# taz.de -- Forschung an Primaten: „Menschlich, ja“ | |
> Jane Goodall ist die Schutzpatronin der Schimpansen. Ein Gespräch über | |
> den aktuellen Disney-Film, Gender im Tierreich und die Qual in Laboren. | |
Bild: Jane Goodall mit ihrem Kuscheltier-Affen in einem Zoo in Sydney. | |
sonntaz: Frau Goodall, wenn man so lange unter Schimpansen gelebt hat wie | |
Sie, beginnt man dann irgendwann Menschen mit Schimpansen zu vergleichen? | |
Jane Goodall: O ja, manchmal schon. Das ist nie absichtlich passiert, ich | |
habe einfach festgestellt, dass es so ist. Und es hilft einem tatsächlich, | |
manche Dinge zu verstehen. | |
Gibt es bestimmte menschliche Züge, die Sie besonders an Schimpansen | |
erinnern? | |
Wenn man eine gute Mutter mit ihrem Kind beobachtet, ob Menschen oder | |
Affen. Solange das Menschenkind noch so klein ist, dass es nicht spricht, | |
gibt es überhaupt keinen Unterschied. Außer diesem einen, dass die | |
Menschenmutter mit ihrem Kind spricht, auch wenn das Kind selbst noch nicht | |
sprechen kann. | |
Was tut denn eine gute Mutter? Also: eine gute Schimpansenmutter? | |
Eine gute Schimpansenmutter ist sehr liebevoll. Das ist sehr wichtig. | |
Spielerisch; das ist auch wichtig. Geduldig. Tolerant in einem gewissen | |
Ausmaß, aber fähig, das Kind zu disziplinieren. Sie muss wissen, wann sie | |
Nein sagen muss. | |
Und wann sagen Schimpansenmütter Nein? | |
Zum Beispiel, wenn die Mutter gerade dabei ist, nach Termiten zu fischen, | |
und das Kind immer nach dem Werkzeug schnappt. Dann gibt die Mutter einen | |
keuchenden Laut von sich, und das Kind wimmert. | |
Gibt es auch physische Formen der Zurechtweisung? | |
Normalerweise nehmen sie die Hand und beißen hinein. Nicht so, dass eine | |
Wunde entsteht, aber dass es spürbar ist. Das ist eine ganz typische | |
Bestrafung. Und es gibt Mütter, die das nicht können und die dann häufig | |
verwöhnte Kinder haben. Diese Kinder machen oft Probleme. | |
Klingt sehr menschlich. | |
Das ist es. Menschlich, ja. | |
Haben die Schimpansenkinder noch andere enge Bindungen, außer zur Mutter? | |
Ja, zu den älteren Geschwistern. | |
Nie zum Vater? | |
Erst seit Kurzem können wir überhaupt über DNA-Tests die Väter bestimmen. | |
Man sammelt die Fäkalien und schickt sie ins Labor. Bevor es diese | |
Möglichkeit gab, mussten wir raten. Es gibt keine Paarbindung zwischen | |
Männchen und Weibchen. | |
In dem aktuellen Disney-Film „Schimpansen“ haben Sie als Beraterin | |
mitgewirkt. Im Film sieht man unter anderem, dass es für ein Männchen unter | |
Umständen möglich ist, seine Rolle zu wechseln? | |
Ein Alphamännchen muss sehr selbstbewusst sein und sehr mutig. Auch wenn | |
ein Anführer gerade von drei anderen Männchen angegriffen wird, weil er | |
gerade erst in diese Position gelangt ist, muss er seine Angst beherrschen | |
und die Angreifer konfrontieren. Ein Männchen, das das kann, hat eine | |
Chance, auch an der Spitze zu bleiben. Es gibt zwei Arten von | |
Alphamännchen. Manche kommen an die Spitze, weil sie groß, stark und sehr | |
aggressiv sind. Solche halten ihre Position höchstens zwei Jahre. Daneben | |
gibt es die anderen, die vielleicht kleiner sind, aber sehr motiviert und | |
intelligent – die können es auf sechs bis zehn Jahre bringen. | |
Aber Weibchen haben keine Chance auf die Führungsposition. | |
Nicht für die ganze Gruppe. Aber es gibt auch unter den Weibchen eine | |
Hierarchie, die sich allerdings permanent ändert. Wenn etwa ein Weibchen an | |
einem Tag von seinem schon erwachsenen Sohn begleitet wird, kann es eine | |
andere Mutter dominieren, die nur mit ihrer erwachsenen Tochter zusammen | |
ist. Aber da heranwachsende Schimpansen nicht mehr die ganze Zeit bei ihrer | |
Mutter sind, ändert sich die Hierarchie ständig, je nachdem, welche Kinder | |
eine Mutter gerade um sich hat. | |
Ihre Beratertätigkeit bei „Schimpansen“ – worin bestand die genau? | |
Ich sollte das Drehbuch lesen und kommentieren, hauptsächlich aber dabei | |
helfen, den Film zu promoten. Das hieß für mich: die Sache der Schimpansen | |
zu promoten! In den USA habe ich unzählige Interviews gegeben und dabei | |
auch viel über das Jane-Goodall-Institut gesprochen, über die fünfzig | |
Jahre, die wir schon über Schimpansen forschen und die mir die Autorität | |
geben, über diesen Film zu sprechen. | |
Um noch einmal auf die Rollenmuster zurückzukommen: Während der | |
Dreharbeiten stieß das Filmteam auf eine Geschichte, die außergewöhnlich zu | |
sein scheint: ein Männchen, das einen verwaisten kleinen Schimpansen | |
adoptiert. Ist dieser Vorgang tatsächlich so sensationell? | |
In all den Jahren, die ich in unserer Feldstation in Tansania geforscht | |
habe, habe ich ein einziges Mal etwas Ähnliches beobachtet. Es kann | |
vorkommen. Hier ist es aber ein Alphamännchen, der Anführer der Gruppe! Das | |
ist wirklich äußerst selten. | |
Im Presseheft schreiben Sie, das sei so selten, weil er als Anführer in den | |
Augen der anderen „eine Rolle zu erfüllen“ habe. Welches Verhalten | |
impliziert das? | |
Das soll heißen, wenn man ein hochrangiges Männchen sein will, muss man | |
jederzeit bereit sein, diese Position zu verteidigen. Dafür diese ganze | |
Angeberei. Man muss groß und stark aussehen, an Bäume trommeln, das Fell | |
sträuben, jüngere Männchen in ihre Schranken weisen. Und ich habe immer | |
gesagt, natürlich würden Mütter sich niemals so verhalten, weil sie sich um | |
ihr Baby kümmern müssen. Aber Freddy im Film schafft es tatsächlich, sowohl | |
das Kind zu behalten als auch seine Position zu behaupten. | |
Er hat also dasselbe Alphamännchen-Verhalten gezeigt wie vorher? | |
Nun, zu Beginn hat er das wohl tatsächlich vernachlässigt. Dann aber, als | |
seine Position gefährdet schien, musste er es wieder aufnehmen. | |
Weil Sie gerade „Freddy“ sagten: Sie schreiben in Ihrem Buch „Grund zur | |
Hoffnung“, dass Sie die Erste waren, die den Affen, die Sie beobachteten, | |
Namen gaben. Das war früher nicht üblich? | |
Es war offenbar nicht wissenschaftlich. Aber ich hatte damals ja noch nie | |
wissenschaftlich gearbeitet, hatte nicht einmal studiert. Wie sollte ich | |
das also wissen? | |
Heutzutage geben ja alle Wissenschaftler den Tieren Namen. | |
Nicht alle, aber die meisten. Außer den Leuten, die schreckliche | |
medizinische Forschung betreiben. Sie wollen nicht auf diese Weise an die | |
Tiere denken. | |
Was die medizinische Forschung betrifft, so sind Sie selbst seit 1986 | |
hauptberuflich als Aktivistin tätig. Haben Sie das Gefühl, in den fast drei | |
Jahrzehnten auf diesem Gebiet etwas bewirkt zu haben? | |
Es hat sich einiges getan, und wir haben dabei Einfluss gehabt, das weiß | |
ich. Aber auch andere Faktoren haben eine Rolle gespielt. Zum einen ist es | |
sehr teuer, Schimpansen zu halten. Zum anderen wurde die öffentliche | |
Meinung immer kritischer. Inzwischen sind in den USA die meisten der Labore | |
geschlossen worden, die Forschung an Schimpansen betrieben haben. Das | |
National Institute of Health hat gerade eine Direktive herausgegeben, nach | |
der die meisten der zu Forschungszwecken gehaltenen Schimpansen | |
freigelassen werden sollen. Es sind immer noch etwa 1.500 Schimpansen, die | |
in diesen schrecklichen Laboren leben. Eine Studie hat ergeben, dass die | |
meisten Experimente für den Menschen überhaupt nicht von Nutzen sind. Etwa | |
500 Schimpansen sollen nun noch bleiben, die anderen werden aus der | |
medizinischen Forschung entlassen. Diesen Entscheidungsprozess habe ich | |
über die Jahre hinweg begleitet. | |
Und was wird aus den entlassenen Schimpansen? | |
Das ist das Problem. Der Direktor des National Institute of Health, der die | |
ganze Zeit mein Gesprächspartner war, sagte zu mir, aber Jane, was sollen | |
wir nur mit ihnen machen? Kannst du uns helfen, Geld aufzutreiben? Wir | |
müssen Einrichtungen für sie bauen. | |
Also helfen Sie mit, diese Einrichtungen aufzubauen? | |
Nein. Sie müssen selbst zusehen, wie sie das Geld zusammenbekommen. Wir | |
schaffen es gerade einmal, unsere Projekte in Afrika zu finanzieren, | |
darunter auch Projekte, die das Leben von Dorfbewohnern verbessern helfen, | |
und unser Jugendprogramm, das in 130 Ländern läuft. | |
Aber wo genau sind denn jetzt die Laborschimpansen, die nicht mehr | |
gebraucht werden? | |
Sie sind immer noch genau dort, wo sie waren. Nur 110 Tiere aus den | |
allerschlimmsten medizinischen Forschungszentren konnten inzwischen | |
umziehen in eine Einrichtung, die schon zu diesem Zweck gebaut worden war | |
und mit nicht allzu viel Geld vergrößert werden konnte. Als ich das interne | |
Filmmaterial aus diesen Laboren gesehen habe, wäre ich fast gestorben. Ich | |
konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Das war letztes Jahr. | |
Im Film „Schimpansen“ erfährt man, dass heutzutage nur noch ein Fünftel d… | |
Schimpansenpopulation lebt, die es noch vor zwanzig, dreißig Jahren | |
insgesamt gab. Die Tiere werden nicht nur zur Forschung benutzt … | |
Überall in Zentral- und Westafrika werden sie von Buschmann-Stämmen | |
gegessen. Nicht als alltägliche Mahlzeit, sondern vor allem für | |
zeremonielle Anlässe. Schimpanse ist eine Delikatesse. Das Problem ist: | |
Früher aß ein ganzes Dorf vielleicht einen Schimpansen. Und in den meisten | |
Dörfern wird das gar nicht praktiziert, es ist eine lokal begrenzte | |
Tradition. Aber die zunehmende kommerzielle Ausbeutung der afrikanischen | |
Wälder hat alles geändert. Die Nutzung der natürlichen Ressourcen ist nicht | |
mehr subsistent, und die kulturellen Beziehungen zwischen Mensch und Wald | |
sowie Mensch und Tier haben sich geändert. Ausländische | |
Forstwirtschaftsunternehmen sind in den Wäldern, darunter auch ein großes | |
deutsches, mit Hauptquartier im Kongo. Und selbst wenn sie alle nachhaltige | |
Forstwirtschaft betrieben, würde das wenig nützen, da sie die Wälder durch | |
den Bau von Zufahrtswegen zugänglich machen. Auf diesen Straßen kommen die | |
Jäger. Heute wird nicht mehr nur für das eigene Dorf gejagt, sondern aus | |
kommerziellen Gründen. | |
Was kann man dagegen tun? | |
Ich habe mit den Forstunternehmen geredet, und als Ergebnis wurde eine Art | |
Verhaltenskodex verabschiedet. Darin steht zum Beispiel, dass Bäume nicht | |
zu dicht nebeneinander geschlagen werden dürfen. Und soweit ich gehört | |
habe, haben sie diesen Kodex jetzt um einen ganzen Abschnitt erweitert, der | |
vom Umgang mit Tieren handelt. Ein Unternehmen, das deutsche übrigens, hat | |
als Direktive für seine Forstarbeiter ausgegeben, dass die Arbeiten | |
abgebrochen werden müssen, wenn in der Nähe Schimpansen zu hören sind. Ich | |
bin schon sehr oft dafür kritisiert worden, dass ich Gespräche führe mit | |
den Forstwirtschaftsunternehmen oder mit Leuten, die medizinische Forschung | |
an Primaten betreiben. Aber wenn man vernünftig mit den Leuten redet, | |
erreicht man sehr oft Veränderungen zum Positiven. Es bringt nichts, | |
herumzuschreien und mit dem Zeigefinger zu fuchteln. Und es ist sehr | |
schwierig, das Denken der Menschen zu ändern. Man muss versuchen, sie | |
emotional zu berühren. | |
Verbinden Sie mit diesem Film konkrete Hoffnungen für die Sache der | |
Schimpansen? | |
Zum einen hoffe ich, dass der Film zu einem besseren Verständnis für | |
Schimpansen beiträgt. In den USA ist es völlig legal, Schimpansen als | |
Haustiere zu halten. Wir wollen bewirken, dass das verboten wird. Aber | |
solange es legal ist, kann dieser Film dazu beitragen, dass die Leute | |
verstehen, dass Schimpansen nicht klein und niedlich bleiben, sondern groß, | |
stark und gefährlich werden können. Der andere Grund, warum ich den Film | |
promote, ist, dass mein Institut finanziell davon profitiert hat. Sie haben | |
uns einen gewissen Prozentsatz der Einnahmen aus den ersten zwei Wochen | |
gegeben. Keine Riesensumme, aber das Geld hat uns sehr geholfen. Wir | |
betreiben die größte Einrichtung für verwaiste Schimpansen in Afrika. Geld | |
dafür aufzutreiben, ist ein ständiges Thema. | |
## ist Kulturjournalistin und mag keine Zoos | |
2 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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