| # taz.de -- Ende eines Buchvertriebs: Restposten der Anarchie | |
| > Die Vertriebs-Föderation Anares in Bremen war lange mehr als ein | |
| > Buchvertrieb für anarchistische und gesellschaftskritische Literatur. | |
| > Seit einiger Zeit wurden die Bestellungen weniger, bald ist es vorbei. | |
| Bild: Klima-neutral - und bald weg: Der Buchvertrieb Anares von Gerald Grünekl… | |
| BREMEN taz | Gerald Grüneklee schiebt die graue Feuerschutztür auf, | |
| dahinter folgt noch eine Metalltür und dann noch eine. Es ist, als wäre er | |
| in den Untergrund gegangen. Um zu seinen Büchern zu gelangen, kämpft er | |
| sich durch einen dunklen Gang. Hinter den drei Kellertüren lagert das | |
| Rest-Sortiment des Anares-Buchvertriebs: Anarchismus, Mao, Sticker, Noam | |
| Chomsky. | |
| 2006 schloss das Ladengeschäft von [1][Anares] in Bremens Szeneviertel | |
| Steintor. Seitdem bearbeitet Grüneklee die Buchbestellungen aus dem | |
| Kellergeschoss eines Ärztehauses im dörflich geprägten Bremer Stadtteil | |
| Borgfeld. Bis Ende des Jahres soll es noch weitergehen. Danach ist Schluss. | |
| Grüneklee wandert vom Karton mit Antimilitarismus zum Regalbrett mit | |
| Ökologie. Über 20.000 Titel hat Anares gelistet. Herbert Marcuses „Kultur | |
| und Gesellschaft I“ in Violett, „Vietnam – Genesis eines Konflikts“ in | |
| Giftgrün, Marx und Bakunin, daneben „Anfänge der chinesischen | |
| Arbeiterbewegung 1919–1926“ oder „Vorschläge jenseits der Lohnpolitik“. | |
| Einige Bücher sind mehrfach eingelagert, viele überhaupt noch nicht | |
| katalogisiert. „Für eine Urlaubsvertretung müsste ich zwei Tage lang | |
| aufräumen“, sagt Grüneklee. Auf der Anares-Website wirbt er noch damit, | |
| dass man für Lagerbesuche Termine abmachen kann. Seit Monaten war niemand | |
| mehr da. | |
| Der kühle Raum duftet zart nach altem Papier. Kaum Feuchtigkeit und nur | |
| wenig Tageslicht dringt durch die vergitterten Kellerluken. Für Bücher ist | |
| das gutes Klima. Neon-Röhren springen an. Die Bodenkacheln sind kaum zu | |
| sehen, zwischen den Holzregalen türmen sich beschriftete Bananenkartons und | |
| Versandkisten aus gelbem Plastik, überall ragen Stapel empor, ein Labyrinth | |
| aus Büchern, Burgen aus Büchern. Eine Ruine. | |
| Anares, das war einmal mehr. 1975 startete der „Freiheitliche Buchvertrieb“ | |
| als Vorläufer in Gummersbach, 1985 gründete sich die Anares-Förderation. Es | |
| wuchsen anarchistische Vertriebsgruppen in Köln, Mannheim, Stuttgart, Wien | |
| und Bern. | |
| Seit 1990 ist Grüneklee dabei. Aus Hannover belieferte er die | |
| Postleitzahlen-Bereiche 1, 2, 3 und die DDR, war Ansprechpartner für | |
| anarchistische Verlage im Norden, organisierte libertäre Buchmessen. Mit | |
| dem Trotzdem-Verlag kooperierte Grüneklee 1995 für die Herausgabe der | |
| Neuauflage von Michael Bakunins „Gott und der Staat“, später für Paul | |
| Lafargues „Das Recht auf Faulheit“ oder „Das ABC des Anarchismus“. | |
| Anares sollte anarchistische Ideen verfügbar machen, Texte wurden gesucht | |
| und verbreitet, über 50 Ausgaben der eigenen „Anares-Infos“ entstanden. In | |
| einer Zeit, als die Barsortimente der Großhändler noch nicht so | |
| allumfassend waren, gab es viele linke Titel nur bei Anares. Die dezentrale | |
| Föderation war selbst Großhändler für Infoläden und Büchertische. | |
| Bulliweise kaufte Grüneklee Restbestände direkt von linken Verlagen, war | |
| Antiquar, Autor und Herausgeber. Nicht immer wurden alle Rechnungen | |
| beglichen, Anares machte Schulden. Ende der Neunziger schläft die | |
| bundesweite Förderation ein, Grüneklee macht in Bremen weiter. | |
| In seiner Büroecke im Keller legt Grüneklee einen Zettel auf einen Haufen | |
| aus anderen Zetteln, der ihm fast bis zur Brust reicht. „Bestellschein, | |
| Rechnung, alles überprüfen und dann in die Versandtasche“, sagt er. An der | |
| Betonwand über dem Schreibtisch hängt ein Poster, darauf eine Frau in einer | |
| Sommerallee. „Wer Bücher liest, entdeckt andere Welten“, so der Spruch. | |
| Darunter steht ein Rondell mit Stempeln: „Büchersendung“, „Bitte nicht | |
| knicken“, einer mit politischer Botschaft: „Gedanken sind der Anfang von | |
| Taten“. | |
| Und dann noch ein Stempel, den Grüneklee auf gebrauchte Versandtaschen | |
| drückt: Der Spruch erklärt, warum es ökologisch Sinn macht, alte | |
| Briefumschläge wieder zu verwenden. Der Vertrieb von Anares ist | |
| klimaneutral und war eine der ersten Einrichtungen überhaupt, die vom | |
| Kaffeekocher bis zur Heizung auf den CO2-Ausstoß durchgeprüft wurde. Ein | |
| Alibi? Grüneklee hat es auf der Website erklärt: „Die Wachstumsmaschine | |
| muss durchbrochen werden – oder der ungezügelte Kapitalismus schafft die | |
| Erde ab.“ | |
| Ein paar Sachen verkauft Grüneklee nicht. Esoterik oder Militaria, die | |
| wären lukrativ, aber er verzichtet. „Man kann es verrückt nennen oder | |
| konsequent“, sagt er. Einmal hat eine NPD-Ortsgruppe ein Buch von Mao | |
| bestellt. | |
| Grüneklee schlendert wieder hinter eines der Regale. „Es läuft nicht so | |
| dolle“, sagt er. „Schnellstmöglich Bücher einscannen und versenden? Da ka… | |
| ich mich auch in der Fabrik ans Band stellen“. Klar sei er frustriert, „wie | |
| soll es auch anders sein, wenn man so ein Projekt einstellt?“ | |
| Als Leseratte und politischer Mensch war er auf das Anares-Projekt | |
| gestoßen. Ihn fasziniert das Buch als Medium, auch dessen Ästhetik. Nachdem | |
| sein Sohn geboren wurde, suchte er etwas, womit er ökonomisch und | |
| arbeitsorganisatorisch flexibel war. „Nach dem Mauerfall war klar, dass | |
| wieder eine nationalistische Stimmung aufkam.“ Sein Engagement bei Anares | |
| sei „Teil der Intervention gegen Nationalismus“ gewesen. Er ist Schöpfer | |
| des Slogans „Anarchie statt Deutschland“. Als Aufkleber hat er ihn | |
| verbreitet. Der Spruch wurde ein Renner. „Das erste Kapital, außer den | |
| Kosten für die Aufkleber, waren 50 Mark für eine Anzeige in der taz.“ | |
| Bislang konnte sich Grüneklee von den Verkäufen noch ernähren. Aber es | |
| werde immer enger. Durch das Internet seien die Preise bei Antiquariaten | |
| ohnehin eingebrochen, auch auf dem Neubuchmarkt spricht Grüneklee von einer | |
| „Amerikanisierung“. Und Solidarkäufe? „Das ist ein wunder Punkt“, sagt… | |
| die gebe es seit den 80er-Jahren kaum noch, im Gegenteil: „Die Leute folgen | |
| einem Bequemlichkeitsdenken und nicht dem politischen Bewusstsein“, sagt | |
| er. Es ärgert ihn. | |
| Bei Bestellungen, die über die Website ZVAB für antiquarische Bücher bei | |
| ihm eintreffen, fallen ihm oft Namen von Leuten auf, die selbst gegen die | |
| „Neoliberalisierung“ anschreiben. „Warum fragen die nicht direkt, ob wir | |
| ein Buch da haben?“ Bis in die 90er-Jahre hätten gute Bücher noch gute | |
| Preise gehabt. Heute herrsche eine Zockermentalität. „Es gibt keine | |
| Kollektivität mehr, nur noch Individuen, die ein Buch bestellen“, sagt | |
| Grüneklee, der Anarchist. | |
| Zu Ende ging es mit dem Ladengeschäft allerdings aus profaneren Gründen. | |
| Bei Veranstaltungen war die Bude voll, Lesungen fanden statt, politische | |
| Vorträge. Von manchen Bekanntschaften, die im Laden entstanden, habe er | |
| erst viel später erfahren. Aber dann kam 2004 eine Baustelle, ein halbes | |
| Jahr lang wurde die Straße aufgerissen. „Danach kam der Laden nicht wieder | |
| richtig ins Laufen.“ Um nun vom Stadtzentrum nach Borgfeld zu gelangen, | |
| dauert es eine halbe Stunde. | |
| „Wir sind immer noch der Buchvertrieb mit dem umfassendsten anarchistischen | |
| Sortiment“, sagt Grüneklee. Die Website wurde vor ein paar Jahren noch mal | |
| neu gestaltet, eine Genossenschaft sollte geschaffen werden. Es wollte | |
| nicht klappen. Bücher verlegen will er weiterhin, einmal kommt noch ein | |
| Anares-Katalog in gedruckter Form, eine Bibliografie anarchistischer | |
| Bücher. Das ist dann der Abschied. | |
| 3 Jun 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.anares-buecher.de | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
| ## TAGS | |
| DDR | |
| Akademie der Künste Berlin | |
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