# taz.de -- Alternative Bibelkunde – 3. Folge: Kritische Nächstenliebe | |
> Die Lust daran andere zu richten hat rasant zugenommen. Nicht selten ist | |
> die Motivation die eigene Selbstgerechtigkeit. | |
Bild: Die Häme war groß, der Spott gigantisch: Ex-Bundespräsident Christian … | |
Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. | |
(Johannes-Offenbarung 2,10) | |
Gezockt, gelogen, geklaut: Hoeneß, Wulff und Guttenberg. All diesen Fällen, | |
und man könnte diese Liste beliebig mit zeitnahen Alternativbeispielen | |
(siehe das OLG München) erweitern, ist immanent, dass sie den Moraldiskurs | |
des Landes medienwirksam bestimmten und bestimmen. | |
Die Lust daran – insbesondere der Presse, insbesondere auf der Straße –, | |
andere zu richten, hat rasant zugenommen. Ebenso sehr wie das Sehnen nach | |
wirksamer gesellschaftlicher Läuterung. Uli Hoeneß gab der | |
Wochenzeitschrift Die Zeit kürzlich ein [1][dem entsprechendes Interview]. | |
Im Kern des prozessualen Geschnatters steht ein tiefes Bedürfnis nach dem, | |
was hinlänglich Gerechtigkeit genannt wird. Auf beiden Seiten des Grabens | |
gibt es eine immense Lust daran, diese zu empfinden. Es gibt die Majorität | |
im Land, die sich geifernd an den Fallenden weidet. Geschieht ihnen recht | |
so! Deren Spiegelbild ist der Zwilling des Gefühls: das Selbstgerechte. | |
Ein „so schlimm war es doch auch nicht“. Gerade den angesprochenen, | |
öffentlich deklarierten Delinquenten haftet an, sie seien dies immer | |
gewesen. Hoeneß, der Altruist, hat Steuern hinterzogen. Guttenberg, der | |
Shootingstar, hat geklaut für seine Doktorarbeit. Wulff, der Präsident, hat | |
gelogen. Alle haben sie sich selbst die Treue gehalten, bis es nicht mehr | |
anders ging, unfähig zur Reflexion. | |
## Mit Platitüden ummantelt | |
Dogmatisch haben sie beharrt auf dem eigenen Standpunkt, nichts falsch | |
gemacht zu haben, oder schlicht geschwiegen, bis der Druck unerträglich | |
wurde. Deswegen ist die Häme so groß und in bestimmten Situationen der | |
Wunsch nach Strafe so ausgeprägt. Daraus wird schnell ein Zorn, der sich | |
mit Plattitüden wie: „Die dürfen nicht davonkommen, die nicht“, ummantelt. | |
Auch das ist selbstgerecht. | |
Die berühmte Stelle aus der Offenbarung des Johannes galt verfolgten | |
Christen. Sie war als ideelle Stütze in existenzieller Not gedacht. Sie | |
sollte bekräftigen, hoffnungsvoll mit Nachsicht dem oder der anderen und | |
mit fundamentaler Güte, auch wenn diese einem nicht entgegengebracht wird, | |
zu antworten. Auch diese Haltung kann dogmatisch sein. | |
Im schlimmsten Fall kann sie – davon können die Protestanten wahrlich ein | |
Lied singen – jene ausschließen, die eigentlich eingeschlossen werden | |
sollen. Dennoch: Eine kritische Nächstenliebe, die Strafe nicht | |
ausschließt, sondern als Teil des Vergebens leise beherzigt, ist ebenso | |
zeit- wie alternativlos. Vielleicht wird man dadurch wirklich dem anderen | |
und durch ihn letztlich sich selbst gerecht. | |
Jan Scheper, 31, ist Volontär bei taz.de. Er wuchs in einer ökumenischen | |
Familie auf. | |
2 May 2013 | |
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[1] http://www.zeit.de/sport/2013-05/uli-hoeness-steuern-schuld | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
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