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# taz.de -- Sabine Lisicki vor Wimbledon-Finale: Fräulein Furchtlos
> Angst und Zweifel kennt sie nicht, Unsicherheiten lächelt sie weg. Sabine
> Lisicki steht in Wimbledon vor der Krönung ihrer Tennis-Karriere.
Bild: Sabine Lisicki freut sich nach ihrem Sieg über Agnieszka Radwanska.
WIMBLEDON taz | Als Sabine Lisicki am letzten Montag das Achtelfinal-Drama
gegen Serena Williams gewonnen hatte, entspann sich auf der Terrasse des
Spielerzentrums von Wimbledon ein denkwürdiger Dialog. Zwischen Lisicki,
der „lächelnden Attentäterin“ (The Guardian) und Barbara Rittner, der
deutschen Bundestrainerin.
Aufgepumpt mit Selbstbewusstsein nach dem Williams-Coup, sagte Lisicki zu
Rittner: „Der Centre Court ist jetzt wirklich mein Wohnzimmer, mein
Zuhause.“ Rittner schaute Lisicki danach mit einem milden Lächeln an, das
auch gewisse Zweifel an dieser forschen Einlassung verriet. Woraufhin
Lisicki zurück lächelte und sagte: „Naja, ich würde mir das Wohnzimmer auch
mit Roger Federer, Novak Djokovic oder Andy Murray teilen.“ Rumms, das saß.
Und zwar genau so wie die krachenden Asse und wuchtigen Siegtreffer, die
Lisicki nun schon seit zwei Wochen pausenlos zaubert. Zwei Jahre nach ihrem
wundersamen Durchmarsch bei den Offenen Englischen Meisterschaften, dem
energischen Einzug ins Halbfinale als Wild-Card-Starterin, ist sie nun
wieder das große Gesprächsthema in Wimbledon, in Deutschland und in der
ganzen Welt – die stärkste Story eines komplett verrückten Turniers mit
pausenlosen Überraschungseffekten.
Dort, wo große Tennis-Karrieren beginnen und ihre unzweifelhaften
Höhepunkte erreichen, kann „Bum Bum-Bine“ Lisicki an diesem Samstag in
ihrem ersten Grand-Slam-Finale tatsächlich zum großen Schlag ausholen.
Nur noch einen Sieg von der Unsterblichkeit ist die 23-jährige Berlinerin
jetzt entfernt. Dann, wenn sie gegen Frankreichs kapriziöse Marion Bartoli
auf den geliebten Centre Court marschiert. „Ich lebe hier meinen Traum. Den
Traum, den ich schon als Kind hatte. Den Traum, Wimbledon zu gewinnen“,
sagt Lisicki.
## „Sie gerät nicht ins Flattern“
Angst und Zweifel vor der letzten großen Herausforderung kennt sie nicht,
diese unerschrockene Fighterin, dieses Fräulein Furchtlos, das hier für die
spektakulären Momente zuständig war, etwa im Handstreich gegen die haushohe
Favoritin Williams. „Sie ist keine, die in so einer Situation ins Flattern
gerät“, sagt Trainervater Dr. Richard Lisicki. „Sie ist in all dem Trubel
so ruhig wie das Auge im Zentrum des Hurrikans.“
Wimbledon und die Deutschen – das ist seit den Zeiten des „17-jährigen
Leimeners“, des immer noch jüngsten Turnierchampions Boris Becker, und
seiner ewigen Weggefährtin Steffi Graf eine ganz besondere Beziehung.
Wimbledon ist auch und besonders in der Heimat der alten Großchampions ein
Markenzeichen im Sport, ein ikonenhafter Wettbewerb, ein Turnier, das eine
ganz außergewöhnliche Emotionalität und Bedeutung entfaltet.
Selbst wer sich nicht für Tennis interessiert, kennt Wimbledon. Und das
erklärt vielleicht auch die Begeisterungswelle, die nun wieder über die
Republik hereingebrochen ist. Und die sentimentalen Gefühle, die sich
ausbreiten mit Lisickis Siegesserie. „Es ist wie eine Zeitreise zurück in
die große deutsche Ära“, sagt Becker, in diesen Tagen als BBC-Kommentator
in Wimbledon beschäftigt, „und es gibt sicher auch Stolz auf diese
charmante junge Dame, die Deutschland hier so toll vertritt.“
Lisickis Verabredung mit der Ewigkeit steht am vorläufigen Ende einer
turbulenten Karriere, die wie so viele ihrer Spiele auf dem Centre Court
eine Achterbahnfahrt ist. Ob es überhaupt einmal zum Einstieg ins
professionelle Tourgeschäft reicht, ist keineswegs ausgemacht, als das
Abenteuer vor knapp 15 Jahren in einer kleinen Tennisschule in
Reichsdorf-Eckenhagen beginnt, 60 Kilometer von Köln entfernt.
Vater Lisicki, ein promovierter Sportwissenschaftler, der eigentlich wegen
besserer Karrierechancen nach Deutschland gekommen war, gibt seine
akademische Karriere jedenfalls zu diesem Zeitpunkt auf und widmet sich
ganz dem Training der Tochter. Aber das Geld ist knapp im Hause Lisicki, es
muss eisern gespart werden. Kreuz und quer gondeln die Lisickis, Vater
Richard, Mutter Elisabeth und Tochter Sabine, mit ihrem Wagen durch Europa,
zu immer neuen Jugendturnieren.
„Ich weiß noch genau, dass wir dieses Auto mit Kilometerstand 268.000
verkauft haben“, sagt Sabine Lisicki, „aber diese Zeit hat uns auch richtig
zusammen geschweißt. Es gab große Entbehrungen, aber das hat den Hunger auf
Siege nur größer gemacht.“
## Durchbruch kommt dank perfekter Vermarktung
Der Durchbruch kommt, als Vater Lisicki den Kontakt zum
Vermarktungsgiganten IMG findet, dem größten Player der Szene. Die
IMG-Leute suchen ständig das nächste neue Gesicht, den Superstar von
Morgen, die Champions der Zukunft. Der Deal bringt kein Geld, aber er spart
Ausbildungskosten. Sabine marschiert in die Akademie von Nick Bollettieri
in Bradenton (Florida), dem schillerndsten aller Trainer, bei dem
Tennis-Stars wie Andre Agassi, Jim Courier, Monica Seles oder Maria
Scharapowa die wichtigsten Lektionen erhielten und dann ihre
Ausnahmekarrieren in Angriff nahmen.
Bollettieri spürt rasch, dass er hier ein Talent hat, das „Starpotenzial“
mitbringt, „eine Spielerin mit dem gewissen Extra, die sich sofort von der
Masse abhebt.“ Um große Worte ist der ehemalige Fallschirmjäger mit der
sonnengegerbten Haut nie verlegen, und so sagt er über Lisicki: „Sie hat
die Gene eines Champions. Sie kann einmal die Nummer 1 werden.“
Es ist eine Attitüde, die abfärbt auf Lisicki, dieses amerikanische Prinzip
Think Big, die Haltung, bloß nicht kleinmütig, zweifelnd und verzagt zu
sein. Dieses konsequente Selbstbewusstsein, das die junge Deutsche später
auch auf den Centre Courts spazieren trägt. Und dieses strahlende Lächeln,
das fast nie aus ihrem Gesicht weicht und das Bollettieri ihr eingeimpft
hat: „Wenn du lächelst, bist du stark. Und denkst nicht ans Scheitern.“
Ihr Spiel wirkt wie ein Ausdruck dieses Lebensgefühls. Zupackend, schnell,
kraftvoll, dynamisch, forsch. Und als sie schon in jungen Jahren die
Siegschläge in Hochgeschwindigkeit ins Feld ihrer Gegnerinnen trommelt, ist
da eine Ahnung von etwas Großem. Mit 19 wird Lisicki in Wimbledon bereits
als „Erbin von Steffi Graf“ gefeiert, da hat sie 2009 erstmals das
Viertelfinale erreicht. Frau Graf und Fräulein Lisicki finden das nicht
sonderlich originell: „Lasst Sabine doch Sabine sein“, verkündet Graf.
## Im Rollstuhl vom Platz gefahren
Ihre Laufbahn erlebt auch schwere Rückschläge. Kleinere und größere
Verletzungsprobleme kommen, sie wird bei den US Open in New York nach einer
Knöchelverletzung mit einem Rollstuhl vom Platz gefahren und in Paris, bei
den French Open, mit einer Trage aus der Stierkampfarena weggebracht. Opfer
eines körperlichen Zusammenbruchs, angeblich wegen einer Glutenallergie.
Doch Wimbledon, das Turnier der Turniere, ist irgendwie immer gut zu ihr.
Zu der Spielerin, die sich sofort in die grünen Felder verliebt hat, schon
damals, als sie mit Vater und Mutter in Kinderzeiten zu Besuch war. „Ich
habe schon damals die besondere Atmosphäre gespürt, dieses ganz eigene
Flair. Ich sagte mir: Hier will ich einmal auf dem Centre Court stehen und
gewinnen.“
Lisicki-Tennis ist wie Becker-Tennis früher: eine große Show, ein
Nervenspiel, ein permanentes Drama. Und genau deshalb so erregend,
mitreißend und faszinierend. „Bei mir weiß man nie“, hat Becker einmal
gesagt, als er eines seiner irren Matches auf großer Grand-Slam-Bühne
gewonnen hatte. Und das gilt ohne Einschränkung auch für die junge Frau aus
Berlin, deren Auftritte nichts für Herzschwache sind. Sie verliert manchmal
Spiele, die sie schon klar gewonnen zu haben schien. Aber sie gewinnt noch
lieber und zum Glück auch häufiger Spiele, bei denen schon alles verloren
schien – so wie in Wimbledon gegen Serena Williams oder Agnieszka
Radwanska.
„Sie nimmt einen schon auf eine strapaziöse Reise mit“, sagt Rittner, die
Bundestrainerin. „Aber es ist eben auch großer Spaß, es ist Tennis, das man
lieben muss.“ Martina Navratilova, die neunmalige Wimbledon-Siegerin,
findet das auch: „Eins ist sicher: Kalt läßt Sabine keinen.“
Schon gar nicht im All England Club. Dort ist die strahlende Deutsche, die
von sich sagt, „Wimbledon macht einen anderen Menschen aus mir“, inzwischen
längst der große Darling des Turniers. „Keine Spielerin liebt Wimbledon
seit Boris Becker so wie Sabine“, sagt der Tenniskorrespondent der Times,
Neil Harman. „Und deshalb lieben die Fans sie auch, diese lächelnde
Siegerin.“ Schon vor dem Turnier, vor den ersten Ballwechseln, hatte
Lisicki so ein unbestimmt gutes Gefühl, „dass hier etwas Tolles möglich ist
für mich.“
Sie war gekommen, um lange zu bleiben, spielte dann tatsächlich das beste
Tennis ihres Lebens und steht nun vor der Krönung ihres sportlichen Weges.
„Ich habe nie den Glauben an mich verloren, nicht in all den Jahren seit
der Kindheit“, sagt Lisicki. „Und auch nicht in diesem Turnier.“
5 Jul 2013
## AUTOREN
Jörg Allmeroth
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