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# taz.de -- Neuer Film von Pedro Almodóvar: In der Luft über La Mancha
> Als Gesellschaftssatire kommt „Fliegende Liebende“, der neue Film von
> Pedro Almodóvar, 30 Jahre zu spät. Zum Ausgleich gibt's Krawallscherze.
Bild: Hochvital, versoffen und retro-schwul: die drei Stewards in „Fliegende …
Gesellschaftskritik durch Isolation: Man separiert einen Teil der
Gesellschaft vom großen Kontext, exponiert ihn so gnadenlos wie präparierte
Insekten. Das alte Narrenschiff-Motiv, das im Kino nicht zuletzt von Luis
Buñuel („Der Würgeengel“, „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“)
erfolgreich durch das Grenzgebiet zwischen Sarkasmus und Schadenfreude
getrieben wurde. Pedro Almodóvar hat sich für einen großen Airbus
entschieden, der von Madrid nach Mexiko fliegen soll.
In den 1980er Jahren – der gloriosen Phase der Movida – gab es in Madrid
das Fanzine El Canto de la Tripulación, zuständig für Psychobilly, Ausgehen
und sexuelle Befreiungen, herausgegeben u.a. von dem Künstler/Fotografen
Alberto García Alix.
Pedro Almodóvar, der kulturelle Botschafter dieses Madrid und ein Freund
von García Alix, hat vielleicht an diesen Zeitschriftentitel gedacht, als
er in den Mittelpunkt seines neuen Films die Besatzung eines Flugzeugs
gestellt hat: „tripulación“ heißt Besatzung.
Damals dachten sich die Macher dieses Fanzines, dass das endlose nächtliche
Ausgehen zwei Sorten von Menschen hervorbringt: reguläres Ausgehpublikum
und professionelle Ausgeher, die zwar mitfliegen, aber zugleich für
Sicherheit, Unterhaltung und Drogen sorgen. Bei den „Fliegenden Liebenden“
kredenzen die drei Flugbegleiter in der ersten Klasse etwa einen
vielversprechenden Meskalin-Cocktail namens „Agua de Valencia“, während das
Flugzeug der quietschbunt designten Airline „Península“ wegen eines Problem
mit seinem Fahrwerk über der iberischen Halbinsel kreist, statt wie geplant
nach Mexiko zu fliegen.
## Verschwenderischer Umgang mit Stars
Dieses Problem haben übrigens zwei von Penelope Cruz und Antonio Banderas
gespielte Figuren in einem Mini-Auftritt zu verantworten. Eindrucksvoll
verschwenderischer Umgang mit den Stars, soll man denken. Ohne dass man
mitkriegt, wann und warum genau, wurden alle Passagiere der Economy Class
sediert: sie verbleiben den Rest des Fluges in tiefen Schlummer, mit ihnen
die für sie zuständigen weiblichen Stewardessen.
In der ersten Klasse bemühen sich hingegen drei hochvitale, versoffene und
retro-schwule Stewards nach Kräften alle eigentlich vergessenen,
schwuchteligen Stereotype hyperventilierend zur Wiederaufführung zu bringen
(Stewards!). Das kann man als schwule Witze lesen, die das Recht am eigenen
Klischee einklagen, aber leider kippen sie dann in ihrem Konsens mit den
zugeschriebenen Klischees in Witze über Schwule, bei denen auch der
homophobe Strammtisch wiehert.
## Mit angewinkeltem Ellenbogen
Doch Almodóvar hat so etwas wie einen Plan. Der Plot der Komödie wirkt wie
ein Anlauf zu einer großen komischen Allegorie, die sich dann in die
Erzählung der Einzelschicksale verliert und darum in Krawallscherze mit
angewinkelten Ellenbogen retten muss. Die Passagiere der ersten Klasse
sollen Schlüsselfiguren einer korrupten und verlogenen spanischen
Gesellschaft sein:
Die Edelpuffmutter und Diva Norma (Cecilia Roth), der dubiose Banker Más
(José Luis Torrijo), der Macho-Schauspieler Ricardo Galan (Guillermo
Toledo) verfolgen ihre Verdunkelungen. Das Volk ist in seinem Schlaf von
Wahrheiten und Entscheidungsprozessen eh ausgeschlossen, und nur unsere
drei schrillen Stewards stehen zwischen und über den Dingen und haben einen
Einblick ins Ganze.
Ihre subversive Technik ist totale Offenheit, vor allem Chefsteward Joserra
(Javier Cámara) kann ganz programmatisch nach einem traumatischen Erlebnis
kein Geheimnis bewahren. Dabei wirken die drei aber immer so, als ständen
sie unter einem externen repressiven Hochdruck, der sie so schrill und auch
so subaltern wirken lässt - eben gerade nicht wie die souveränen Outsider,
die von außen beobachten.
Sei's drum, nun also Gossip als Waffe! Denn die Passagiere haben alle
Geheimnisse oder kennen welche, wie die Diva, die mit den 600 mächtigsten
Männern Spaniens geschlafen hat und nun „alles“ über sie weiß. Der König
redet beim Sex, wow, gefährlich für die Staatsräson! Ein mexikanischer
Killer ist deshalb auf sie angesetzt - ein rührender Bösewicht mit
Zappa-Bart (José Maria Yazpik), dessen Funktion nett darüber eingeführt
wird, dass er mit wissendem Gesichtsausdruck in „2666“ blättert, einem
Roman von Roberto Bolaño, in dem das Wesen des Bösen in Mexiko erkundet
wird.
## Alles wird veröffentlicht
Technisch wird die subversive Indiskretion durch ein öffentliches
Bord-Telefon unterstützt, das jedes Gespräch laut in die Kabine überträgt.
Die so entstehende totale Veröffentlichung von allem sorgt schließlich für
ein versöhnliches Ende, als wär's ein Drehbuch von Mark Zuckerberg, der
Alkohol tut ein Übriges, und zuletzt lösen die Liebe und der omnipräsente
Oralverkehr die Zungen.
Eigentümlich Diagnosen: wieso ist die Bevölkerung sediert, wo doch in
Spanien in den letzten Jahren mehr Widerstand zu beobachten war als in
nahezu allen anderen EU-Ländern? Und wieso wiederum ist ausgerechnet die
gezielte Indiskretion der Feind der herrschenden Klasse, die sich doch
schon lange nicht mehr durch irgendwelche Fickgeschichten und
Doppelmoralvorwürfe irritieren lässt - dafür bedürfte es ja einer Moral?
Indiskretion betrifft doch auch eher die große Mehrheit der Internet-User,
deren Daten kommerziell verwertet werden, nicht irgendwelche fremdgehenden
Bürger?
## Ein Spanien wie von vorgestern
Auch dass die lebensstilistisch unabhängige Tochter mit ihren
hochbourgeoisen Betrügerbankiers-Eltern so dramatisch brechen muss, weil
die Mutter so katholisch ist, wirkt nicht wie im heutigen Spanien
beobachtet. Und diese Art von endlosen, profunden Debatten darüber, ob
Männer oder Frauen besser blasen können, wurde zuletzt 1986 geführt.
Trotz einer also etwas ins Leere schießenden (oder nach hinten losgehenden)
Satire haben die „Fliegenden Liebenden“ auch sprühende Momente. Man kann
definitiv langweiligere Stunden im Kino verbringen, allerdings eignet sich
auch fast jeder andere Almodóvar-Film dafür besser, vor allem die älteren.
Besonders gelungen ist indes der Schluss, die Notlandung auf der Landebahn
der Investitionsruine des Flughafens La Mancha bei Ciudad Real, die nur auf
der Soundspur erzählt wird, während wir ein schick geschnittenes Panorama
mit Ansichten aus dem hell erleuchteten, komplett leeren Airport vorgeführt
bekommen. Dass es auf dem Schaumteppich anschließend wieder schlüpfrig
zugeht, wird niemanden überraschen.
## „Fliegende Liebende“, Regie: Pedro Almodóvar, mit Cecilia Roth, Javier
Cámara u. a., Spanien 2013, 90 Min.
4 Jul 2013
## AUTOREN
Diedrich Diederichsen
## TAGS
Spielfilm
Spanien
Südafrika
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