spürt man bis hinauf zu den billigen Plätzen unterm
Dach der riesigen Arena den Respekt der Gegner, die zum Teil seine Söhne
sein könnten: Sie halten etwas mehr Abstand, um nicht ausgetrickst zu
werden.
Gegen Calgary aber bleibt Jágr blass. Ein gutes Pferd springt nur so hoch,
wie es muss. An diesem Abend muss Jágr überhaupt nicht springen. An diesem
Abend ist alles ungefähr so, wie das Management der Stars sich das gedacht
hat, als sie Jágr verpflichtete. Der Altstar dreht als Spiritus Rector ein
paar hübsche Kringel übers Eis, zeigt ein, zwei Dribblings – und lässt den
Nachwuchs das Spiel entscheiden. Lässt Loui Eriksson (27) das entscheidende
Tor schießen, Jamie Benn (23) die Vorlagen geben und Cody Eakin (21) den
Gegner verprügeln.
Denn in Dallas hofft man nicht nur, Jágr wird der Mannschaft helfen, nach
vier Jahren endlich wieder einmal die Playoffs zu erreichen, sondern vor
allem auch, die neu gefundene, vorbildliche Arbeitsauffassung des alten
Mannes möge abfärben auf die jungen, talentierten Kollegen, vor allem auf
Jamie Benn. Der ist 17 Jahre jünger als Jágr und spielte während des
NHL-Streiks, der erst im Januar endete, für die Hamburg Freezers in der
DEL. Anschließend unterschrieb Benn einen neuen Fünf-Jahres-Vertrag für 26
Millionen Dollar. Seitdem gilt er als zukünftiges Gesicht der Stars, die
dringend nach einem Nachfolger für den legendären Mike Modano suchen.
## Motivation ohne Ende
Momentan allerdings stiehlt der Oldie mit zehn Toren und acht Vorlagen dem
Jungstar noch die Schau. Selbst im gesegneten Sportleralter ist er die
viereinhalb Millionen Dollar Wert, die er in dieser Saison verdient.
Wie lang er noch spielen möchte, wird er gefragt. „Ich weiß es nicht“, sa…
er. Vielleicht noch mit 50 Jahren für [4][Rytíri Kladno], den Klub, bei dem
er einst seine Profikarriere begann und der ihm mittlerweile selbst gehört,
notfalls auch in der dritten tschechischen Liga. Und wenn es da nicht mehr
reicht, hat er einmal gescherzt, dann macht er seine eigene Liga auf.
Die Dallas Stars bezahlen den alten Mann also für etwas, was er wohl auch
umsonst tun würde. „Die Motivation ist dieselbe, die sie auch schon früher
war: Ich liebe Eishockey“, hatte der tschechische Nationalheld nach der
morgendlichen Trainingseinheit erzählt. „Es ist sehr schwer, etwas
aufzugeben, das man so sehr liebt.“ Nach 25 Jahren als Profi, einer
olympischen Goldmedaille, zwei WM-Titeln, zwei Stanley-Cups, nach 1.372
Spielen in der NHL, nach 675 Toren und 996 Assists kann es sich Jaromír
Jágr leisten, Eishockey einfach deshalb zu spielen, weil es ihm Spaß macht.
19 Mar 2013
## LINKS
[1] http://stars.nhl.com/index.html
[2] http://www.hawk.ru/
[3] http://www.tsn.ca/nhl/story/?id=252547&lid=headline&lpos=topStory_n…
[4] http://hc-kladno.cz/cz
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
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Baseball
Fußball
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