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# taz.de -- Science Fiction der Strugatzkis: Die Gebrüder Zukunft
> Boris und Arkadi Strugatzki waren die wohl wichtigsten
> Science-Fiction-Autoren der Sowjetunion. Nun gibt es beim Heyne Verlag
> eine Werkausgabe der Romane.
Bild: Szene aus den Strugatzki-Romanen, aufgeführt im Dresdener Zwinger.
Äußerlich hat sich Boris Strugatzki die Aura eines Findlings aus einer
anderen Zeit gegeben: Abgewetzte Jacke, Hornbrille, Hosen im undefinierbar
grauen Stil. Irgendwie sah der Mann wie sein eigener Großvater aus.
Zugleich schrieb Strugatzki aber luzide über die Zukunft des Universums,
betrieb einen der beliebtesten russischen Science-Fiction-Blogs und war in
seinen Statements alles Mögliche, eines aber sicher nicht: altmodisch.
Ihr Leben lang waren der im November 2012 verstorbene Boris Strugatzki und
sein Bruder Arkadi (1925 –1991) Intellektuelle, die sich nicht einordnen
ließen. Das fing damit an, dass sie ihre Romane als Duo verfassten, und
hörte damit auf, dass sie mit einer Gesamtauflage von mehr als 50 Millionen
eine Breitenwirkung hatten, die auch für die riesige Sowjetunion
ungewöhnlich war.
Zum Vergleich: Michail Scholochow, Systemliebling, Nobelpreisträger und der
wahrscheinlich meistpublizierte Sowjetautor, kam auf eine Gesamtauflage von
79 Millionen.
Was abseits von Zahlen viel mehr zählt: Spätestens seit den 60er Jahren war
in Russland jedes neue Strugatzki-Buch ein literarisches Großereignis, für
das man Schlange stand und das in Millionen russischen Haushalten heiß
diskutiert wurde.
„Ich bin mit Arkadi und Boris Strugatzki groß geworden“, sagt etwa der
heute 33-jährige russische Science-Fiction-Jungstar Dimitri Gluchowski.
„Die Strugatzkis las jeder meiner Klassenkameraden, jeder meiner
Kommilitonen; schon unsere Eltern hatten die Strugatzkis verschlungen.“
Wie groß in der Sowjetunion das Interesse am Schaffen der Brüder war, mag
ein Kuriosum am Rande zeigen: Obwohl die Brüder trotz zahlreicher
Scharmützel mit der Zensur nie den offiziellen Literaturbetrieb verlassen
mussten, waren ihre Texte so begehrt, dass sie bisweilen wie
Samisdat-Untergrundliteratur vervielfältigt wurden: mit Kohlepapier auf
privaten Schreibmaschinen.
## Nicht einordbar
Keine Dissidenten, aber auch keine Günstlinge des Regimes: Die Strugatzkis
haben sich sehr bald einer Literatur verschrieben, die nirgendwohin passen
wollte – weder in die enge Doktrin des sozialistischen Realismus noch in
die politisch engagierte Poetik der Unangepassten wie Wladimir Wyssozki,
Bulat Okudschawa oder Juri Trifonow. Schon gar nicht in den späteren
postsowjetischen Sex-and-Crime-Mainstream.
Selbst das für sie so gern verwendete Science-Fiction-Label trifft die
Sache nur halb. Denn sie haben diesen Begriff beziehungsweise seine
russische Entsprechung „Fantastik“ so sehr ausgedehnt, dass sie als
Bezeichnung für fast jede Literaturform taugte, die nicht unter den
sozialistischen Realismus fiel.
In einem 1965 verfassten Manifest definierten die Brüder Fantastik als eine
Gattung, in der „ungewöhnliche, wenig wahrscheinliche oder völlig
unmögliche Erzählelemente“ verwendet werden.
Damit konnten moderne Märchen ebenso als Fantastik gelten wie der magische
Realismus eines Michail Bulgakow oder die Werke der in der UdSSR verpönten
Meister des Absurden Eugene Ionesco und Franz Kafka.
Ein Schachzug, der es erlaubte, unter dem Oberbegriff Fantastik über
Autoren zu sprechen, deren bloße Erwähnung im rigiden sowjetischen
Literatursystem bereits als verdächtig galt.
## Der Schiftsteller als Mahner
Um das Schaffen der Strugatzkis zu definieren, hilft ein Blick ins 19.
Jahrhundert allerdings weiter als das Fantastik-Etikett. „Ein Dichter ist
in Russland immer mehr als ein Dichter“, hat Jewgeni Jewtuschenko einmal
gesagt. Was er damit meinte: In der landläufigen russischen Vorstellung
sollte ein Schriftsteller auch ein Mahner mit scharfem Blick sein.
Als romantische Moralisten, die – Raumschiffe hin oder her – tief in der
Tradition des 19. Jahrhunderts verwurzelt sind, haben sich die
Strugatzki-Brüder schon früh zu erkennen gegeben.
Wie Stanislaw Lem, der international bekanntere polnische Kollege, ließen
auch sie sehr bald das offiziell propagierte Modell der hoffnungsfrohen
Fantastik hinter sich. Höchstens in ihren frühen Texten ist die Zukunft als
Projektionsfläche für ein gerechteres und besseres Morgen deutbar.
Spätestens mit dem 1962 veröffentlichten „Fluchtversuch“ ist die
Zukunftsidylle bei den Strugatzkis dahin. Wohl leben die beiden
Protagonisten der Novelle, Wadim und Anton, in einer Zeit, in der alle
möglichen technischen Errungenschaften den Menschen das Leben leicht
machen, doch eine Urlaubsreise auf einen fremden Planeten bringt sehr bald
das blanke Grauen in den Text: Die Raumfahrer finden dort eine archaische
Gesellschaft vor, in der die meisten Menschen in Straflagern arbeiten und
Maschinen in Gang zu setzen versuchen, die einst eine offenbar überlegene
Zivilisation zurückgelassen hat.
## Mit dem Fuß auf dem Himmel
Über den Planeten herrscht ein grausamer Herrscher, der sich als „der große
mächtige Fels mit dem Fuß auf dem Himmel“ titulieren lässt. Zu allem
Überfluss erweist sich ein Mitreisender, den Wadim und Anton mitgenommen
haben, als ein Flüchtling aus dem 20. Jahrhundert, der den
Konzentrationslagern der Nazis entkommen will – eine Art Metaphysik, wie
sie bei den Strugatzkis häufiger vorkommt. Ohne an den grauenhaften
Zuständen auf dem besuchten Planeten etwas ändern zu können, kehren Wadim
und Anton auf die Erde zurück.
In der Erstfassung von „Fluchtversuch“ kommt der geheimnisvolle Mitreisende
übrigens aus einem stalinistischen Gulag, erst nach dem Einspruch der
Zensoren haben die Autoren den Gulag durch ein Nazi-KZ ersetzt.
An der für die damalige UdSSR absolut provokanten Aussage des Textes hat
das wenig geändert: Denn das wirklich Unerhörte bestand darin, dass die
Strugatzkis keine eindeutige Antwort auf die Frage geben wollten, ob eine
höher entwickelte Gesellschaft das Leben einer zurückgebliebenen, inhumanen
Gesellschaft beeinflussen kann und soll.
## Machtgierig und grausam
Die Frage kehrt in einem der bekanntesten Texte der Brüder zurück: In „Es
ist schwer, ein Gott zu sein“ lebt der von der Erde kommende Forscher Anton
auf einem Planeten, der im Mittelalter stehen geblieben ist. Der Planet
wird von Don Reba beherrscht, einem rundum mittelmäßigen, aber dennoch
unglaublich machtgierigen und grausamen Mann.
Antons Aufgabe ist es, das Leben auf dem Planeten zu beobachten, es aber
nicht zu beeinflussen. Als seine Freundin ermordet wird, greift er
allerdings doch ins Geschehen ein und richtet ein Blutbad an, konventionell
mit einem Schwert. Daraufhin wird er auf die Erde ausgeflogen.
Drei Jahre später, im Roman „Die zweite Invasion der Marsmenschen“,
reduzieren die Strugatzkis alle Science-Fiction-Attribute im Text auf ein
Minimum. Ausgangspunkt ist zwar die Eroberung der Erde durch Marsmenschen,
die hinter menschlichem Magensaft her sind – eine recht freche Anspielung
auf den H.-G.-Wells-Klassiker „Krieg der Welten“.
## Im Blick: Die Sowjetunion
Die im Roman dargestellte Welt bleibt aber eindeutig als Sowjetunion der
späten sechziger Jahre erkennbar: Mit verbohrten Kriegsveteranen,
Mangelwirtschaft und dem Protagonisten, einem pensionierten
Gymnasiallehrer. Der versucht sich mit der neuen wie der alten Staatsmacht
gut zu stellen, um privat Ruhe zu haben. Das bringt ihn allerdings in
Konflikt mit seinem Schwiegersohn, der gegen die Marsianer kämpft.
Für die Strugatzkis war „Die zweite Invasion der Marsmenschen“ ein
besonders wichtiger Text, den sie „innig geliebt“ haben, wie Boris
Strugatzki schreibt. Ob allerdings der ängstlich-pragmatische
Gymnasiallehrer oder sein hochtrabend-kämpferischer Schwiegersohn nun im
Recht war, „diese Frage haben wir für uns niemals zu beantworten vermocht“.
Das Thema, ob der Einzelne für seine Überzeugungen sein privates Glück
opfern muss, beschäftigt die Strugatzkis auch in „Eine Milliarde Jahre vor
dem Weltuntergang“. Die Handlung ist hier noch deutlicher als in der
„Invasion“ in der UdSSR angesiedelt: Leningrad der siebziger Jahre,
drückend heißer Sommer, Plattenbau. Vier Wissenschaftler stehen davor,
bahnbrechende Erkenntnisse zu erlangen, die die Zukunft der Menschheit
völlig verändern werden. Doch eine höhere Macht will diesen
Entwicklungssprung nicht zulassen.
Die Mittel, die sie dabei anwendet, sind unterschiedlich: Jeder der vier
Forscher wird aber letztlich mit der Frage konfrontiert, was ihm mehr wert
ist: Treue zu seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Heim und
Familie.
## Was ist Glück?
Nur einer entscheidet sich für den Widerstand, die anderen geben ihre
Forschungen auf. Die Parallelen zur Gängelung der Wissenschaft in einer
totalitären Diktatur sind unübersehbar. Doch den Strugatzkis geht es um
mehr, um die ebenso schlichte wie fundamentale Frage: Was ist Glück
überhaupt?
Das fragt sich auch Roderic Schuchart, der Stalker aus „Picknick am
Wegesrand“, dem bekanntesten Roman der Strugatzkis. In einer einst von
Außerirdischen besuchten und nun streng bewachten gefährlichen „Zone“
suchen „Stalker“, illegale Abenteurer, nach „Artefakten“, von den
Außerirdischen hinterlassene Gegenstände.
Diese können extrem nutzbringend, völlig sinnlos, aber auch todbringend
sein. Die meisten Mythen ranken sich aber um die goldene Kugel, die
demjenigen, der zu ihr vordringt, seine Wünsche erfüllt.
## Ein desillusionierendes Ende
Als Schuchart am Ende des Romans vor der Kugel steht, zu der er nur
gelangen konnte, weil er das Leben seines jungen Begleiters geopfert hat,
wünscht er sich auf einmal exakt dasselbe wie der Junge, den er noch bis
vor wenigen Sekunden wegen seiner Naivität nicht für voll genommen hat:
„Glück für alle, umsonst, und niemand soll gekränkt fortgehn!“ Ein Schlu…
der unter dem Einfluss der monumental-depressiven Verfilmung von Andrej
Tarkowski oft als desillusionierend interpretiert wurde.
Aber die elitäre Verfilmung von Tarkowski walzt den Aspekt der Glückssuche
auch in einer für normal Ausdauernde kaum verdaulichen Art aus. Auf der
Strecke geblieben ist dabei nicht nur die innere Entwicklung, die Schuchart
während seiner Expeditionen in die Zone macht.
Weitgehend untergegangen ist auch das Nebeneinander der „Zone“ und der an
sie grenzenden Stadt Harmont, das dem Roman eine ganz spezifische Spannung
verleiht und ihn an ein überaus irdisches, konkretes Hier und Jetzt
anbindet – wie es typisch für die Strugatzkis war.
Arkadi und Boris Strugatzki: „Werkausgabe“. Heyne Verlag. Die Bände 1 bis 5
sind bereits lieferbar. Der sechste und letzte Band folgt im Herbst.
17 Apr 2013
## AUTOREN
Piotr Dobrowolski
## TAGS
Science-Fiction
Volkszählung
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Eier
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