| # taz.de -- Gordon Parks' Harlem-Bilder: Der Liquorstore gegenüber | |
| > 1967 fotografierte der Schriftsteller, Fotograf, Filmregisseur und | |
| > Musiker Gordon Parks die Familie Fontenelle in Harlem für das Magazin | |
| > Life. | |
| Bild: Ausschnitt aus einer Fotografie von Gordon Parks, Familie Fontenelle unte… | |
| „We know that America thrives when every person can find independence and | |
| pride in their work; when the wages of honest labor liberate families from | |
| the brink of hardship.“ Barack Obama zur Amtseinführung 2013 | |
| Im vergangenen Herbst vor einhundert Jahren, am 30. November 1912, wurde | |
| Gordon Roger Alexander Buchanan Parks geboren. Als letztes von fünfzehn | |
| Kindern kam er in Fort Scott, Kansas als Sohn eines Kleinbauern zur Welt, | |
| in einer schwarzen Familie, die sich wenig ausrechnen konnte, in den USA | |
| des frühen 20. Jahrhunderts. | |
| Mehr als ein halbes Jahrhundert später, im Frühwinter 1967, fotografierte | |
| Gordon Parks dann die Familie Fontenelle in Harlem, eine schwarze Familie | |
| mit neun Kindern. Im April des Jahres war es zu sozialen Ausschreitungen in | |
| den USA gekommen, die dann von Stadt zu Stadt übersprangen. Angefangen in | |
| Cleveland plünderten Menschen Geschäfte, setzten Autos in Brand, lieferten | |
| sich Straßenschlachten mit der Polizei. Historiker zählten 159 | |
| Auseinandersetzungen. Die lautesten, längsten, gewalttätigsten hielten | |
| Newark und Detroit in Atem. | |
| Denn das mit dem Ausrechnen war so eine Sache. Es hatte sich wenig | |
| verändert, mochte Präsident Lyndon B. Johnson noch so viel von seiner | |
| „Great Society“ reden. Nur der Innendruck der black community war | |
| gewachsen, der Unwillen, sich weiter zufriedenzugeben, mit | |
| Diskriminierungen, mit einer Justiz, die nach der Hautfarbe entschied, mit | |
| Schikanen und Hungerlöhnen. | |
| ## Bilder als Antwort | |
| Die Idee, das Leben der Familie Fontenelle für das Magazin Life zu | |
| porträtieren, erwuchs aus diesen Unruhen aufgrund der Ausgrenzung, die | |
| Schwarze in den USA erfuhren: Gordon Parks, vielen eher als Regisseur des | |
| Blaxploition-Films Shaft bekannt, war der erste schwarze Fotograf und | |
| Redakteur bei Life, als der Chefredakteur ihn fragte, warum denn all die | |
| Schwarzen auf die Straße gingen. Parks beschloss, als Antwort eine Weile | |
| bei einer Familie in Harlem zu verbringen. Er traf Bessie Fontenelle in | |
| einem Supermarkt. | |
| Die Fontenelles lebten Ecke 128th und Eighth Avenue in einer räudigen | |
| Behausung mit zwei Schlafzimmern. Von den Wänden platzte der Putz, der | |
| Vater hatte seine Arbeit bei der Eisenbahn verloren und die Heizung | |
| funktionierte nicht. | |
| Wenn wir durch die Fotografien von Gordon Parks blättern, rücken wir nah | |
| heran an die Familie und zugleich tritt das Charakteristische der Serie | |
| hervor: Die einzelnen Aufnahmen kommunizieren miteinander, Beobachtungen | |
| mischen sich mit Porträts, die Blicke kommen nicht von außen. | |
| Ob Bessie Fontenelle auf der Sozialstelle, Schattenrisse der Kinder vor den | |
| zugigen Fenstern, die Großaufnahme vom kleinen Richard, der den Putz der | |
| Wände isst und dessen Lippen deshalb geschwollen sind – sie alle blicken | |
| irgendwann aus dem Fenster. Gegenüber wirbt ein Schaufenster mit niedrigen | |
| Preisen und ist doch unerreichbar. Auf dem Bürgersteig liegt Schnee. Es ist | |
| nasskalt. Die Kamera ist dabei, sie versteht den Blick. | |
| Gordon Parks illustriert die täglichen Abläufe, die Badewanne im kargen | |
| Raum wird mit Zeitungspapier geputzt. An den Fenstern müssen Lumpen beim | |
| Isolieren helfen, jede Nische ist überladen mit Resten und Zerrissenem, auf | |
| den Betten gibt es keine Laken. Die Küchenschabe und die ordentlich | |
| gestapelten Schulbücher stehen einander gegenüber, so als wollte Parks auf | |
| die Umstände und die Hoffnung darin, die Sorgfalt und das Bestreben | |
| verweisen. Selbst wenn die Brüder rasch noch ein paar Comics einwerfen. | |
| ## Verbrannte Hände | |
| Auch tritt die Geschichte nach vorne, die Gordon Parks in Life | |
| veröffentlichte und die in einem glücklichen Griff im Buch wieder | |
| reproduziert ist: vom Vater, der trinkt, um die Ausweglosigkeit zu | |
| vergessen. Von den Schlägen, die er Frau und Kindern angedeihen lässt, von | |
| der Mutter, die sich wehrt, ihm mit kochendem Wasser Gesicht und Hände | |
| verbrennt. | |
| Wenn wir jetzt zurückblättern, bekommen die Bilder einen anderen Geschmack, | |
| die Umstände von draußen haben sich hineingebohrt in die Gegenübersetzung: | |
| Aus dem Liquorstore von der anderen Straßenseiten führt nun ein direkter | |
| Weg nach innen. Bessi ruht nicht, sie liegt verprügelt auf den groben | |
| Decken, vielleicht beschützt sie noch den kleinen Richard mit der rechten | |
| Hand. | |
| Gordon Parks Reportage führt aber auch zurück in die Zeiten des engagierten | |
| Journalismus, als Geschichten Konsequenzen hatten und nicht im | |
| Sensationswert erstarben: Nachdem die Reportage im März 1968 veröffentlicht | |
| wurde, spendeten Leser Geld, Life rundete die Summen auf und damit kaufte | |
| Parks den Fontenelles ein Haus auf Long Island. | |
| Es brachte der Familie ein kurzes Glück: Drei Jahre später brannte es | |
| nieder, ob durch eine Zigarette des Vaters oder einen Brandsatz, bleibt | |
| unklar. Richard Senior und Sohn Kenneth sterben. Gegen den Rat von Parks | |
| ziehen sich Fontenelles zurück in das Viertel nördlich von Manhattans 110. | |
| Straße. Bis auf zwei sterben die Fontenelle-Kinder auf den Straßen von | |
| Harlem an Drogen, Aids, Alkohol und Gewalt. | |
| ## ■ Gordon Parks: „A Harlem Family 1967“. Steidl Verlag Göttingen 2013, | |
| 112 Seiten, 28 Euro. Bis 30. Juni Ausstellung im Studio Museum Harlem. | |
| 28 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Lennart Laberentz | |
| ## TAGS | |
| Harlem | |
| Roman | |
| Fotografie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neues Buch von Peter Stamm: Im engen Tal | |
| In „Nacht ist der Tag“ besticht der Schweizer Autor Peter Stamm durch kühle | |
| Grausamkeit. Seinen Figuren hängt der Mühlstein der Zeit um den Hals. | |
| Foto-Band von René Burri: Sprache des Alltags | |
| Der Fotograf René Burri ist eigentlich als Meister des Schwarz-Weißen | |
| bekannt. Ein opulenter Band versammelt erstmals seine Farbbilder. |