| # taz.de -- Der sonntaz-Streit: Hat Mutti das verdient? | |
| > Anfang Mai bricht im Kindergarten wegen des Muttertags ein Bastelinferno | |
| > aus: Als Mutter muss man sich über all das freuen. Ist das noch | |
| > feierlich? | |
| Bild: Ein Herz für Mutti? | |
| Wenn der kleine Max, oder nennen wir ihn Leon (Platz 1 der beliebtesten | |
| Jungennamen 2009), mit seinen klebrigen Fingerchen das Tablett mit dem | |
| Croissant, dem Milchkaffee und den frischen Tulpen ganz vorsichtig ins | |
| Schlafzimmer trägt, um es dann mit großem Hui und Tadaaa und einem Rumms | |
| auf der Matratze abzustellen, muss sich die Mama doch einfach einen | |
| wegfreuen! Der kleine Leon, ach und ganz allein hat er das Tablett | |
| getragen, und vom Kaffee ging auch nur ein bisschen was daneben. | |
| Mal ehrlich jetzt: Was wollen Mütter einmal pro Jahr mit ein paar Blumen | |
| und Herzchenschokolade, wenn sie die restlichen 364 Tage mit der | |
| Totalüberforderung durch Muttersein, Partnerinsein und Beruflichsein | |
| zurechtkommen müssen? | |
| Läuseausbruch im Kindergarten, Pornos auf der Pubertierenden-Festplatte | |
| oder der Fluch der Prinzessin Lillifee lassen sich doch nicht durch ein | |
| bisschen Frühstück im Bett und ein paar Gutscheine für den Wohnungsputz | |
| neutralisieren! | |
| Andererseits gilt vielen der Muttertag als Anlass, sich für nur scheinbar | |
| Selbstverständliches zu bedanken, über Rollenverteilung nachzudenken und | |
| darüber, ob die Arbeit von Frauen in der Familie genügend honoriert wird. | |
| Immerhin: Noch immer werden berufstätige Mütter gegenüber ihren männlichen | |
| Kollegen, ob kinderlos oder von ihren Hausfrauen unterstützt, | |
| benachteiligt. Kita-Plätze sind so rar, dass Eltern sich in großen Städten | |
| zu wütenden Mobs zusammenschließen, um lautstark auf ihr Anliegen | |
| aufmerksam zu machen. Der Muttertag bietet eine Möglichkeit, sich mit | |
| diesen Themen zu beschäftigen. Wenn dies in Bastelwut kulminieren sollte: | |
| Sei es drum. | |
| Erfunden hat den Muttertag 1865 die Amerikanerin Ann Maria Reeves Jarvis. | |
| Ihre Tochter Anna Maria Jarvis initiierte nach dem Tod ihrer Mutter das | |
| Memorial Mother's Day Meeting, um ihrer und anderer Mütter zu gedenken. | |
| Daraus wurde der heutige Muttertag, wie er neben Deutschland noch in über | |
| 85 Ländern gefeiert wird, darunter in Myanmar, Brunei und St. Vincent, | |
| jeweils am zweiten Sonntag im Mai. Ironischerweise sollte sich die gleiche | |
| Anna Maria Jarvis nach Etablierung des Feiertages recht schnell und für den | |
| Rest ihres Lebens erfolglos für dessen Abschaffung engagieren, da sie mit | |
| seiner Kommerzialisierung (Stichwort Blumen und Schokolade) nicht | |
| einverstanden war. | |
| In Deutschland entstand in der Zeit des Nationalsozialismus ein staatlich | |
| gelenkter Hype um das Muttertum, der die Geburtenraten fördern und die | |
| Frauen aus dem öffentlichen Leben verdrängen sollte. Ab vier Kindern wurde | |
| die „erbtüchtige“ Frau als Heldin des deutschen Volkes mit dem Ehrenkreuz | |
| der Deutschen Mutter ausgezeichnet, der Muttertag im Jahr 1934 gesetzlich | |
| verankert. | |
| Nach dem Valentinstag gilt nationalen und internationalen Floristen- und | |
| Süßwarenmogulen der Muttertag als liebster da umsatzstärkster Tag, der | |
| alljährlich mit Schnäppchenblumen und Pralinen in rosa Schachteln beworben | |
| wird. | |
| Das Pendant zum Muttertag ist der vielerorts als Herrentag bezeichnete | |
| Vatertag, der, anders als der Muttertag nicht nur denjenigen ein Grund zum | |
| Feiern ist, die ihre biologische Pflicht schon erledigt sehen. | |
| Väter und solche, die es noch oder nicht werden wollen, sammeln sich in | |
| Rudeln, dabei hilft zumeist ein Bollerwagen, die Last der beachtlichen | |
| Anzahl Bierfässer zu tragen. Anschließend wird zu einer fünf Kilometer | |
| langen Überlandtour angesetzt, an dessen Ende eine Horde bereits | |
| Bedusselter in den nächsten Biergarten einfällt, um das mittlerweile warme | |
| Bollerwagengebräu gegen die gekühlte Variante einzutauschen. | |
| Im Direktvergleich mutet die Verteilung tradierter Feiermuster ziemlich | |
| unfair an: Schokolade zum Frühstück, serviert im Schlafzimmer versus | |
| Bier-Flatrate im selbstwertstärkenden Herrenrudel. | |
| Diese Feststellung kann im doppelten Sinne nur zu obiger Fragestellung | |
| zurückführen: Hat Mutti das verdient? | |
| Sollten sich Feiertage an neue Lebensentwürfe und gesellschaftliche | |
| Veränderungen anpassen? Oder ist der Wert des Muttertags ein symbolischer | |
| und seine Nichtbeachtung ein Versäumnis in der Beziehung zwischen Kindern | |
| und Eltern? | |
| Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten | |
| Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der sonntaz vom | |
| 4./5. Mai. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem | |
| Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors | |
| versehen sein. Oder schicken Sie uns bis Mittwoch, 1. Mai eine Mail an: | |
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| 30 Apr 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anne-Sophie Balzer | |
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