# taz.de -- Die Wahrheit: Das Klo der Queen | |
> Auf der berühmten englischen Pferderennbahn Ascot kann man schon mal für | |
> Terroristen gehalten werden, wenn man durch die Hintertür kommt. | |
Bild: Der britische Adel erleichtert sich gern unter seinesgleichen. | |
„Schau mal, da ist es ja!“, rief Max, „und es ist sogar geöffnet! Sollen | |
wir uns das jetzt einfach mal ansehen, wo wir schon mal hier sind?“ | |
Erst ein paar Tage zuvor hatten wir davon gesprochen, wie gern wir uns | |
einmal „Ascot“ ansehen würden, und nun wollte es der Zufall, dass uns die | |
Autofahrt nach Windsor direkt an der berühmten englischen Pferderennbahn | |
vorbeiführte. In riesigen Lettern prangte der Name auf dem imposanten | |
Tribünengebäude, ein großes Tor war einladend weit geöffnet, und deutliche | |
Schilder wiesen unzählige Parkplätze aus, die allesamt frei waren. Wir | |
machten uns zu Fuß auf den Weg, um das gigantische Anwesen zu erkunden. | |
Ein paar Arbeiter waren ganz offensichtlich dabei, die letzten Spuren der | |
vergangenen Rennsaison zu beseitigen, ansonsten lagen Rennbahn und Tribüne | |
ausgedehnt vor uns wie in tiefem Schlaf. Wie wir erstaunt, aber erfreut | |
feststellten, waren wir die einzigen Touristen. Außer uns und den paar | |
Arbeitern war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. | |
Hurtig fotografierten wir uns zwischen Skulpturen der Queen und des guten, | |
alten Prince Philip; ich erkletterte die Bronzestatue eines berühmten | |
Rennpferdes; wir lichteten uns in den privaten Logen des britischen Adels | |
ab und rannten um die Wette über die Rennbahn – kurzum, wir benahmen uns | |
wie die letzten Idioten, die frisch einer Irrenanstalt entsprungen waren. | |
Egal, es sah uns ja niemand. | |
## Ein Kastell aus glänzendem Marmor | |
Nachdem nun ein knappes Stündchen mit allerlei Unsinn vergangen war, ergab | |
es sich, dass wir beide so langsam dringend auf die Toilette mussten. So | |
schlenderten wir zu dem großen und ansehnlichen Gebäude, an das die | |
Besuchertribüne angeschlossen ist. Und tatsächlich, eine Tür war geöffnet, | |
und wir konnten eintreten. Wie staunten wir, als wir die Pracht im Innern | |
besahen, dieses Ausmaß an Geschmack und Eleganz – wir befanden uns in einem | |
Kastell aus glänzendem Marmor, funkelndem Kristall und kostbaren Metallen, | |
so weit das Auge reichte. Alles war so groß und so nobel und geschmackvoll, | |
dass es uns beinahe die Sprache verschlug. | |
„Hier lässt es sich bestimmt ganz gut pinkeln“, freute sich Max. Die | |
Toiletten waren schnell gefunden, und auch hier war alles so atemberaubend | |
edel und splendid eingerichtet, dass einem schier das Herz aufgehen musste | |
und man diesen wunderbaren Ort kaum wieder verlassen wollte. | |
Doch jede schöne Zeit muss einmal ein Ende finden, und so setzten wir | |
unseren Erkundungsgang draußen fort. Mit einem Mal fanden wir uns auf einem | |
Terrain wieder, das an eine große Straße grenzte und von dieser mit | |
verrammelten Drehkreuzen und vergitterten Toren abgetrennt wurde. Schilder | |
besagten, dass die Taschen der Besucher durchsucht würden, und auch | |
ansonsten sah hier alles sehr nach drakonischen Sicherheitsmaßnahmen aus. | |
Als uns gerade schwante, dass wir uns hier an Ascots verschlossenem | |
Haupteingang befanden und wir folglich zum Hintereingang, der wohl nur für | |
die Arbeiter geöffnet hatte, hereingekommen waren und vermutlich gar nicht | |
hier sein dürften, was auch das völlige Fehlen anderer Touristen erklären | |
würde – als uns also das gerade schwante, sahen wir aus der Ferne eine Art | |
kleines Golf-Mobil auf uns zurasen. Beim Näherkommen konnten wir erkennen, | |
dass der Fahrer aufgeregt in ein Funkgerät schrie, und als er das Fahrzeug | |
vor uns stoppte, rief er hinein: „Ich hab sie! Ich bin bei ihnen!“ | |
## Es folgte eine Standpauke | |
Der kleine Mann schimpfte und zeterte so aufgebracht, dass ich befürchtete, | |
er würde bald wie Rumpelstilzchen mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in | |
die Erde stoßen, dass er bis an den Leib hineinfahren und in seiner Wut den | |
linken Fuß mit beiden Händen packen und sich selbst in der Mitte | |
entzweireißen täte. | |
Doch er beschied uns nur, hinten auf das Golf-Auto aufzuspringen, dann fuhr | |
er uns in einer rasanten Geschwindigkeit zu einer Art Wachstube, wo | |
uniformierte Sicherheitsbeamte mit vorwurfsvollen Blicken auf uns warteten. | |
Einer notierte unsere persönlichen Daten, ein anderer kontrollierte unsere | |
Taschen und ein dritter schien beinahe in Tränen ausbrechen zu wollen. Nun | |
folgte eine Standpauke, die sich gewaschen hatte. | |
Auf das private Land der Queen seien wir eingedrungen, das sei absolut | |
verboten, die Queen würde doch auch nicht einfach in unsere Wohnung | |
reinlatschen. Die Bemerkung, dass wir – im Gegensatz zur Queen – auch nicht | |
unsere Wohnungstür sperrangelweit auflassen und Parkplätze anbieten würden, | |
verkniffen wir uns. Im Übrigen sei all unser schändliches Treiben von | |
etlichen Kameras aufgezeichnet worden. Was wir in dem Gebäude gemacht | |
hätten, wollte der Hauptredner noch wissen und Max antwortete: „Nur ge… �… | |
guckt.“ | |
Zu unserer großen Verblüffung schenkte uns der Mann jetzt ein teuer | |
aussehendes Buch über Ascot, bevor er uns mit den abschließenden Worten | |
„Allein das unbefugte Betreten des Geländes der Queen kann vor dem Gesetz | |
schon als terroristischer Akt gewertet werden!“ auf die Straße beförderte. | |
Als was dann denn wohl erst die unbefugte Benutzung der königlichen | |
Toiletten vor dem Gesetz gewertet werden kann? | |
1 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
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