# taz.de -- Grundbesitz in Mecklenburg-Vorpommern: Öko-Junker im Herrenhaus | |
> Die touristische Nutzung der Herrenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern dient | |
> der Regionalentwicklung dieser einsamen Landschaft. | |
Bild: Alte Gemäuer meist am See gelegen, idyllische Landschaften, Ruhe. Hier d… | |
Du verhältst dich dominant wie ostelbischer Landadel“, schimpft Barbara, | |
als ich sie beim Fahren klar und bestimmt nach links einweise. Dann sind | |
wir hier ja richtig, in Mecklenburg-Vorpommern, dem Land der Gutshäuser und | |
Schlösser. Sie sind nicht sonderlich gut ausgeschildert, die meisten dieser | |
300 touristisch genutzten Herrengüter auf diesem flachen, menschenleeren | |
Land mit den immer noch grünen, unendlichen Weizenfeldern, den roten | |
Mohnblumen und den einsamen Alleenstraßen, die von Dorf zu Dorf führen. | |
Mehr als 2.000 herrschaftliche Wohnsitze sind in Mecklenburg zu finden, | |
1.080 stehen unter Denkmalschutz. Ein Drittel davon wird touristisch | |
genutzt – vom 5-Sterne-Hotel bis zur Heuherberge –, ein Drittel hält sich | |
gerade so, ein Drittel verfällt. | |
Über Kopfsteinpflaster rumpeln wir zum Gut Ludorf, das gleich neben einer | |
ungewöhnlichen Rundkirche liegt. Ludorf ist ein gutbürgerliches Hotel mit | |
20 Zimmern und einem großen Park, direkt an der Müritz gelegen. Manfred | |
Achtenhagen, der Besitzer, zugezogen aus Berlin, empfängt uns. Er ist | |
Vorsitzender des Vereins der Schlösser, Guts- und Herrenhäuser | |
Mecklenburg-Vorpommern e. V., ein Lobbyverband für die Vermarktung und | |
Vernetzung der Herrenhäuser. | |
„Ludorf ist ein typisches Gutsdorf“, erzählt er. „Nach dem Wüten des | |
Dreißigjährigen Krieges war es vorbei mit den Bauerndörfern. Die Dörfer, | |
die Sie jetzt finden, wurden immer um das Gut herumgebaut. Es waren | |
Wirtschaftsgebäude, Ställe, Unterkünfte für die Gutsarbeiter.“ | |
Mecklenburg-Vorpommern ist eine landwirtschaftlich geprägte | |
Kulturlandschaft mit großem Grundbesitz. Selbst die berühmten Mecklenburger | |
Alleen haben die Gutsherren angelegt, um ihre Anwesen zu verbinden. „Auch | |
heute steht und fällt so ein Dorf mit seinem Gutshaus.“ Wenn es saniert | |
wird, ziehe wieder Leben ein. Das habe die Landesregierung noch zu wenig | |
erkannt, beklagt Achtenhagen. | |
## Die LPG hatte hier die Großküche | |
Barbara beharrt darauf, dass dies sicher den alten „Zoni-Vorurteilen“ gegen | |
das Junkertum geschuldet sei. | |
Das Schicksal der Häuser nach 1945 ähnelt sich: Sie wurden enteignet, die | |
Eigentümer verjagt und, wo immer möglich, als erste Unterkunft für die | |
Flüchtlinge aus dem Osten genutzt. „Im Gut Ludorf haben damals über 100 | |
Leute gewohnt. Da musste man etwas Privatsphäre schaffen, also habe man die | |
Zimmer für Familien abgeteilt. „Der Not geschuldet, aber nicht zum Besten | |
des Hauses“, sagt Achtenhagen. | |
Ende der 1960er, Anfang der 70er Jahre gab es das sozialistische | |
Wohnungsbauprojekt auf dem Lande: „So sind die schönen Plattenbauten über | |
die Dörfer gekommen“, bedauert er. Das hatte zur Folge, dass die Menschen | |
dorthin und die üblichen Dorfeinrichtungen in die Herrenhäuser zogen. „Die | |
LPG hatte ihre Großküche hier drin, hier war der Kindergarten, die | |
Gaststätte, der Konsum, der Friseursalon. Betondecken wurden eingezogen. | |
Die haben wir wieder rausgerissen“, sagt Achtenhagen. | |
Der Verfall der Häuser begann nach der Wende, als es gar keine Nutzung mehr | |
gab, als die Leute fortzogen. Kinder schmissen die Scheiben ein, das Dach | |
wurde undicht, das Haus verfiel. „Diese Häuser haben immer von der Natur | |
gelebt. Früher im Sinne der Landwirtschaft und heute, wenn sie eine Chance | |
haben wollen, im Sinne von Naturtourismus. Wir setzen auf Gäste, die so ein | |
Haus akzeptieren. Das ist kein Businesshotel“, sagt der Hotelier | |
Achtenhagen. | |
## Venezianischer Palast auf der grünen Wiese | |
Barbara befürchtet nun, dass sie einen Spaziergang an die Müritz machen | |
muss. Wandern sei ein Kindheitstrauma, behauptet sie immer. | |
Doch wir fahren weiter zur „Mittsommer-Remise der nordischen Guts- und | |
Herrenhäuser“. Ein Tag der offenen Tür. Mitten im grünen Feld, über einen | |
Sandweg erreichen wir Rossewitz, einen alten venezianischen Stadtpalast, | |
ein barockes Ungetüm mitten im Nichts. Die Grundsanierung wurde ausgeführt, | |
das Dach gedeckt, die Treppen sind gesichert. Ein Bau aus Granit und | |
verputztem Backstein, mit Geheimtreppen, römischen Lüftungs- und | |
Heizungssystemen hinter bemalten Wänden, polierten Marmorhandläufen im | |
Treppenhaus, riesigen Kaminen und geschwungenem Stuck. | |
„Und drum herum nichts als arme Landarbeiter“, sagt Barbara. „Wozu der | |
ganze Pomp?“ | |
## Herrenmenschen im Herrenhaus | |
Weiter nach Zierstorf. Das einfache, muffig riechende Landhaus, in dem der | |
Afrikaforscher Paul Pogge geboren wurde, ist heute Museum. Paul Pogge | |
wollte den Afrikanern „die richtige Landwirtschaft beibringen“, erzählt der | |
Vorsitzende des Heimatmuseums. Afrikanische Skulpturen, Schmuck, alte | |
Zeitungsausschnitte über Paul Pogge, eine Fotoausstellung zur Sahelzone. | |
Barbara behauptet, die meisten Figuren bekäme man in Afrika auf jedem | |
x-beliebigen Tourismusmarkt. | |
Alles Bio auf dem Gut Klaber. Neue Fenster, neue Türen, ansonsten sieht das | |
Herrenhaus heruntergekommen aus. In einem Wohnwagen werden rohköstliche | |
Snacks angeboten, im Biogarten eine Führung mit Informationen zu effektiven | |
Mikroorganismen und Terra Preta. „Auf dem Gutshof Klaber haben sich seit | |
wenigen Jahren einige Kunsthandwerker zusammengefunden. Im ehemaligen | |
Pferdestall befindet sich die Schmiede sowie die Buchbinderei, die | |
Werkstatt eines Bildhauers und Steinmetzmeisters“, wird der Hof im | |
Flugblatt angekündigt. | |
„Es sind Herrenmenschen im Herrenhaus“, weiß Barbara. Sie hat recherchiert, | |
dass sich hier die Scholle verherrlichende, biogeläuterte, sich als | |
Artamanen-Enkel bezeichnende rechtsradikale Ökos angesiedelt haben. Die | |
braune Fratze als „freies Leben“ getarnt. Eine Szene, die sich in der | |
Region Güstrow, wo die NPD 13 Prozent der Stimmen hat, niederlässt. | |
Barbaras Freundin, Lehrerin in Güstrow, klage über die braune Ideologie: | |
über Nazisprüche der ansonsten wohlerzogenen Kinder aus den zugezogenen, | |
kinderreichen Familien. | |
Von den Öko-Nazis ins trendige Ambiente: Robert Uhde, Organisator der | |
Mittsommer-Remise, wohnt eigentlich in Rostock, betreibt eine Agentur für | |
Zeitgeistentwicklung und besitzt das Gut Vogelsang. „Hier in der Region hat | |
sich eine bunte Mischung angesiedelt“, sagt er. Dazu brauche man | |
Pioniergeist. Dass um Gut Klaber neue Rechte wohnen, habe er auch schon | |
gehört. Der junge, dynamische Uhde im schwarzen Outfit organisiert | |
Konzerte, Mode- und Kunstevents im Keller und dem großen Ballsaal in der | |
Beletage des Hauses. „Zum Beispiel feiern wir hier unser luxuriöses | |
barockes Tafelmahl“, sagt er. | |
## Partykeller mit einstürzenden Fußböden | |
Vogelsang ist nur grundsaniert. Das reiche erst einmal. „Die äußere Haut, | |
das Dach und die Treppen müssen gesichert sein. Das ist das Wichtigste“, | |
sagt Uhde. Der Verfall hat seine eigene Ästhetik. Im Partykeller stehen am | |
Rande von eingestürzten Fußböden weiße und schwarze Kunstledersofas mit | |
Kerzenleuchtern vor bröckelnden Mauern: ein morbides, trendiges Ambiente | |
für Grufties, Künstler, Partygänger. | |
Barbara diskutiert auf dem schwarzen Sofa bei Lübzer Bier mit Sebastian. Er | |
arbeitet in der Schweinemast vor Ort, die demnächst um 10.000 Tiere | |
erweitert werden soll. Seine Mutter ist auf dem Gut, damals einer LPG, groß | |
geworden und backt heute noch Kuchen für Events. Barbara meckert über | |
Schweinezuchtanlagen. Sebastian nickt, sagt aber nichts dazu. | |
Gut Gremmelin, etwa 20 Kilometer weiter, ein Tagungshotel am See: modern, | |
freundlich, bunt, weltoffen – ein biozertifiziertes Hotel mit wechselnden | |
Kunstausstellungen. Unweit der Autobahn, die man bei ungünstigem Wind auch | |
in dem großzügigen Park mit uralten Eichen hört. | |
Barbara behauptet, dass die Zimmer im Gutshaus an eine bessere | |
Jugendherberge erinnern. Nur weil sie schlicht, aber gut sind. Der Föhn | |
kann sie wieder versöhnen. | |
Unsere letzte Station ist Gut Linstow. Ein Hotel für Familien. Großer | |
Garten, der See gleich in der Nähe, Spielplatz. Es duftet nach Zimt und | |
Schokolade, nach selbst gebackenem Kuchen. Die Appartements im biologisch | |
renovierten Gutshaus sind geschmackvoll und individuell gestaltet. | |
Barbara vermisst den Fernseher. Das sei gewollt, sagt Thorsten Dietzel, der | |
aus Berlin hierhergezogene Besitzer. „Wir haben selbst drei Kinder, | |
Fernsehen und Handy stören die Kommunikation, auch unter den Gästen.“ | |
Barbara findet das zu pädagogisch. Trotzdem will sie auf ihrer nächsten | |
Radtour von Berlin nach Usedom, die hier vorbeiführt, wiederkommen. Wegen | |
der schönen Zimmer, dem guten Kuchen – und trotz der lästigen Stechmücken. | |
6 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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