# taz.de -- Debatte EU-Austritt: Cameron in der Klemme | |
> Raus aus der EU? Der britische Premier wird zwischen EU-Ablehnern im | |
> eigenen Land und EU-Fanatikern auf dem europäischen Kontinent zerrieben. | |
Bild: Die Sache mit Europa macht ihn skeptisch: David Cameron. | |
Seit der konservative Premier Ted Heath Großbritannien 1973 in die EU | |
(damals noch EWG – Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) führte, ist Europa | |
für die britische Politik eine Zerreißprobe. [1][Margaret Thatcher] stürzte | |
darüber. Die Labour-Regierung von Tony Blair wurde nur durch den Irakkrieg | |
davon abgelenkt, sich über die Frage eines Beitritts zur Eurozone zu | |
zerfleischen. Und nun ist es David Cameron, den sein zunehmend hilfloser | |
Umgang mit der EU in die Sackgasse führt. | |
Als er 2005 Parteichef der britischen Konservativen wurde, gab Cameron noch | |
die Parole aus, man müsse sich mit Themen beschäftigen, die die Wähler | |
interessieren – also nicht mit Europa. Auf dieser Grundlage konnte er 2010 | |
Premierminister einer konservativ-liberalen Koalition werden, obwohl die | |
Konservativen tendenziell eher gegen die europäische Einigung sind und die | |
Liberaldemokraten eher dafür. Im Mai 2010 war das egal. Aber das war vor | |
der Eurokrise. | |
Denn die Eurokrise hat den antidemokratischen Kern des | |
EU-Selbstverständnisses entblößt, wonach die Vollendung der europäischen | |
Einheit das nicht zu hinterfragende Ideal ist, dessen Teilschritte von | |
keiner Regierung mehr rückgängig gemacht werden dürfen. | |
Ganz gleich, was die Wähler sagen. Zur Rettung der Eurozone werden nun | |
Maßnahmen auf EU-Ebene getroffen, obwohl nicht alle EU-Länder den Euro | |
haben. Dies betrifft auch Großbritannien als größtes Nicht-Euro-Land der EU | |
mit London als wichtigstem Finanzplatz Europas, also dem Tor des Euro zu | |
den globalen Märkten. | |
## Englische Schulabbrechern vs. osteuropäischen Fachkräfte | |
Damit wird die Zukunft der EU wieder zu einem zentralen Thema auch der | |
britischen Innen- und Wirtschaftspolitik. Dazu kommt, dass Großbritannien | |
seine Arbeitsmärkte früher und weiter für die osteuropäischen | |
Beitrittsländer geöffnet hat als die meisten EU-Kernländer, aber die daraus | |
entstehenden Probleme – zunehmende Konkurrenz im Billiglohnsektor zwischen | |
englischen Schulabbrechern und osteuropäischen Fachkräften, wachsende | |
Nachfrage für Sozialleistungen bei gleichzeitigen sozialen Einschnitten – | |
erst jetzt von der Politik überhaupt zur Kenntnis genommen werden. | |
Dass dies geschieht, ist ein Verdienst der rechtspopulistischen Ukip | |
(United Kingdom Indepedence Party), die auf die Probleme mit der einfachen | |
Losung „Raus aus der EU“ antwortet und damit allen etablierten Parteien die | |
Wählerbasis abgräbt. | |
Im linken europäischen Mainstream wird die Brisanz dieser Entwicklung | |
verkannt. Er neigt zu einem Europopulismus, der das Projekt Europa zu einem | |
Akt des Widerstands gegen das böse angelsächsische Finanzkapital | |
hochstilisiert und daher jeden Versuch aus London, eigene Interessen zu | |
formulieren, von vornherein zurückweist. | |
Entsprechend hysterisch waren die Reaktionen aus Teilen der EU auf Camerons | |
Europarede [2][im Januar], als er eine Neuverhandlung der britischen | |
EU-Mitgliedschaft [3][mit anschließender Volksabstimmung] ankündigte – | |
obwohl die Länder der Eurozone ohnehin permanent über neue EU-Verträge | |
diskutieren. | |
## Die in sich gekehrte Eurozone | |
Die massive Kritik aus Europa an Camerons Position, die eigentlich darauf | |
zielt, Großbritannien als EU-Mitglied zu halten, hat den Premier so | |
geschwächt, dass die Verfechter eines britischen EU-Austritts die Oberhand | |
gewinnen konnten. Jetzt muss Cameron eine Volksabstimmung über | |
Großbritanniens EU-Mitgliedschaft wohl auch dann abhalten, wenn die von ihm | |
gewünschten Neuverhandlungen mit der EU scheitern. | |
Womit der Austritt besiegelt wäre. Am Scheitern der Verhandlungen haben die | |
EU-Fanatiker auf dem Kontinent und die EU-Ablehner in Großbritannien | |
offenbar ein gemeinsames Interesse. | |
Aber um Großbritanniens Weg aus der EU zu verhindern, bedürfte es schon | |
einer Menge Weitsicht in Zeiten der Kurzsichtigkeit. Zwischen einer | |
Eurozone, die zunehmend in sich gekehrt ist, und einem Großbritannien, das | |
andere Probleme hat als die Probleme des Euro, gibt es keinen wirklichen | |
Spielraum. | |
20 May 2013 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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