# taz.de -- Rente in Deutschland: Die anderen wollen weitermachen | |
> Wann ist man reif für den Ruhestand? Es kommt darauf an, was man vorher | |
> gearbeitet hat. Berufsspezifische Altersgrenzengibt es in Deutschland | |
> kaum. | |
Bild: Privilegierte Polizei: Ohne Abschlag früher in die Rente. | |
BERLIN taz | Als der bekannte Sportmoderator Waldemar „Waldi“ Hartmann im | |
Herbst 2012 unsanft von [1][seinem Arbeitgeber erfuhr], dass ihn die ARD | |
mit 65 Jahren in die Rente schicke, sprach er empört von | |
Altersdiskriminierung. Auch der 64-jährige Heinz Buschkowsky, | |
Berlin-Neuköllner Bürgermeister mit gewissem Bekanntheitsgrad, würde gern | |
für eine weitere Amtszeit kandidieren – und darf nicht. | |
Bei vielen meldet sich da der gesunde Menschenverstand zu Wort: Warum | |
sollen Menschen, die länger arbeiten wollen, beispielsweise Akademiker oder | |
Journalisten, das nicht dürfen? Und warum sollen andere, die partout nicht | |
mehr können, nicht früher raus aus dem Beruf – ohne Abschläge bei der | |
Rente? | |
Die Gesetze sehen anderes vor. So stellte das Bundesarbeitsgericht Anfang | |
März fest, dass das Arbeitsverhältnis eines VW-Mitarbeiters mit 65 Jahren | |
beendet werden durfte, weil es der gesetzlich festgelegten | |
Regelaltersgrenze entsprach. Fälle wie diese haben die Expertenkommission | |
des Bundes gegen Altersdiskriminierung im Dezember 2012 dazu veranlasst, | |
die Abschaffung tarifvertraglicher Altersgrenzen zu fordern. | |
Andererseits können Arbeitnehmer, die der Beruf körperlich oder psychisch | |
ausgelaugt hat, nur individuell einen Antrag darauf stellen, eine | |
Erwerbsminderungsrente zu erhalten, um früher aus dem Beruf auszuscheiden. | |
Doch die Rate der Ablehnung ist hoch – und wird der Antrag bewilligt, | |
drohen für den Rest des Lebens schmerzhafte Einbußen bei der Rente. | |
## Ausgleich für die Lücken | |
Martin Brussig, Forscher am Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der | |
Universität Duisburg-Essen, hat deswegen mit zwei Kollegen 2011 ein Papier | |
für die Friedrich-Ebert-Stiftung geschrieben, in denen die Forscher | |
ausloten, wie man unter Berücksichtigung der beruflichen Belastungen zu | |
differenzierten Altersgrenzen in der Rentenversicherung kommen könnte. „Es | |
wird in den nächsten Jahren sicher eine Diskussion um solche Ideen geben, | |
auch wenn die praktischen Hürden immens sind“, sagt Brussig voraus. | |
Die Idee: Wenn Menschen Berufe ausüben, die ihr Arbeitsvermögen vorzeitig | |
verschleißen, braucht es einen Ausgleich für die Lücken, die das in ihrer | |
Altersversorgung reißt. Und zwar ohne dass jeder Einzelfall medizinisch | |
geprüft wird. | |
Doch hierzulande sind berufsspezifische, unterschiedliche Altersgrenzen nur | |
rudimentär ausgebildet. Bergleute, Polizeibeamte oder Berufssoldaten können | |
beispielsweise ohne Abschläge früher aus dem Beruf aussteigen. | |
Die Forscher wenden deswegen ihren Blick nach Italien, Ungarn, Australien | |
und Österreich. In der Alpenrepublik zum Beispiel existiert seit 2007 eine | |
Schwerarbeiterpension. | |
Danach können Beschäftigte vorzeitig in Rente, wenn sie in den letzten 20 | |
Jahren davor mindestens 10 Jahre Schwerarbeit geleistet haben. Dazu zählen | |
Schicht- und Wechseldienste, Tätigkeiten unter regelmäßiger Hitze- und | |
Kälteeinwirkung, unter Schadstoffbelastungen oder mit Erschütterungen, aber | |
auch, wenn Arbeitnehmer in der Hospizpflege oder schwer körperlich | |
gearbeitet haben. | |
## Wieviele Kalorien? | |
Was Schwerarbeit ist, wird dabei über den Kalorienverbrauch definiert. | |
Verbrennen Männer während eines Achtstundentages mehr als 2.000 Kalorien | |
und Frauen mehr als 1.400, gelten sie als SchwerarbeiterInnen. Ein nicht | |
unproblematisches Vorgehen, wie die Forscher schreiben, weil jeder Mensch | |
bei schwerer körperlicher Arbeit individuell unterschiedlich viele Kalorien | |
verbrennt. Zudem würden so belastende Bürotätigkeiten weitgehend aus dem | |
Fokus geraten. | |
Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, berufsspezifische Altersgrenzen | |
zu ermitteln, zumal sich Tätigkeitsprofile und Anforderungen in Berufen | |
verändern. Brussig und seine Kollegen entwerfen trotzdem eine erste, | |
komplexe Skizze, wie man empirisch den vorzeitigen Verschleiß des | |
Arbeitsvermögens ermitteln könnte. Die Erkenntnisse sollten dann in ein | |
Berufsregister einfließen. Anhand dessen könnten Beschäftigte einen | |
vorzeitigen Renteneintritt ohne oder mit geringen Abschlägen anmelden. | |
Wissenschaftlich ist das ein anspruchsvolles Unterfangen, so die Forscher. | |
Und erst danach wäre zu ermitteln, was es kostet und wie es finanziert | |
werden könnte. Das birgt naturgemäß den größten Sprengstoff, geht es doch | |
um eine Umverteilung in der gesetzlichen Rentenkasse. Aber umverteilt wird | |
heute schon. Arbeitnehmer mit anstrengenden Berufen, die jahrelang Beiträge | |
bezahlen, aber früher sterben, haben weniger von der Rente als Menschen in | |
weniger belastenden Berufen, die länger leben. | |
17 Apr 2013 | |
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[1] /ARD-trennt-sich-von-Waldemar-Hartmann/!101113/ | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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