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# taz.de -- Von Braunau nach Braunschweig: Die zweite Heimat des Führers
> Hitlers Einbürgerung in Braunschweig war eine Panne des liberalen
> Staatsbürgerrechts. Für den Freistaat Braunschweig hat sie sich gelohnt –
> bei der Aufrüstung spielte er eine wichtige Rolle.
Bild: Kerngebiet der Aufrüstung: Industrialisiertes Ostniedersachsen
BREMEN taz | Von Isolde Saalmann (SPD) ist nur noch bekannt, dass sie im
Februar 2007 für ihre Landtagsfraktion ein Gutachten bestellt hat. Der
Vorgang macht sie, kurz vorm Ausscheiden aus dem Parlament, weltberühmt.
Nach 14 Jahren als Abgeordnete des Wahlkreises Braunschweig-Nordost will
sie vom Wissenschaftlichen Dienst des Landtags erfahren, wie „Niedersachsen
Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft aberkennen kann“.
Die Antwort: Tote ausbürgern – das geht gar nicht. Nicht in einem
Rechtsstaat. Und darunter leidet Braunschweig. Denn im ehemaligen Freistaat
Braunschweig ist Hitler Ende Februar 1932 Deutscher geworden. Ohne
Braunschweig hätte Hindenburg ihn 1933 nicht zum Reichskanzler ernennen
dürfen.
Wobei ein restriktiveres Staatsbürgerrecht „Hitlers Griff nach der Macht
nicht gestoppt“ hätte, wie der Hamburger Staatsrechtler Ingo von Münch
vermutet. Hitler nutzt die Liberalität des Weimarer Rechts aus – um sie zu
beseitigen. Danach konnte die Staatsangehörigkeit in jedem Bundesstaat
durch eine „Anstellung im unmittelbaren oder mittelbaren Staatsdienst“
erlangt werden – eine total integrative Lösung.
Bloß: In Braunschweig regieren seit 1930 die Nazis mit. Innenminister ist
Publizist Dietrich Klagges, dessen Schriften Joseph Göbbels „fabelhaft“
findet. Den Führer zu verbeamten ist Klagges ein Gottesdienst. Um den
Posten eines Regierungsrats zu schaffen, reicht eine Mehrheit im
Haushaltsausschuss. Und dass die Landtags-SPD bis in den Herbst auf Belege
für die Erfüllung der Dienstpflicht drängt, sitzt man aus: Ab März ’33
sperrt Klagges die Frager weg und foltert sie zu Tode.
Die Einbürgerung hatte für Furore gesorgt: „Landesregierung erfüllt eine
Ehrenpflicht“, jubelt die Braunschweiger Landeszeitung am 26. 2. 32, aber
nicht nur der Vorwärts spottet über den „Parteibuch-Beamten“. Halb Europa
lachte ja über mehrere seit Anfang des Monats aufgedeckte, gescheiterte
Eindeutschungsversuche. Und daran knüpfen viele an, wie das Berliner
Tageblatt mit der sarkastischen Headline „Es ist erreicht“ – eine
Jesus-Parodie.
Viele Lokalgeschichtsschreiber behaupten, dieses Echo habe das Verhältnis
zwischen dem Mann aus Braunau und seiner zweiten Heimat Braunschweig
getrübt. Ein Beleg fehlt. Fürs Gegenteil gibt’s Indizien: Klagges wird
Ministerpräsident und bleibt’s. Er darf sich bald im Glanze zahlreicher
Projekte sonnen: Extrem ist die Konzentration ideologisch motivierter
Bauten in der Stadt Braunschweig – selbst der Dom wird aufwendig
nazifiziert.
Und dann kommt die offensive Industriepolitik des „Vierjahresplans“.
Hitlers Plan heißt: „Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein�…
wobei laut Geheim-Memorandum von ’36 „die Frage des Kostenpreises“ zu
ignorieren ist: Hauptsache, das Eisen ist kerndeutsch. Und so führt der
Vierjahresplan-Beauftragte Hermann Göring im Juni ’37 aus, er werde
„gesetzliche Bestimmungen erlassen“, dass, egal wo, „Eisen aus der
deutschen Erde […] herausgeholt wird“. Also wird’s Salzgitter.
Die heutige Salzgitter AG arbeitet lukrativ – weil sie hochwertiges Erz
importiert. Das damalige Salzgittergebiet ist komplett unerschlossen, auch
unterirdisch, schließlich lagern dort nur geringfügig eisenhaltige Erze.
Die Hochöfen der Reichswerke Hermann Göring AG zu bauen, verbraucht mehr
Stahl als aus dortigem Erz je erzeugt wird. Heißt: Das Produkt kostet viel
mehr, als sein Verkauf einspielen kann. Die Differenz zahlt das Reich – das
1938 pleite ist. Nur die Annexion Österreichs verhindert den Bankrott.
Der Freistaat Braunschweig aber profitiert: Seine Fläche nimmt zu, das
reiche Goslar, als „Reichsbauernstadt“ Zentralort des ideologieträchtigen
primären Sektors, fällt an ihn, die Bevölkerung wächst: Das
Salzgittergebiet hat bis ’38 rund 10.000, seither nie unter 90.000
Einwohner. Und die Konkurrenz zum Land Hannover, wo die „Stadt des
KdF-Wagens“ entsteht, wird durch diese eigene „Neugestaltungsstadt“
ausgeglichen.
Hitler hing, bei aller Distanz, an Braunschweig: Noch am 27. 1. 45 erinnert
er Göring daran, dass er „eine Zeit lang Regierungsrat in Braunschweig“
war. Göring: „Aber nicht ausübender …!“ Hitler: „Sagen Sie das nicht!…
habe dem Lande großen Nutzen gebracht.“ Das leidet darunter bis heute.
21 Apr 2013
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Benno Schirrmeister
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
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