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# taz.de -- An der syrisch-libanesischen Grenze: Der Krieg rückt näher
> Einst heirateten die Bewohner auf beiden Seiten der syrischen Grenze
> untereinander. Jetzt wächst die Angst. Viele suchen Schutz bei der
> Hisbollah.
Bild: Von hier aus sollen syrische Rebellen agiert haben: Hermel im libanesiche…
HERMEL taz | Bassem Taha sitzt nach vorne gebeugt auf der Kante seines
Sessels. „Die Menschen haben Angst wegen der Angriffe“, sagt er. Viel mehr
mag er nicht sagen. Seine Schwester, die neben ihm sitzt, hat weniger
Bedenken: „Im Fernsehen haben sie einen Bericht über den Raketenangriff
gezeigt“, platzt es aus ihr raus. „Sie haben verschwiegen, wer sie
abgeschossen hat, aber es waren die Dschihadisten.“
Taha ist Ortsvorsteher in Hermel. Die libanesische Kleinstadt liegt nahe
der Grenze zu Syrien. Sie ist eine Hochburg der schiitischen Hisbollah, die
zunehmend in den Bürgerkrieg in Syrien involviert ist und auf der Seite der
Regierung von Baschar al-Assad gegen die vorwiegend sunnitische syrische
Opposition kämpft. Letztere rächt sich, indem sie Hermel mit Raketen
beschießt.
Von außen betrachtet, scheint hier alles seinen gewohnten Gang zu gehen:
Kinder fahren auf der Straße Fahrrad, Gemüsehändler bieten auf Holzkarren
ihr Obst an, und Restaurants servieren frische Kibbeh. Doch die Hisbollah
hat ihre Aktivitäten merklich intensiviert. Als Mischung aus politischer
Partei, Wohlfahrtsorganisation und paramilitärischer Truppe genießt sie
hohes Ansehen in der Bevölkerung. Ihre gelb-grünen Flaggen säumen die
Straßen.
„Das Blut der Märtyrer wird siegen“, steht auf einer Wand gegenüber von
Tahas Haus. Gelegentlich sieht man ein Plakat mit dem Porträt von Syriens
Präsident Baschar al-Assad. Dessen Baath-Partei ist hier beliebt und
engster Partner der Hisbollah.
## Man kennt sich
Ortsvorsteher Taha ist zwar kein Mitglied der Hisbollah, ohne deren
Einverständnis könnte er jedoch nicht reden; sie kontrolliert genau, was in
ihrer Stadt passiert.
Die offizielle Grenze zwischen beiden Ländern ist praktisch unsichtbar. Nur
ein kleiner Fluss zerschneidet das karge, gelbe Grass auf der Hochebene,
die sich von hier nach Syrien erstreckt. Al-Kusair auf der anderen Seite
wurde vor einem Jahr von syrischen Oppositionellen eingenommen. „Wir hier
in Kasr und die Menschen in al-Kusair, drüben in Syrien, waren immer wie
eine einzige Gemeinschaft“, sagt Hassan Zeater, Bürgermeister von Kasr,
einem Dorf unweit von Hermel. „Wenn wir einkaufen wollten, dann sind wir
eher rübergefahren statt in eine andere libanesische Stadt.“
Man kennt sich. Die Familien heirateten über die Grenze hinweg. Schmuggel
brachte ein verlässliches Einkommen. Doch seit einem Jahr gibt es nur noch
wenig Kontakt. Die Schiiten in Hermel und die Sunniten in al-Kusair
erwarten, dass der Konflikt zwischen ihnen eskaliert.
In der libanesischen Politik verläuft der Graben entlang der gleichen
Linien wie zwischen Hermel und al-Kusair. Die beiden großen
Parteienbündnisse „8. März“ und „14. März“ unterstützen jeweils ein…
im syrischen Bürgerkrieg. Offiziell grenzen sie sich gegen den Bürgerkrieg
in Syrien ab. Zu frisch sind die Erinnerungen an den eigenen 15-jährigen
Bürgerkrieg, der erst 1990 endete; zu groß ist die Angst in der Bevölkerung
vor einer Neuauflage.
## Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten
Doch das schiitisch dominierte Bündnis „8. März“ unterstützt offen Basch…
al-Assad und das vorwiegend sunnitische Bündnis „14. März“ die Opposition.
Mehrere sunnitische Salafistenführer im Libanon haben zum Dschihad gegen
Assad und die Hisbollah aufgerufen und Milizen gegründet. Ahrar al-Sham,
ein islamistischer Zweig der syrischen Opposition, hat die Gründung eines
Ablegers im Libanon bekannt gegeben. Seine Kämpfer können es nicht mit der
Hisbollah aufnehmen. All das verstärkt die Spannungen zwischen Sunniten und
Schiiten.
„Die Situation ist immer schlechter geworden, seit die ausländischen
Kämpfer nach al-Kusair gekommen sind“, sagt Zeater, der hauptberuflich als
Zahnarzt arbeitet. Ein Bild von dem Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah in
seiner Praxis zeigt, auf welcher Seite er steht. „Dschihadisten aus
Pakistan, Tschetschenien, Libyen und anderen Ländern spielen eine immer
größere Rolle.“
In seinen Augen kontrollieren syrische und ausländische Islamisten die
Opposition. In wahllosen Massakern würden sie Christen und Schiiten töten.
Die Hisbollah greife nur ein, um Unschuldige zu verteidigen. „Wir reagieren
bloß auf die Angriffe und greifen nicht selbst an“, sagt Zeater und bläst
den Rauch seiner Lightzigarette in die Luft.
## Raketen auf die Hisbollah
Seit einigen Wochen mehren sich jedoch die Berichte vonseiten der syrischen
Opposition, dass sich die Hisbollah auch an Offensiven der syrischen Armee
beteilige. An der andauernden Belagerung von al-Kusair seien tausende
Hisbollah-Kämpfer beteiligt. Für die syrische Regierung und die Hisbollah
ist die Schlacht um al-Kusair von großer strategischer Bedeutung: Die Stadt
liegt unweit eines Straßenkreuzes, das sowohl Damaskus als auch Hermel mit
der syrischen Küste verbindet.
Für die Versorgung ist der Zugang zu den Häfen unerlässlich. Das gilt
sowohl für die syrische Regierung im Kampf gegen die Opposition als auch
für die Hisbollah im Kampf gegen Israel.
Im Gegenzug hat die syrische Opposition sich entschlossen, die Hisbollah in
ihrer libanesischen Heimat, in Hermel anzugreifen. „Erst vor zwei Tagen
sind wieder zwei Raketen in der Nähe eingeschlagen“, berichtet der
Zahnarzt. Syriens Opposition schießt nach eigenen Angaben nur auf
militärische Stellungen der Hisbollah. Doch die Raketen sind ungenau, Opfer
der Angriffe waren Zivilisten. Sicherheitshalber wurden hier die Schulen
für einige Tage geschlossen.
## Vom libanesischen Staat kommt keine Hilfe
Gleichzeitig sind Tausende syrische Familien nach Hermel geflohen, was die
Spannungen zusätzlich verstärkt. „Wir haben Volkskomitees gegründet, um den
Flüchtlingen zu helfen“, sagt Taha. „Wir helfen ihnen bei der Evakuierung
und bieten Erste Hilfe.“ Die Dörfer sind überfordert, vom libanesischen
Staat kommt keine Hilfe. Bis auf ein paar Armeecheckpoints an den
Landstraßen hat er sich schon lange von hier zurückgezogen. Ohne die
Hisbollah, sagt Taha, können sie nichts ausrichten.
Zeater hofft, dass Syriens Regierungstruppen bald al-Kusair einnehmen,
damit Hermel wieder Ruhe hat. „Meine Quellen sagen mir, dass es nicht mehr
lange dauern wird, bis die syrische Armee al-Kusair einnimmt. Der Countdown
läuft.“ Assads Armee soll bereits mehrere Dörfer in der Gegend eingenommen
haben. Oppositionelle fürchten nun Massenfestnahmen.
In dieser Atmosphäre der Angst und des Misstrauens erhält die Hisbollah
regen Zulauf. Die Menschen in Hermel rücken näher zusammen. Schon jetzt,
sagt der Zahnarzt, verkaufen Bewohner entlang der Grenze ihr Hab und Gut,
um sich zu bewaffnen. „Wir erwarten, dass der Krieg kommt. Wir hatten das
schon mal für 15 Jahre – in unserem eigenen Bürgerkrieg.“
4 May 2013
## AUTOREN
Raphael Thelen
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
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