# taz.de -- Der Sammelplatz an der Müritz: Wir wollten Kraniche gucken … | |
> Die Sache mit dem Glück oder wie man zur falschen Zeit am richtigen Ort | |
> sein kann: Eigentlich rasten an der Müritz im August riesige Scharen von | |
> Kranichen. | |
Bild: Kraniche auf der Durchreise in den Süden. | |
Im Garten der Kaffeerösterei im renovierten alten Kornspeicher am | |
Stadthafen von Neustrelitz erzählt uns Bert Balke von den Vögeln des | |
Glücks. Der Kranich gelte in Japan seit jeher als Zeichen für Langlebigkeit | |
und wird als Glücksbringer zu Hochzeiten, Geburten oder wichtigen Anlässen | |
verschenkt. Ein Symbol der Hoffnung. Auch beim Flug mit der Lufthansa. | |
Wir sitzen mit Blick auf den Zierker See bei strahlend blauem Himmel und | |
herbstlichen Farben. „Glück“, das ist auch ein Kernwort in Balkes | |
Marketingstrategie. Er ist der Geschäftsführer des Tourismusverbandes | |
Mecklenburg-Vorpommern. Hier an dem mecklenburgischen See finde man Ruhe, | |
Gelassenheit, Authentizität. „Das ist Glück“, sagt der hochgewachsene, | |
blonde Mittdreißiger Balke. | |
Wir suchen nicht wirklich das Glück, sondern Kraniche. Im August sammeln | |
sie sich auf den Feldern um die Müritz. Ungefähr 250.000 Kraniche ziehen | |
jährlich aus den Ländern rund um die Ostsee in ihre Winterquartiere nach | |
Frankreich, Spanien und Nordafrika. „Ein einmaliges Naturschauspiel“, sagt | |
Balke. Wir wollen es sehen. | |
Roman Vitt lebt mitten im Schutzgebiet des Weltnaturerbes in Serrahn. Er | |
hat sich hier im Nationalpark in dem Drei-Häuser-Weiler niedergelassen. Der | |
einstige Modefotograf aus Nordrhein-Westfalen fotografiert nun Tiere und | |
Botanik. Er führt Gäste wie uns durch den Wald und leitet Hobbyfotografen | |
an. | |
Vitt kennt jeden Pilz, zeigt uns Sonnentau, und die Vielfalt des sich | |
gerade regenerierenden Waldes. „Hat sich der ursprüngliche Laubwald wieder | |
durchgesetzt, nimmt er den Fichten das Licht weg“, sagt er. „Damit der Wald | |
sich vernichte: Fichte, Fichte, Fichte“ – das war jahrelang das Motto·hier | |
und fast überall in der Ex-DDR. | |
Akkurate Fichtenreihen überall, so eng gesetzt, dass die unteren Äste | |
absterben. Das ändert sich nun: Der alte Buchenwald gewinnt Terrain. Vitt | |
führt uns zu seiner Lieblingslichtung dicht am Moor. Ruheplatz der | |
Kraniche. Sein fotografisches Jagdrevier. Es dämmert bald, doch kein | |
Kranich – nirgends. | |
## Mehr als tausend Seen | |
Zwischen Hamburg, der Landeshauptstadt Schwerin, Rostock und Berlin | |
erstreckt sich ein blaugrüner Flickenteppich von über tausend Seen: Die | |
Auswahl reicht vom Tümpel mit versumpften Ufern zwischen umgestürzten | |
Bäumen bis zur Ferienhochburg Müritz im gleichnamigen Nationalpark. Es ist | |
das größte zusammenhängende Wasserrevier Mitteleuropas. | |
Während der letzten Eiszeit schabten Eis und Gletscher in dieser Region | |
Täler und Mulden aus, die sich später mit Wasser füllten. So entstanden die | |
Seen und im Zuge natürlicher Verlandung die zahlreichen Moore, die zu den | |
besonders gefährdeten Ökosystemen gehören. Die Gebiete um die Städte Waren, | |
Röbel, Neustrelitz und Plau am See bilden das Zentrum dieser | |
Großseenlandschaft. Diese sind durch Kanäle verbunden und lassen sich per | |
Boot hervorragend befahren. | |
Morgens um 5 Uhr 30 treffen wir auf dem Hausboot in Waren Robert Tremmel. | |
Der junge Mitarbeiter des Fremdenverkehrsamtes und Hausbootspezialist | |
schippert uns von Waren nach Röbel und erzählt vom „Glücksversprechen“ d… | |
Seenplatte. Hausboote kann hier jeder nach einer dreistündigen Einführung | |
ohne Führerschein fahren. | |
## Tuckernde Boote und Graureiher | |
Sie kreuzen überall – gelenkt von Schweizern, Vätern und Kegelklubs – | |
tuckernd über die Seen. Glutrote Sonne, stiller See, Graureiher. „,Am | |
Großen Schwerin, einer Halbinsel, die Röbel vorgelagert ist, ruhen häufig | |
die Kraniche“, behauptet Freizeitkapitän Tremmel. Die Sonne steht schon | |
hoch als wir dort ankommen. Die Kraniche sind ausgeflogen. | |
Kathrin Grumbach sitzt vor der renovierten, historischen Windmühle von | |
Röbel. Die resolute Mecklenburgerin engagiert sich bei den Grünen und im | |
Reiseservice ibena. Dort können auch Einzelreisende geführte Kranichtouren | |
buchen. „Unserem Team gehören Alte und Junge – auf jeden Fall Fans der | |
Müritzregion – an, die gern ihr Wissen preisgeben.“ | |
Die diplomierte Landwirtin organisiert seit 18 Jahren Naturtourismus. Der | |
Kranich sei das Hätschelkind der Gäste, ein Sympathieträger. „Durch | |
intensive Naturnutzung wird sein Lebensraum jedoch immer mehr | |
eingeschränkt“, sagt Grumbach. Dass hier an der Seenplatte so viele | |
Kraniche brüten, liege an der großflächigen Landwirtschaft, die es hier | |
immer gab. „Kraniche brauchen offene Landschaften.“ Leider würden heute | |
Kraniche überall als Ernteschädiger gejagt. | |
## Ein lohnender Rundblick | |
Kein Wunder also, dass sie Nahrungs- und Schlafplätze häufig wechseln und | |
wir sie nicht finden. Grumbach empfiehlt uns den Kirchturm der Marienkirche | |
zu besteigen, um das Einzugsgebiet der Kraniche zu sehen. Ein harter | |
Aufstieg, aber ein lohnender Rundblick auf alte Bootshäuser und Seen. | |
Endstation unserer Kranichsuche ist Mirow. Mit dem Bootsbesitzer aus | |
Dresden, seit 14 Jahren im Revier, trinken wir Bier beim Hafenmeister | |
Rick&Rick. „Kraniche?“ Der mecklenburgerfahrene Segler winkt ab. „Die gibt | |
es hier ohne Ende“. | |
Ein Glück, dass es die Kleinbahn von Mirow nach Neustrelitz gibt. Das | |
richtige Gefährt für Naturtouristen und die letzte Chance Kraniche zu | |
sehen. Dank des Protests der Bürgerinitiative „Pro Schiene“ blieb das | |
idyllische Bähnchen zwischen Mirow und Neustrelitz erhalten und wird nun | |
von der Potsdamer Eisenbahngesellschaft betrieben. Vorbei an Seen, Feldern, | |
Wiesen tuckern wir dahin. „Oft fliegen die Kraniche vor der Bahn her“, sagt | |
die junge Aushilfsschaffnerin Helene Damerow. Heute hätten wir wohl kein | |
Glück. | |
20 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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