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# taz.de -- „Bentos Skizzenbuch“ von John Berger: Die Kunst, eine Zeichnung…
> Welthaltiger Blick, luzide Vergleiche: Der Essayist John Berger hat mit
> „Bentos Skizzenbuch“ sein wohl persönlichstes Werk vorgelegt.
Bild: John Berger beschreibt in „Bentos Skizzenbuch“ die Ästhetik des Supe…
Wer in den siebziger Jahren „[1][Ways of Seeing]“ sah, schwärmt bis heute
davon. Den Titel trugen damals eine TV-Serie [2][John Bergers] in der BBC
und das dazugehörige Buch. Ob es um die Ästhetik des Zoos, die Malerei des
Franzosen [3][Jean-François Millet] oder die Fotografie des Deutschen
[4][August Sander] ging. Der Versuch des marxistischen Kritikers und
Zeichenlehrers, für ein großes Publikum Kunst mit Politik und Geschichte
zusammenzudenken, ist längst zu einem kanonischen Werk geworden. 1980
erschien es auch in Deutschland unter dem Titel: „Das Leben der Bilder oder
die Kunst des Sehens“.
Bergers Oeuvre ist seither auf weit über ein Dutzend Romane, Theaterstücke
und kunsthistorische Essays gewachsen. „[5][Bentos Skizzenbuch]“, sein
jüngstes Werk, ist nun das persönlichste Buch des inzwischen 85-Jährigen,
der seit über 30 Jahren in einem kleinen Dorf in den französischen Alpen
wohnt.
In dem neuen Werk stehen ganz private Reminiszenzen – eine geheimnisvolle
Begegnung beim Schwimmen, die Erinnerung an seinen ersten Verleger, den
unorthodoxen Kommunisten Ernst Frommhold aus Dresden oder an seinen Freund
Luca aus Paris, einen Flugzeugingenieur – neben Alltagsbeobachtungen und
Analysen. Immer finden sich in diesen kurzen, wunderbar beiläufigen
Vignetten aber auch Bergers welthaltiger Blick und seine luziden
Vergleiche.
Etwa wenn er die Ästhetik des Supermarkts als perfide Installation
beschreibt, die die Besucher mit ihren überschaubaren Regalreihen und
Überwachungskameras – im Gegensatz zum klassischen Marktplatz – „permane…
unter Verdacht“ des Diebstahls stellt. Oder wenn er angesichts der globalen
Finanz- und Demokratiekrise die „Gesichter der neuen Tyrannen“ als
„kontrolliert, gepanzert, kugelsicher“ beschreibt.
## Ästhetische Selbstvvergewisserung
In erster Linie ist das Werk aber die ästhetische Selbstvergewisserung
eines künstlerisch begabten Essayisten. Berger hat das Buch nämlich nicht
umsonst nach dem verlorengegangenen Skizzenbuch des von ihm besonders
geschätzten niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza genannt – der
den alternativen Namen „Bento“ trug.
Berger hat Leitsätze aus [6][Spinozas „Ethik“] und eigene Texte und
Zeichnungen zu einem poetologischen Kompendium zusammengestellt. In dem er
darauf hinweist, dass Kunst und Literatur gleichermaßen die Zeit überwinden
wollten. Bei seinen eigenen täglichen Zeichenübungen fasziniert den
Theoretiker, „an so etwas wie einem körperlichen Vorgang“ teilzunehmen.
Fast könnte man meinen, der Pionier der sozialhistorischen Ikonologie rede
einer sensualistischen Wende das Wort, wenn er begeistert notiert, dass,
wer zeichne, „nach einer Berührung mit etwas Ursprünglichem“ strebe.
Seine aus diesem Antrieb über die Jahre entstandenen Skizzen – Blumen- und
Obstbilder, das 60 Jahre alte Fahrrad eines Freundes oder Aktstudien der
befreundeten Tänzerin Maria Munoz – sind Zeugnisse eines etwas klassischen
Realismus. Doch sie illustrieren Bergers Ästhetik des Ausprobierens und
Korrigierens ebenso gut, wie seine Definition von Zeichnen als „eine Art
Navigationsübung“ die Dualität von Körper und Geist bekräftigt, auf die
Spinoza, der Bibelkritiker des 17. Jahrhunderts, hinauswollte.
Am schönsten gelingt seinem zeitgenössischen Bewunderer John Berger dieser
Beweis, wenn der begeisterte Motorradfahrer die Spur seines Gefährts auf
der Straße als „eine auf die Erde gezeichnete Linie“ deutet. Und daraus
folgert: „Du fährst eine Zeichnung.“
John Berger: „Bentos Skizzenbuch“. Aus dem Englischen von Hans-Jürgen
Balmes. Hanser, München 2013, 176 Seiten mit farbigen Abbildungen, 19,90
Euro
30 May 2013
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=LnfB-pUm3eI
[2] http://www.hanser-literaturverlage.de/autoren/autor.html?id=20643
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Fran%C3%A7ois_Millet
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/August_Sander
[5] http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-2397…
[6] http://gutenberg.spiegel.de/buch/5217/1
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Ethik
Kunstkritik
Schwerpunkt Berlinale
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