# taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 4: Tabellenkalkulation | |
> Was bisher geschah: Leena sucht die Lust. Ihre Freundin Isabelle nahm sie | |
> deswegen mit zu einem Porno-Dreh – einem feministischen Porno-Dreh, | |
> wohlgemerkt. | |
Bild: Brainstorming am Laptop: Was hält Leena vom Porno-Dreh? | |
Von wegen wild. Auch vier Tage nach dem Porno-Dreh, zu dem Isabelle sie | |
letzte Woche eingeladen hatte, um dort der Lust nachzuspüren, hielten sich | |
die Bilder in Leenas Kopf. Obwohl oder gerade weil alles so anders gelaufen | |
war, als sie erwartet hatte … Sie hatten mitnichten in einem muffigen | |
Keller gefilmt, sondern auf einer sonnigen Dachterrasse, wo anstelle von | |
Drogen und Bockwurst selbstgemachter Linsensalat und veganer Käsekuchen auf | |
einem wackeligen Beistelltisch gestanden hatten. | |
Keiner der Darstellenden trug einen Schnurrbart, nicht einmal die Frauen – | |
eine Tatsache, die Leena bedauerlich fand. Dafür hatte es eine auffallende | |
Anzahl tätowierter Sterne und Schriftzüge gegeben. Und Gelächter, ständig, | |
laut und ausgelassen. Nicht nur Isabelle schien dieser Job ausgesprochenen | |
Spaß zu machen. | |
„Im feministischen Porno geht es also um die Lust der Frau und nicht um die | |
des Mannes?“, hatte Leena zusammengefasst, als sie mit Isabelle zurück nach | |
Neukölln geradelt war. Isabelle hatte den Kopf gewiegt wie zuletzt Leenas | |
Lehrerin in der Grundschule, wenn das Kind vor ihr sich zwar bemüht, den | |
Punkt aber nicht ganz begriffen hatte. | |
„Stark vereinfacht, aber von mir aus kannst du es darauf runterbrechen. | |
Zumindest, wenn du an das Konzept von Männern und Frauen glaubst.“ | |
Natürlich, hatte Leena gedacht. Wär ja auch zu einfach gewesen. | |
Im Hier und Jetzt ihrer Neuköllner Wohnung kämpfte ihr Verstand mit dem | |
Übermaß an Widersprüchen, denen er in den letzten Tagen ausgeliefert worden | |
war. Leena zwirbelte eine Strähne ihres Haares um den Finger und zog daran. | |
Erst als sich ein einzelnes Haar von ihrer Kopfhaut löste, ließ sie los. | |
Ihre weiterführenden Internetrecherchen zum Thema „Porno“ standen dem, was | |
sie mit Isabelle erlebt hatte, diametral gegenüber. Sie las vom großen Geld | |
– allerdings selten in den Taschen der Frauen –, von Gewalt und Drogen, | |
eben doch. | |
Leena schob die Brille zurecht und widmete sich wieder ihrem eigentlichen | |
Thema: Die Lust. Die Tabelle auf dem Bildschirm war bereits siebzehn Zeilen | |
lang – eine für jede ernstzunehmende Antwort, die sie bisher zum Hashtag | |
#Lust erhalten hatte. | |
Was ist Lust?, hatte Leena über die Tabelle geschrieben. Gesperrte Schrift, | |
fett, 24 pt. | |
Porno stand in der ersten Spalte, die „Was?“ hieß. In der „Wer?“-Spalte | |
daneben der Name des Stichwortgebenden – in diesem Fall Kay. „Wieso?“, die | |
dritte Spalte, war Gesprächsnotizen, aufgekommenen Fragen und Verlinkungen | |
zu Lust-Unterpunkten, die weiter unten in der Tabelle standen, vorbehalten. | |
Leena sah auf das Wort Porno, betrachtete die Bilder in ihrem Kopf und | |
schob in stiller Kapitulation eine zusätzliche Spalte ein. „Selbsttest“. | |
Detailliert beschrieb sie ihre Erlebnisse. Dann sprang sie zu „Fazit“. | |
Offenbar bedeuten Pornos für manche Menschen Lust, für andere Qual, für | |
wieder andere sind sie ein Politikum. Für manche alles zugleich. Sie | |
zögerte, dann resümierte sie: Also „Lust“ macht mir das nicht. | |
Himmel, Leena, ermahnte sie sich. Wie soll aus solchen Phrasen eine | |
statistische Erhebung werden? | |
Nach kurzem Grübeln (während dessen sie bedauerte, dass ein Mensch | |
heutzutage zum Schreiben keine Bleistifte mehr benötigte, auf denen sich in | |
Denkpausen herumkauen ließ) fügte sie ihrer Tabelle eine sechste Rubrik an: | |
„Punkte (1–10)“. | |
Unentschlossen, weil das Porno-Thema noch nicht zu Ende gedacht war und | |
auch, um sich Luft für kommende Erfahrungen zu lassen, trug sie eine | |
neutrale 5 ein. Vorläufig. | |
Lautes Stöhnen riss sie aus ihren Gedanken. Leena schrak hoch und rannte | |
durch den Flur. Als sie an der Schlafzimmertür stand, sah sie die Antwort, | |
die behauptete, ihre Lust zu sein und dieses ganze unsägliche Thema | |
überhaupt erst losgetreten hatte, mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bett | |
sitzen. In der Hand hielt sie eine Fernbedienung, den Blick hatte sie auf | |
den Fernseher an der gegenüberliegenden Wand gerichtet. Auf dem Bildschirm | |
befriedigte sich eine silberblonde Frau. | |
„Was machst du da?“, rief Leena. | |
„Ich schaue die Filme an, die Isabelle dir geliehen hat“, antwortet DIE | |
LUST, als wäre es das Normalste der Welt. | |
„Was für ein Unsinn“, sagte Leena. „Es gibt dich doch gar nicht!“ | |
„Klar gibt es mich! Hörst du doch.“ DIE LUST drückte die Lautstärke höh… | |
Das Keuchen der Silberblonden füllte den Raum. | |
„Pssst! Die Nachbarn!“ | |
„Das war ja klar“, lästerte DIE LUST. „Bloß nicht auffallen. Vergiss es… | |
Ihre Stimme wurde schrill. „Ich lass mich nicht mehr unterdrücken!“ | |
Das Stöhnen dröhnte. Leena spurtete zum Sicherungskasten und legte den | |
Hauptschalter um. | |
31 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Tania Witte | |
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Fortsetzungsroman Lust. Ausgerechnet | |
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