# taz.de -- Zum Tode Margaret Thatchers: Die Lady, die ihr Land veränderte | |
> Margaret Thatcher brach die Macht der Eliten, links wie rechts. Der von | |
> ihr verkörperte Aufstieg des Kleinbürgers prägte und spaltete eine | |
> Generation. | |
Bild: Margaret Thatcher, keine Freundin des Kompromisses. | |
Kaum jemand hat Großbritannien so polarisiert. Margaret Thatcher war keine | |
Konsenspolitikerin, und das machte ihr Wesen und ihre Größe aus. Wer | |
erinnert sich schon noch an ihren Vorgänger James Callaghan oder ihren | |
Nachfolger John Major? Thatcher aber wird bis über ihren Tod hinaus geliebt | |
und gehasst bleiben. | |
Als Premierministerin von 1979 bis 1990 setzte Margaret Thatcher einen | |
Schlussstrich unter Jahrzehnte des gemütlichen Niedergangs. Sie hatte das | |
Talent, Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen, ungewöhnliche | |
Antworten zu finden. Manche waren genial, manche eine Katastrophe – und | |
noch häufiger waren sie beides, je nach Standpunkt des Betrachters. | |
Wie so viele besonders langlebige Politiker verdankte Thatcher ihren | |
Aufstieg dem Umstand, systematisch unterschätzt zu werden. Kaum jemand nahm | |
die 49-Jährige ernst, als sie 1975, nach dem Fall der konservativen | |
Regierung von Ted Heath, Oppositionsführerin wurde. Sie war eine Frau – | |
unerhört. Sie war eine Krämerstochter – lächerlich. Sie war | |
Naturwissenschaftlerin – absurd. Politisch galt sie als Null. | |
Damals, Mitte der 1970er Jahre, waren die Konservativen ausgeblutet, ein | |
Verein Ewiggestriger, von Empire-Nostalgikern, der reaktionären Elite aus | |
Grafen, Generälen, Geheimdienstlern und Großindustriellen. Großbritannien | |
galt als der „kranke Mann Europas“. Die Rechte sah sich im Widerstand gegen | |
die drohende sozialistische Machtergreifung und faselte von der Rettung des | |
Vaterlandes. | |
Thatcher als Parteichefin war Dekoration, ein Sahnehäubchen, eine | |
Kompromisskandidatin, ein Pausenclown in Erwartung härterer Zeiten. Hätte | |
Labour-Premier Callaghan wie erwartet 1978 Wahlen ausgerufen und gewonnen, | |
hätte die Welt wohl nie mehr von ihr gehört. | |
## Restauration als frischer Wind | |
Callaghan zauderte. Er wartete bis 1979. Thatchers Konservative siegten mit | |
dem bis heute unübertroffenen Wahlslogan „Labour Isn’t Working“ – Labo… | |
funktioniert nicht, zugleich ein Wortspiel („Die Arbeiter arbeiten nicht“) | |
zu Streiks und Massenarbeitslosigkeit. Thatcher wurde Premierministerin. | |
Im Rückblick begann damit die Zeit der konservativen Restauration. Damals | |
fühlte es sich eher als frischer Wind an. Endlich durften Briten so viel | |
Geld mit in den Urlaub nehmen, wie sie wollten – vorher galten scharfe | |
Kapitalkontrollen. Endlich wurde das größte Problem der britischen | |
Dekolonisierung gelöst, das weiße Rassistenregime von Rhodesien: Rhodesien | |
wurde wieder britisch, zur Freude der Imperialisten – und ein Jahr später, | |
zu ihrem Entsetzen, unter Befreiungsheld Robert Mugabe als Simbabwe | |
unabhängig. | |
Während die Wirtschaft tief in der Krise verharrte, zog in die Politik ein | |
Stil der Konfrontation ein. Der Einsatz von Elitesoldaten zum Sturm auf die | |
besetzte iranische Botschaft in London 1980. Das Aussitzen des | |
Hungerstreiks prominenter IRA-Häftlinge in Nordirland 1981. Die | |
Rückeroberung der von Argentinien besetzten Falklandinseln 1982. Thatchers | |
grandiose Wiederwahl 1983 war danach reine Formsache. Und erst dann begann | |
wirklich die „Thatcher-Ära“. Mit einem neuen globalen Selbstbewusstsein. | |
Mit einem geradezu missionarischen Reformeifer. Mit der Bekämpfung der | |
Gewerkschaften und der Umkrempelung der britischen Arbeiterklasse in eine | |
Schicht von Hausbesitzern und Aktionären. | |
## Verschärfte soziale Abkopplung | |
„Die Förderung von Vielfalt und Wahlmöglichkeiten, das Anbieten fairer | |
Anreize und Belohnungen für Fähigkeit und harte Arbeit, die | |
Aufrechterhaltung effektiver Barrieren gegen die Übermacht des Staates und | |
ein Glaube an die breite Verteilung privaten Eigentums“ hatte Thatcher 1975 | |
zu ihrem Pogramm erklärt. Zehn Jahre später setzte sie das in die Tat um. | |
1983 gab es in Großbritannien 3 Millionen Aktionäre, davon 360.000 Arbeiter | |
– vier Jahre später waren es 9,4 Millionen, darunter 3,5 Millionen | |
Arbeiter. Dass Sozialmieter das Recht erhielten, ihre Wohnung zu kaufen, | |
sorgte dafür, dass das Land eine Generation lang fest in konservativer Hand | |
blieb. Es sorgte auch dafür, dass die nachfolgende Unterschichtsgeneration | |
noch stärker abgekoppelt war als zuvor. | |
Thatcher definierte Freiheit neu – als Freiheit von Abhängigkeit. Nur wer | |
auf eigenen Füßen steht und mit dem eigenen Besitz das Auskommen der | |
eigenen Familie sichert, ist wirklich ein freier Bürger – das ist der Kern | |
des „Thatcherismus“. Die Minderheit, die nicht auf eigenen Füßen steht, h… | |
keine Ansprüche zu stellen. Was zählt, ist die Chance zum Aufstieg, die man | |
gefälligst zu ergreifen hat. Thatcherismus ist kein verknöchertes | |
Klassensystem. Es ist der permanente Wettstreit, in dem sich niemand auf | |
seinen Lorbeeren ausruhen darf. | |
## Neues Kleinbürgertum | |
Als politisches Programm war das lange unschlagbar. Thatcher förderte eine | |
neue Schicht von Kleinbürgern; die alten Männer mit ihren alten | |
Gewissheiten hatten ausgedient. Sie mussten eine Frau umschwänzeln, die | |
schwach wirken konnte wie ein kleines Mädchen und dann wieder hart auftrat | |
wie die „Eiserne Lady“, als die ihre Feinde sie gerne titulierten. Von | |
Frauenförderung hielt Thatcher genauso wenig wie von jeder Art kollektiver | |
Interessenvertretung. Von Männermacht auch. | |
Die alte Elite der Gentlemen und großen Familien verlor unter Thatcher | |
ihren Glanz. Unternehmensgründer, Neureiche, Spekulanten, Streber, Parvenüs | |
– das waren die neuen Konservativen. Thatcher entfernte das Standesdenken | |
aus der britischen politischen Kultur. Aber die Institutionen tastete sie | |
nicht an. | |
Die Modernisierung Großbritanniens in den letzten zwanzig Jahren wäre ohne | |
Thatchers Vorarbeit nicht möglich gewesen. Sie zerstörte die Grundlagen des | |
Alten; Grundlagen von etwas Neuem schuf sie nicht. Sie hinterließ | |
Großbritannien 1990, als die Männer um sie herum sie entnervt stürzten, | |
zutiefst gespalten, mit den Labour-dominierten Arbeiterbastionen | |
Nordenglands und Schottlands in einem Zustand faktischer innerer Sezession. | |
Das Land war ausgezehrt, weder alte noch neue Gewissheiten boten Halt. Es | |
bedurfte der Wiederkehr der Gemütlichkeit unter dem farblosen John Major, | |
bis 1997 Tony Blairs New Labour mit dem Ruf nach Erneuerung punkten konnte. | |
Thatchers Politik war oft unlogisch. Sie förderte erst eine | |
wirtschaftsliberale europäische Integration und wandte sich dann scharf | |
gegen die deutsche Wiedervereinigung, was ihr Weltbild ebenso überholt | |
aussehen ließ wie ihr Festhalten an Südafrikas Apartheid bis zum Schluss. | |
Sie denunzierte die Übermacht des Staates, nutzte ihn aber selbst | |
unbekümmert als Kampfinstrument gegen den „inneren Feind“ und entmachtete | |
kommunalpolitische Instanzen in geradezu diktatorischer Manier. | |
Letztendlich war Thatcher weniger Ideologin als Rechthaberin. Ihr | |
politisches Erbe ist denn auch zwiespältiger, als es sowohl ihren Fans als | |
auch ihren Feinden ins Geschichtsbild passt. | |
8 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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