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# taz.de -- Kolumne Vollbart: Das gentrifizierte Wohlseinsgefühl
> Es scheint ein öffentliches Ärgernis zu sein, durch Kreuzberg oder
> Neukölln zu laufen und nicht Deutsch zu sprechen. Das ist ja schließlich
> Deutschland hier.
Bild: Die Berliner fühlen sich gestört vom „Anderem“
Samstagabend. Kreuzberg. Das richtige. Also 36. L., ich und Freunde wollen
in eine Bar. Es kommt zu einer ewig langen Diskussion. Südblock geht nicht.
Ist Party dort. Wir wollen aber nur was trinken. Möbel Olfe? Immer voll.
Kein Sitzplatz. Na gut, dann Würgeengel. Wir stehen also vor der Tür, sagt
der Türsteher: „Ist voll.“ Sag ich: „Da ist doch noch Platz.“ Sagt er:
„Nein.“ Sag ich: „Fick dich!“
Wir sind vor dieser Weinbar nebenan, und ich kriege mich nicht mehr ein.
Seit wann hat denn den Würgeengel einen Türsteher? Antwort: Seit Quentin
Tarantino angeblich gesagt habe, er hänge dort gern mit Diane Krüger ab.
Ich rede mich in Rage. Draußen vor dieser Weinbar sitzt ein Pärchen, Modell
heterosexuelle Langweiler, die meinen, sie wären hip, weil sie in Kreuzberg
wohnen. Weil wir untereinander Englisch sprechen, ziehen sie über uns her.
Ich sage: „Bitte was?“ – Sie: „Ach so, ihr seid gar keine Touristen.“…
„Kommt ihr vielleicht aus Hamburg?“ – Ich: „Fickt euch!“
Es scheint ein öffentliches Ärgernis zu sein, durch Kreuzberg oder Neukölln
zu laufen und nicht Deutsch zu sprechen – das ist ja schließlich
Deutschland hier. Wenn L. und ich uns auf Italienisch unterhalten und durch
die Hobrechtstraße laufen, sind diese aggressiven Blicke von den draußen
sitzenden Menschen spürbar. Wir stören offenbar deren gentrifiziertes
Wohlseinsgefühl – da passen Ausländer nicht rein.
Sie geben sich dem berlintypischen Hass auf Touristen hin. Und Touristen
sind halt alle, die nicht Deutsch miteinander sprechen. „Ihr kommt aus
irgendeinem scheiß Vorort im Westen und wollt jetzt einen auf Hauptstadt
machen. Merkt ihr eigentlich, wie erbärmlich ihr seid?“ Das würde ich am
liebsten jedem Einzelnen sagen, aber ich bin dann doch zu gut erzogen.
Szenenwechsel. L. und ich im Wrangelkiez. Wir kommen von einem Geburtstag,
warten draußen vor der offenen Tür auf Freunde und reden in unsere
Muttersprache. Kommt so ein arischer Typ samt Freundin, Typ Eva Braun. Er
geht mit seiner Freundin durch die Tür, knallt sie zu und sagt: „Der
Wrangelkiez ist so scheiße geworden.“ Dabei schaut er mir in die Augen. Ich
habe meinen Fuß noch in der Tür, schau ihm in die Augen, die Faust schon
geballt, und sage ruhig: „Was genau ist dein verficktes Problem?“ Er
ignoriert mich und geht mit Eva in den Hinterhof.
Dieser ganze Scheiß ist übrigens nicht nur ein Problem der deutschen,
heterosexuellen Masse. Auch schwule Männer fühlen sich von dem „Anderen“
gestört. Sie labern die ganze Zeit davon, dass sie Schwarze oder Asiaten
grundsätzlich nicht attraktiv finden. Ein Problem sehen sie darin nicht.
„Es ist einfach eine Typfrage. Ich mag auch keine Bärte. Darüber regt sich
keiner auf“, sagt ein Freund von einer Freundin. „Idiot“, denke ich. Weil
ich keinen Bock mehr habe, mich aufzuregen, gehe ich mit L. ins Ficken
3000, tanze an der Poledance-Stange rum und mache einen auf
„Showgirls“-Stripperin – in Anlehnung an Paul Verhoevens Film. Vielleicht
nicht so grazil, aber es beruhigt.
25 May 2013
## AUTOREN
Enrico Ippolito
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
taz.gazete
Berlin
Diskriminierung
taz.gazete
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