| # taz.de -- Brechmittel-Prozess: Dritter Akt einer Justiz-Groteske | |
| > Der Prozess gegen den Arzt, der für den Tod Laye Condés verantwortlich | |
| > ist, droht eingestellt zu werden. Ein „Justizskandal ersten Ranges“, | |
| > sagen die Grünen. | |
| Bild: Fordern Konsequenzen: Demonstranten vor dem Bremer Landgericht. | |
| BREMEN taz | Zweimal wurde Polizeiarzt Igor V. vom Landgericht Bremen | |
| freigesprochen, obwohl er dem aus Sierra Leone stammenden Laye Condé im | |
| Dezember 2004 so lange Brechmittel und Wasser eingeflößt hatte, bis der ins | |
| Koma fiel und wenige Tage später starb. Durch diese „Zwangs-Exkorporation“ | |
| sollte Condé dazu gebracht werden, heruntergeschluckte Kokain-Kügelchen zu | |
| erbrechen. Zweimal kassierte der Bundesgerichtshof (BGH) die Urteile, den | |
| letzten Freispruch bezeichnete er als „fast grotesk falsch“. Und nun | |
| scheint der dritte Prozess ebenso grotesk zu enden, nämlich mit | |
| Verfahrenseinstellung. „Ein Justizskandal ersten Ranges wäre das“, sagt | |
| dazu Matthias Güldner, Fraktionsvorsitzender der Grünen in der | |
| Bürgerschaft. | |
| Sowohl Elke Maleika, Anwältin der Nebenklage, als auch Prozessbeobachter | |
| der „Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé“ haben das schon länger | |
| befürchtet. Zu sehr habe sich das im April begonnene Verfahren um die | |
| Todesursache Condés gedreht, zu wenig um die Verantwortung des Angeklagten. | |
| Erst als der selbst befragt wurde, schien sich das Blatt zu wenden: V. | |
| verstrickte sich in viele Widersprüche (die taz berichtete). „Umso | |
| erstaunter“, sagt Elke Maleika, „war ich über den Vorschlag der | |
| Vorsitzenden Richterin Barbara Lätzel, die Anklage wegen Körperverletzung | |
| mit Todesfolge auf den Tatbestand der fahrlässigen Tötung herunterzustufen | |
| und das Verfahren dann möglicherweise auch einzustellen.“ Am übernächsten | |
| Verhandlungstag, das ist am 14. Juni, soll die Entscheidung fallen. | |
| Eigentlich ist aber die Einordnung des BGH bindend für das Landgericht. | |
| Lediglich wenn es im Laufe des aktuellen Verfahrens zu anderen | |
| Tatsachenfeststellungen kommt, kann es sich davon lösen. „Wenn das Gericht | |
| andere als die bekannten Tatsachen festgestellt hat“, sagt Maleika, „dann | |
| weiß ich nicht, welche – und ich war ja nun jeden Prozesstag da.“ Die | |
| Herunterstufung des Anklagepunkts wiederum ist Voraussetzung für eine | |
| Einstellung, denn fahrlässige Tötung ist ein Vergehen, während | |
| Körperverletzung mit Todesfolge ein Verbrechen ist – und bei einem | |
| Verbrechen dürfte das Verfahren nicht eingestellt werden. | |
| Sowohl die Änderung der Anklage als auch eine Einstellung nach Paragraf | |
| 153a bedarf der Zustimmung des Verteidigers und des Staatsanwaltes: „Der | |
| Verteidung kann gar nichts Besseres passieren“, sagt Maleika, „und zur | |
| Staatsanwaltschaft kann ich nur sagen: Im ersten Verfahren war es auch sie, | |
| die Freispruch für V. gefordert hat.“ Die Nebenklägerin hat auf die | |
| gefällte Entscheidung keinen Einfluss und bei einer Verfahrenseinstellung | |
| auch keine Möglichkeit mehr, Revision einzulegen. | |
| Eine Verfahrenseinstellung muss voraussetzen, dass das öffentliche | |
| Interesse an der Strafverfolgung gering ist. „Es gibt hier aber“, sagt | |
| Kristina Vogt, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion in der Bürgerschaft, | |
| „ein gezieltes öffentliches Interesse, denn hier ist kein Verbrechen in | |
| einem privaten Umfeld geschehen, sondern in staatlicher Obhut.“ Und auch | |
| Güldner sagt: „Ein unmenschlicher Brechmittel-Einsatz unter Zwang, in | |
| dessen Folge Condé in staatlichem Gewahrsam gestorben ist, darf nicht zur | |
| Bagatelle gemacht werden.“ | |
| Wird es auch nicht, sagt Gerichtssprecher Thorsten Prange: „Das Gericht | |
| würde niemals eine unseriöse Entscheidung treffen.“ Lätzels Anregung sei | |
| Teil ihres „konsensulaen Verhandlungsstils. Dass man solche Überlegungen in | |
| den Raum stellt, ist völlig unverdächtig und bedeutet sicher nicht, dass | |
| hier auf eine Verfahrenseinstellung zugesteuert wird.“ Schließlich sei man | |
| ja noch mitten in der Beweisaufnahme. | |
| Aber genau das wirft die Frage auf, warum „solche Überlegungen“ zum | |
| jetzigen Zeitpunkt überhaupt angestellt werden: „Man fragt sich, ob da | |
| jemand aus dem Umfeld des Polizeiapparates geschützt werden und was da | |
| eigentlich unter den Teppich gekehrt werden soll“, sagt Güldner, der nach | |
| dem Brechmittel-Tod Condés beteiligt war am Misstrauensantrag gegen den | |
| damaligen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU). Als Condé bereits im Koma | |
| lag, hatte der gesagt, dass „Schwerstkriminelle mit körperlichen Nachteilen | |
| rechnen müssen“. | |
| Die Linksfraktion unterstützt auch den Aufruf zur Unterzeichnung einer | |
| „öffentlichen Protesterklärung“ der „Initiative in Gedenken an Laye-Ala… | |
| Condé“ und sieht jetzt Justizsenator Günthner (SPD) in der Pflicht: | |
| „Unserer Ansicht nach muss er seine Verantwortung wahrnehmen und das | |
| öffentliche Interesse an diesem Verfahren gegenüber der Staatsanwaltschaft | |
| sicherstellen“, sagt Vogt. Und auch die SPD hat sich zu Wort gemeldet. Es | |
| sei zwar eher unüblich, dass das Parlament die Arbeit der Justizbehörden | |
| kommentiere, so Fraktionssprecher André Städler, „aber die Urteile des BGH | |
| sprechen Bände. Mehr muss man dazu wohl nicht sagen“. | |
| 2 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schnase | |
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| Brechmittel | |
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