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# taz.de -- Kolumne Vollbart: Krank, wegen der Grippe und der Welt
> Der taz-Kolumnist muss eine Woche ins Bett.
Ich liege also mit Fieber, Schüttelfrost und Gliederschmerzen im Bett. Zu
allem Überfluss haben L. und ich auch noch Besuch. Der Besuch will
natürlich die volle Berlin-Erfahrung machen, vermute ich: Also Berghain,
Museen, Bars mit komischen Möbeln. Stattdessen wollen sie aber eigentlich
nur flachgelegt werden. Beide verbringen ihre Zeit lieber damit, auf ihr
Telefon zu starren. Er nutzt Grindr, Scruff, Gayromeo. Sie OkCupid.
Während mein Besuch also Bilder von diversen Körperöffnungen an Menschen
schickt, die bei L. und mir in der Nähe wohnen, gehe ich zum Arzt. Ich
betrete die Praxis. Eine hysterische Arzthelferin grinst mich an. Ich will
wieder ins Bett. Sofort. Meine Ärztin – es ist mein erster Arztbesuch in
Berlin – hat ihre Approbation während des Kalten Krieges erhalten. Sie hört
nicht zu, brüllt mich an und empfiehlt: „Sie müssen eine Woche nichts
machen. Nur liegen. Keine Hausarbeit, keine Anstrengungen.“ Ich würde ihr
gern die Lampe von Florence Nightingale sonst wo reinschieben. Lieber
grinse ich vor mich hin. Sie: „Finden Sie das lustig?“ Ich: „Haben Sie
schon mal versucht, eine Woche nichts zu tun? Das würden Sie auch nicht
schaffen.“ Sie: „Ich bin nicht krank. Und Statistik sagt, eine Woche Ruhe.�…
Statistik. Studien. My ass.
Zurück zu Hause. Mein Besuch macht einen auf Blinddate. Ich bleibe allein
zurück, mit L. Mein einziger Knotenpunkt zur Welt da draußen sind Facebook
und Twitter. Und, ehrlich gesagt, regt mich das noch mehr auf. Von wegen
Ruhe. Was soll eigentlich dieser ganze „Red Equal Sign“-Quatsch als
Profilbild, der jetzt überall im Internet zu sehen ist? Dieses Symbol: Ein
rotes Quadrat mit einem rosa Gleichheitszeichen drauf. Die Bedeutung? Ein
Zeichen der Unterstützung der aktuellen Kämpfe in den USA für die Öffnung
der Hetero-Ehe. Und alle auf Facebook so yeah. Wir sind so voll tolerant,
voll offen, voll Homo-Ehe. Das ist so wie Tourette-Syndrom. Nur nicht
verbal, sondern visuell. Einfach machen, ohne nachzudenken. Und alle so
yeah, rosa Gleichzeichen auf rotem Hintergrund. Wir lieben Rosa.
Diese Heuchelei geht mir dermaßen auf den Sack. Die Nutzer sympathisieren.
Aber nur, weil sie das Haus nicht verlassen müssen. Wo waren eigentlich
diese ganzen Menschen bei der Solidaritätsdemo vor der französischen
Botschaft am Brandenburger Tor im Winter? Als es darum ging, im Dezember
mit den Pro-Homo-ehe-Demonstranten in Paris zu sympathisieren? Eben. Zu
Hause. War ja auch kalt. Mich kotzt diese Scheinheiligkeit an. Ja ja, schon
klar, es geht um Sichtbarkeit. Was für ein Scheiß. Es geht eben nicht nur
darum.
Zurück zu meinem geliebten Besuch. Sie: Alle Männer in Berlin sind jetzt
poly. Poly? Gut, also Menschen, die halt mit allem ficken, was nicht
schnell genug weglaufen kann. So Möchtegern-Freigeist. Das stört jetzt
meinen Besuch weniger als mich. Übrigens auch so eine Sache. Heterosexuelle
Paare, die so tun, als ob sie Polyamorie erfunden hätten. Ihr seid so
albern. Ehrlich.
5 Apr 2013
## AUTOREN
Enrico Ippolito
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