| # taz.de -- Das Ende der Nachrichtenagentur dapd: Nur ein Traum | |
| > Dapd wollte die wichtigste Nachrichtenagentur des Landes werden. Die Idee | |
| > war so groß, dass viele daran glaubten. Unsere Autorin hat das Ende | |
| > erlebt. | |
| Bild: Die Tränen runterschlucken: dapd stellte am 11. April den Betrieb ein | |
| Heute Nacht habe ich geträumt, Putin hätte Ja gesagt. Und die russische | |
| Staatsagentur hätte dapd gekauft. Dann stand die Chefredakteurin von Ria | |
| Novosti bei uns im Newsroom und wir sollten über die Olympischen Spiele in | |
| Sotschi schreiben. Auf dem Weg in die Küche fällt mein Blick auf einen | |
| Stapel Notizblöcke. Bis vor Kurzem lagen sie noch in meinem Schreibtisch. | |
| Der ist jetzt leer. | |
| Ich stelle das Radio an, Musik, bloß keine Nachrichten. Versteht mich nicht | |
| falsch, ich liebe Nachrichten. Vor zwei Wochen konnte ich nicht genug davon | |
| kriegen. Rücktritte, geplatzte Regierungsbildungen, Neuwahlen – man muss | |
| schon bescheuert sein, um mit solchen Ereignissen extreme Glücksgefühle zu | |
| verbinden. Aber dann schreibst du das erste Mal eine Eilmeldung und es ist | |
| wie ein großer Rausch. | |
| Es kribbelt in den Fingerspitzen, während du tippst. Leadsatz, Zitat, | |
| Hintergrund. Neben dir steht jemand, guckt dir über die Schulter, schlägt | |
| dir noch schnell eine Änderung vor. Dann Kürzel drunter und weg damit in | |
| die Herausgabe. Natürlich ist es manchmal frustrierend, dass niemand mit | |
| einer Nachricht deinen Namen verbindet, sondern nur ein Agenturkürzel. | |
| Aber dann hörst du zum ersten Mal, wie eine von dir geschriebene Meldung | |
| eins zu eins im Radio vorgelesen wird, und musst grinsen. Jetzt möchte ich | |
| lieber Musik hören. Ich habe nachgezählt. [1][Es waren 163 Tage, die ich | |
| als Volontärin bei einer insolventen Nachrichtenagentur beschäftigt war]. | |
| ## Eine E-Mail blinkt auf | |
| Am Anfang steht der 2. Oktober. Ich sitze am Schreibtisch, bin gerade | |
| dabei, eine Meldung zu schreiben, als auf meinem Bildschirm eine E-Mail | |
| aufblinkt. Betreff: Einladung zur Betriebsversammlung. Ein Kollege schickt | |
| mir eine SMS: „Hier geht das Gerücht rum, dass Teile der dapd insolvent | |
| seien.“ Ich denke: „Quatsch, nie im Leben!“ Wenige Minuten später ist es | |
| offiziell. Parallel zu einem Mitarbeiterbrief geht eine Pressemitteilung | |
| raus. Ich lese „Amtsgericht Charlottenburg“ und „Insolvenzverfahren“ und | |
| verstehe nichts. | |
| Ein paar Wochen zuvor hatte ich vor einer fassungslosen | |
| Schlecker-Mitarbeiterin gestanden. Es war jener Freitag im Juni, an dem das | |
| endgültige Aus für die insolvente Drogeriemarktkette verkündet wurde. Die | |
| Frau war geschockt, sie hatte es gerade erst erfahren. Aber sie wollte auch | |
| reden, erzählte von dem gefühlten halben Leben, das sie bei Schlecker | |
| verbracht hatte. Ich schrieb eifrig mit. Die Frau tat mir leid, aber | |
| letztendlich war sie nur eine gute Geschichte. | |
| Bis es dich selbst trifft. Bis du selbst mit deinen Kollegen in einem Raum | |
| stehst und einen Kloß im Hals bekommst. Weil du merkst, wie dir viele ans | |
| Herz gewachsen sind. Und vorne am Pult erzählt jemand, warum es unmöglich | |
| gewesen sei, eine zweite Vollagentur in Deutschland aufzubauen. Dass das | |
| ZDF Schuld habe und die Verlage, die nicht genug zahlten. | |
| Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Meine Oma möchte | |
| wissen, wann ich nach Hause komme. „Bald“, sage ich und erzähle, dass ich | |
| jetzt erst mal Bewerbungen schreiben müsse. „Du findest was Neues“, sagt | |
| sie. „Nicht so was. Nicht mit so tollen Kollegen“, will ich erwidern, | |
| verkneife es mir aber. | |
| ## Wenn etwas Krasses passiert, bleibst du länger | |
| Ich bin fast immer gern zur Arbeit gegangen. Überstunden machten mir nichts | |
| aus. Wenn etwas Krasses passiert, bleibst du länger. Aber während der | |
| Insolvenzzeit ließ das nach. Verunsicherung stellte sich ein. Ich konnte | |
| mich nicht mehr konzentrieren, vertippte mich, gab Fakten nicht richtig | |
| wieder und hatte Ärger mit Pressesprechern. Draußen war der Himmel grau. | |
| Gerüchte machten die Runde. Dass Stellen abgebaut werden würden, war von | |
| Anfang an klar. Aber 100? Wir Volontäre wurden schnell beruhigt: „Euch wird | |
| man nicht rausschmeißen.“ | |
| Der 28. November fällt auf einen Mittwoch. Es ist kalt, ich fahre mit dem | |
| Fahrstuhl in den zweiten Stock. In der Morgenkonferenz, in der | |
| normalerweise die Themen des Tages besprochen werden, teilt der | |
| Insolvenzverwalter mit, dass die Ressorts später einzeln in den siebten | |
| Stock gerufen werden. | |
| Dort oben in der Chefetage sollen die Kündigungen ausgesprochen werden. | |
| Zuerst ist der Sport dran. Die Mitarbeiter fahren hoch, sie kommen wieder | |
| runter, sie müssen alle gehen bis auf einen. Ich sitze am Schreibtisch, | |
| starre auf meinen Bildschirm. Versuche eine Meldung zu schreiben, es geht | |
| nicht. Dann der Anruf, wir sollen hochkommen. Ich schlucke im Fahrstuhl | |
| Tränen herunter. | |
| Oben im siebten Stock hat man einen weiten Blick auf die Gegend. Der | |
| Insolvenzverwalter steht vor uns, er hält eine Liste in der Hand. Wir | |
| müssen unsere Namen sagen. Er sagt etwas, nennt einen Namen. Wir können | |
| wieder gehen, eine von uns muss dableiben. Wir fahren runter, ich fange an | |
| zu heulen. An diesem Tag werden Familienväter mit kleinen Kindern | |
| gekündigt, Redakteure mit 26 Jahren Arbeitserfahrung und Fotografen, die | |
| nur noch ein paar Jahre bis zur Rente gehabt hätten. Es ist ein Kahlschlag | |
| durch die Reihen der Redaktion, eine Kollegin nennt es „das große | |
| Gemetzel“. | |
| ## Im Herzen Journalist | |
| Wenige Wochen später stellt sich ein Mann vor die verbliebenen Leute. Er | |
| sagt, dass er Ulrich Ende heiße und die dapd kaufen wolle, dass er im | |
| Herzen Journalist sei und dass er die Bildsprache der Agentur liebe. | |
| Aufatmen, es geht weiter. Aber so richtig raus aus dem Stillstand kommen | |
| wir nicht. Es gibt kaum klare Ansagen, Ende lässt sich nur wenig in der | |
| Redaktion blicken, seine Mitinvestoren bleiben im Verborgenen. | |
| Irgendwann geht die Chefredakteurin, wir sind kopflos. Neue Gerüchte machen | |
| die Runde. Warum werden neue Mietverträge für Außenbüros nicht | |
| unterschrieben? | |
| Der Februar vergeht. Am 1. März bin ich nicht in der Redaktion. Ein Kollege | |
| schreibt mir eine SMS „Eil: angeblich neuer Insolvenzvertrag.“ Das Spiel | |
| beginnt von vorne. Es gibt Spekulationen über neue Interessenten. Wir | |
| machen Witze darüber, dass die chinesische Staatsagentur demnächst auf der | |
| Matte steht. Dann ist es RIA Novosti. | |
| Am Ende kommt es nicht so weit. Am 11. März tritt die Insolvenzverwalterin | |
| vor die Redaktion. Sie sagt, der Betrieb müsse eingestellt werden. Die | |
| Verhandlungspartner von Ria Novosti hätten sich nicht mehr gemeldet, die | |
| Zustimmung der Gesellschafter aus dem Kreml war ausgeblieben. Sie sieht | |
| traurig aus. Neben ihr steht Ende. Er wird gefragt, ob er sich nicht | |
| entschuldigen möchte. Doch nein, das möchte er nicht. Später wird er in der | |
| „Tagesschau“ zu hören sein. | |
| Das ist jetzt fast zwei Wochen her. Mit dem Ende der dapd kam der Frühling. | |
| Draußen scheint die Sonne. Das ist unfair. Ich hoffe, dass wir irgendwo | |
| anders unterkommen. Dass ich manche meiner Kollegen auf Pressekonferenzen | |
| wiedertreffe, dass ich andere als Chefredakteure bewundern kann. Dass | |
| irgendwo in einem Büro ein Staatsanwalt eine Akte anlegt und dass irgendwo | |
| ein Journalist die ersten Zeilen darüber schreibt, was bei der Insolvenz | |
| der Nachrichtenagentur dapd wirklich geschehen ist. | |
| Die Autorin schreibt unter Pseudonym. | |
| 24 Apr 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Lehmann | |
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