# taz.de -- Die Wahrheit: Der Reiz des Fußpils | |
> Ein Tierforscher ist auf der Suche nach dem Gebräu in Westfalen | |
> verschollen. Die Wahrheit besitzt weltexklusiv seine letzten | |
> Aufzeichnungen. | |
Bild: Einmal im Jahr wird das berühmte Gebräu aus seinen Grundstoffen gewonne… | |
Schon oft haben wir an dieser Stelle über den kleinen Ort Nottuln in | |
Westfalen berichtet. Ein Flecken Ort, dessen quadratköpfige Bewohner den | |
lieben, langen Tag ein ortsübliches Gebräu in sich hineinschütten, das sie | |
Fußpils nennen. Dieses berüchtigte Gebräu besteht aus dem, was sich die | |
Nottulner einmal im Jahr bei dem gemeinsamen Bad im Dorfbottich unter den | |
langen, gelblich gekrümmten Zehennägeln hervor- und von den verhornten | |
Fußballen abschaben, sowie dem getrübten Badewasser, in dem sie ihre | |
faulige Ernte dann ein paar Wochen gären lassen. | |
Der Name „Nottuln“ bedeutet im älteren Sprachgebrauch „Ort der etwas | |
anderen Menschen und Tiere“, und noch niemals hat sich eines Fremden | |
Schritt in diesen Ort verirrt. So glaubte man bisher. Doch nun ist aus | |
unbekannten Quellen ein Dokument aufgetaucht, welches das Gegenteil zu | |
beweisen scheint. Dabei handelt es sich offenbar um Seiten eines Tagebuchs | |
des erfahrenen und weltweit hoch geehrten Tierforschers Professor Dr. Dr. | |
Serenus Hunsteger, der seit zwei Monaten als verschollen gilt. Diese | |
Aufzeichnungen wurden der Wahrheit zugespielt, weshalb wir sie hier | |
weltexklusiv wiedergeben: | |
„Nottuln, am 4. März 2013 | |
Vor beinahe einer Woche habe ich mein Quartier mitten auf dem Marktplatz | |
von Nottuln nun schon bezogen und direkt am Anfang meiner Forschungen mit | |
großer Erleichterung feststellen dürfen, dass die Nottulner keinerlei | |
Misstrauen gegen meine Behausung unter einer alten Misthaufenplane hegen. | |
Am frühen Abend, wenn die Bewohner des Dorfes schon laut schnarchend in | |
ihren kotigen Koben liegen, und am späten Morgen, wenn sie sich von dem | |
abscheulich stinkenden Fußpils schon trunken in der jauchigen Dorfsule | |
wälzen, ist es mir möglich, mein Versteck unentdeckt zu verlassen, um | |
Beobachtungen und Spähereien anzustellen. Etwas riskanter, aber von | |
unabdinglicher Notwendigkeit ist es, auch außerhalb dieser Zeiten draußen | |
zuweilen, herumzuschleichen, um einen Eindruck von dem Sozialverhalten und | |
der Kommunikation dieser ethnologisch schwer einzuordnenden Gemeinschaft zu | |
bekommen. Es wird mich Zeit kosten, ein sicheres Gefühl für die ’Sprache‘ | |
zu entwickeln, derer sich die Mitglieder dieser Gruppierung bedienen. Mein | |
Proviant reicht für einen Monat. | |
Nottuln, am 12. März 2013 | |
In den vielen Tagen, die ich nun schon standhaft unter schwersten | |
Bedingungen und größten Entbehrungen auf meinem Beobachtungsposten in | |
Nottuln ausharre, werden mir diese bedauernswerten, gleichwohl aber in | |
ihrer urtümlichen Schlichtheit beinahe schon faszinierenden Kreaturen, die | |
diesen bizarren Ort bewohnen, vertrauter. Zuweilen ertappe ich mich dabei, | |
in ihrer ’Sprache‘, also in gutturalen Lauten, zu denken. Dann und wann | |
betrachte ich gedankenverloren meine Füße und vermeine, sie würden mir | |
klobiger und behaarter erscheinen. | |
Nottuln, am 20. März 2013 | |
Mit Schrecken wurde mir heute bewusst, dass ich öfter und öfter dem | |
Verlangen anheimfalle, mein schützendes Versteck zu verlassen und mich | |
schlechterdings unbekümmert mitten unter die Nottulner zu mischen, um mich | |
mit ihnen in der Dorfsule zu wälzen. Zuweilen überkommt mich auch ein | |
schier unbändiges Verlangen, von dem appetitlich anmutenden Fußpils zu | |
kosten und einen Strohballen anzubeten. Mein Proviant reizt mich nicht | |
mehr. Was für Possen … | |
Nottuln, am 4. April 2013 | |
Meine Füße sind im Laufe der Wochen wunderbar klobig geworden und sogar | |
unter den Fußsohlen behaart. In der Nacht habe ich ein Paar herrlich | |
duftende Gummistiefel gestohlen und Fußpils aus dem Dorfbottich gesoffen. | |
Lecker! Ich fühle mich fabelhaft. Morgen Nacht werde ich eine verfaulte | |
Kartoffel stehlen. Das wird ein Fest … | |
Nottuln, am 17. April 2013 | |
Sie! Sie! Sie! Die Königin vom Sackfest! Renate! Zweimal, nur in Wams und | |
Gummistiefeln, ist sie mit einem Sack voller zappelnder Hühner und randvoll | |
mit Fußpils um den Dorfbottich gerannt! Kein anderer Nottulner hat das | |
geschafft! Ihre stoppeligen Waden … Ihr durchdringender Geruch … Ich will | |
sie …“ | |
Hier enden leider die Aufzeichnungen des Forschers. Inzwischen haben | |
Wissenschaftler aus aller Welt ihrer Bewunderung Ausdruck gegeben für den | |
Mut des Professors Dr. Dr. Serenus Hunsteger, sich in derart unbekannte | |
Gefilde begeben zu haben. Gleichzeitig aber teilen die Gelehrten die | |
Befürchtung, dass der begnadete und leidenschaftliche Forscher Opfer seines | |
übersteigerten Ehrgeizes geworden ist und von Nottuln schlichtweg | |
absorbiert wurde: „Nottuln hat sich noch keiner getraut“, so der | |
Vorsitzende der Nobelpreis-Jury, Per Wästberg, am Mittwoch in Stockholm. | |
„Da könnte man ja genauso gut aus wissenschaftlichem Ehrgeiz in ein | |
schwarzes Loch springen.“ | |
Hoffen wir das Beste für Professor Dr. Dr. Serenus Hunsteger. Möge er nicht | |
in den dunklen Sog Westfalens geraten sein. | |
10 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
## TAGS | |
Wahrheit | |
Weihnachten | |
Die Wahrheit | |
Queen Elizabeth II. | |
Dichter | |
Vetternwirtschaft | |
Kirchentag 2023 | |
Borussia Dortmund | |
Homosexualität | |
Ausland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Schande seiner Zunft | |
Ein kleiner bedauernswerter Zombie-Roboter ist das ideale | |
Weihnachtsgeschenk für alle, die richtiges Sozialverhalten lernen wollen. | |
Die Wahrheit: Prügel, Tränen, Sambaklänge | |
Beim Wahrheitklub-Treffen auf der Buchmesse spielten sich wie immer | |
unvergessliche Szenen ab. Es gab in diesem Jahr nur wenige Verletzte. | |
Die Wahrheit: Das Klo der Queen | |
Auf der berühmten englischen Pferderennbahn Ascot kann man schon mal für | |
Terroristen gehalten werden, wenn man durch die Hintertür kommt. | |
Die Wahrheit: Bomben und Balladen | |
Aus allen Teilen der Erde machten sich sechs Dichter der Wahrheit zu einer | |
fröhlichen Sternfahrt nach Münster auf. Am Ende hieß es: „Wir kommen | |
wieder!“ | |
Die Wahrheit: Unter Vettern | |
Der heutige Mittwoch ist Gedichtetag auf der Wahrheit-Seite. Heute darf | |
sich die Leserschaft an einem Poem über Vetternwirtschaft erfreuen. | |
Die Wahrheit: Clown, Clown, Äppelclown | |
Man darf gespannt sein, ob am Ende des sogenannten Kirchentages in Hamburg | |
noch irgendwas von Wert zurückgeblieben ist. | |
Die Wahrheit: Schwarz-gelbe Gefahr | |
Was der grell gefärbte Salamander Lurchi und der nicht minder grell | |
gefärbte Fußballverein Borussia Dortmund gemeinsam haben. | |
Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann … | |
Je näher die völlige Gleichstellung homosexueller Paare kommt (und sie | |
kommt!), umso dreister werden die Gegner. | |
Die Wahrheit: Kleine Missverständnisse | |
Bei Auslandsreisen kann es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse durchaus zu | |
dem einen oder anderen peinlichen Missverständnis kommen. |