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# taz.de -- Science-Fiction von Michail Bulgakow: Pfirsichow und seine Godzillas
> „Die verfluchten Eier“ ist ein teuflisch brillanter Kurzroman über
> „schöne neue Welten“. Die Gesellschaftskritik am Russland damals und
> heute liegt nah.
Bild: Sie wollten die Freiheit, doch aus dem Ei schlüpfte die Diktatur der Par…
Über Michail Bulgakows Kultroman „Der Meister und Margarita“ ist viel
Wichtiges und Wesentliches gesagt worden. Weniger bekannt aber ist der
kleine, verrückte Text „Die verfluchten Eier“, den der Lyriker Alexander
Nitzberg jetzt – nach einer glänzenden Neuübersetzung des Bulgakow’schen
Hauptwerks (2012) sowie der Erzählung „Das hündische Herz“ (2013) –
stilbewusst und mit Fingerspitzengefühl neu ins Deutsche übertragen hat.
Bei diesem teuflisch brillanten Kurzroman aus dem Jahr 1924 handelt es sich
zudem um einen Stoff, der es absolut in sich hat. Gute
Science-Fiction-Literatur hilft ja bekanntlich, die Welt ein bisschen
besser zu verstehen, zumal die Welt in ihren schrägen Absurditäten. Zum
Beispiel, wie aus vermeintlich harmlosen Forschungen dann doch
Katastrophales entsteht – oder eben „schöne neue Welten“.
Alle haben jetzt Dave Eggers’ thematisch zwar brandheiße, literarisch aber
enttäuschend fade Dystopie „The Circle“ über die traurig transparente Welt
des Internets gelesen. Bulgakow, wie viele russische Schriftsteller
geistiger Nachfahre E. T. A. Hoffmanns, ist da viel besser. Bei diesem
Meisterromancier und großem Verehrer Nikolaj Gogols geht es in seiner
Version, wie aus guten Absichten eine menschenverachtende Welt entstehen
kann, wesentlich lustiger, poetisch kraftvoller und, ja, auch böser zur
Sache.
## Strahlen wirken Wunder
Professor Pfirsichow, Koryphäe der Moskauer zoologischen Fakultät, entdeckt
bei seinen Forschungen zufällig einen „roten Strahl“, der biologisches
Wachstum beschleunigt. Kurze Zeit darauf grassiert in Russland eine
Hühnerpest, die alles Federvieh ausrottet (zugegeben, es gibt auch weniger
drastische Metaphern). Hilfe muss her – in Form importierter Gelege.
Der „rote Strahl“ soll Wunder wirken. Zu dumm, dass aus Versehen keine
Hühnereier, sondern die Gelege verschiedener Echsen importiert werden, aus
denen mutierte Godzillawesen, Monsterkrokodile oder Riesenschlangen
schlüpfen, allesamt blutrünstige Menschenfresser.
Das Russland der frühen Sowjetzeit? Oder doch Russland heute? Der Text
jedenfalls spielt in der nahen (1928) und weist in die ferne Zukunft, ins
Heute, wie es der Bulgakow-Schüler Vladimir Sorokin düster beschreibt. In
einer eindimensionalen Polit-Satire oder/und Gesellschaftskritik erschöpft
sich das Ganze dabei mitnichten.
Abgesehen davon, dass es sich hier um expressives modernistisches
Virtuosentum handelt, hat die Erzählung eine metaphysische Komponente, die
den Science-Fiction-Rahmen komplett sprengt. Darauf weist auch Nitzberg in
seinem klugen Nachwort hin: „Nicht umsonst versammelt der Autor seine Prosa
unter dem Gesamttitel Diaboliade“. Noch einmal: Dieser Bulgakow ist
teuflisch brillant.
2 Feb 2015
## AUTOREN
Tobias Schwarz
## TAGS
Eier
Russland
Science-Fiction
Science-Fiction
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