# taz.de -- Alternative Bibelkunde – 1. Folge: Archaischer Ruf nach Blut | |
> Es gibt Bibelstellen die taugen nicht als großes Programm. Für große | |
> Gruppen sind sie eine Gefahr. Wie diese hier aus der Johannesoffenbarung. | |
Bild: „Sei getreu bis in den Tod“: Die Feldprediger im Ersten Weltkrieg zit… | |
„Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ | |
(Johannesoffenbarung 2, 10) | |
Dieser Spruch ist eine Zumutung. Eine Durchhalteparole, wie man sie aus | |
Kriegen kennt. Und aus einem Krieg stammt er auch, aus einem Kampf der | |
Religionen um Einfluss. | |
Niedergeschrieben während der ersten Christenverfolgungen in der Antike, | |
ist diese Bibelstelle ein schwacher Widerschein der damals entfachten | |
Feuer. Als Johannes die Offenbarung schrieb, verlangte das Christentum von | |
seinen Gläubigen tatsächlich, dass diese „treu bis in den Tod“ am eigenen | |
Glauben festhalten sollten. | |
Nicht, dass es in solchen Situationen keine anderen Optionen gegeben hätte: | |
Schiitische Muslime zum Beispiel dürfen zum Selbstschutz in feindlicher | |
Umgebung den eigenen Glauben verbergen. Aber die Front musste gehalten | |
werden. | |
Die Urchristen waren SoldatInnen in einem Krieg, an dessen Ende das | |
Christentum triumphieren und die dominierende Religion beider römischer | |
Reiche werden würde. Für dieses Ziel wurde von den Gläubigen etwas im | |
Wortsinne Unmenschliches verlangt, nämlich das Opfer des Gottessohnes Jesus | |
Christus nachzuvollziehen. | |
Die Feldprediger im Ersten Weltkrieg zitierten gerne diese Stelle, bevor es | |
ans große Schlachten ging. Noch ein aus der Zeit gefallener | |
Größenwahnsinniger wie Wilhelm II. profitierte als Gottesgnadenkaiser von | |
der biblischen Kriegsrhetorik. | |
## Balsam für eigene Verletzungen? | |
Sprüche wie dieser sind ein Trost. Es war nicht so, dass wir in der DDR die | |
schmerzhafte Art von Verfolgung zu erdulden hatten. Dazu war die | |
Neuapostolische Kirche, in der ich aufgewachsen bin, zu staatsfreundlich. | |
Aber meine Mutter war Christin, mein Vater hoher Offizier bei der Armee – | |
die Staatssicherheit fantasierte Verrat. | |
Nachdem die Ehe meiner Eltern nicht auseinanderzubringen war, parkten wir | |
sonntags das Auto weiter von der Kirche weg, in der Schule musste ich | |
erklären, wo ich war, wenn alle Fußball spielten. Lügen ging dann nicht, | |
das Christentum verlangt das Bekennen, und wenn ich das mal nicht konnte, | |
hatte das Schuldkomplexe und schlaflose Nächte zu Folge. | |
Ich weiß nicht mehr, ob ich jemals genau diesen Spruch in der Bibel | |
nachgelesen habe, aber ich weiß noch, dass das Vorleben der Männer und | |
Frauen, die für ihren Glauben sehr viel Schlimmeres erleiden mussten als | |
ich, etwas Tröstliches hatte in diesen Momenten. Es gab mir die Kraft, | |
meinen Freunden ausführlich zu erklären, dass Christentum und Sozialismus | |
im Grunde dasselbe seien und sie sich bei all ihren Handlungen immer fragen | |
müssten, ob Jesus das auch so gemacht hätte. Ich muss ein schreckliches | |
Kind gewesen sein, ich selbst hätte diesen dicklichen neunjährigen | |
Klugscheißer jedenfalls nicht kennen wollen. | |
Aber der Wechsel vom großen Ganzen ins Subjektive macht es deutlich: | |
Bibelstellen wie diese taugen nicht als großes Programm, als Anleitung für | |
ganze Gruppen sind sie eine Gefahr. Gesellschaften wie unsere bauen | |
menschlicherweise auf dem Zweifel auf, und der Zweifler empfängt laut Bibel | |
nichts. Nur individuell lässt sich der archaische Ruf nach eigenem Blut | |
umdeuten in etwas Balsam für eigene Verletzungen. | |
Daniel Schulz, 33, leitet das Ressort taz2/medien | |
30 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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