# taz.de -- Kolumne: Immer bereit: Spätis kann man nie genug haben | |
> Die taz-Kolumnistin hat fast eine Affäre mit Johnny Depp. Im Spätkauf. | |
Bild: Wer mag am Telefon sein? Johnny Depp, verwirrt. | |
Es ist Sommer, ich bin multipel verknallt. Zum Beispiel in den | |
Spätverkaufsverkäufer Ecke Mühlen-/Florastraße. Wir führen seit Jahren eine | |
heimliche Bier-und-Brause-Romanze. „Hey! Wie geht es dir!“, ruft er jedes | |
Mal, wenn ich seinen Laden betrete. Sein Charme changiert so zwischen | |
Johnny Depp und Teddybär. „Gut“, sage ich, „wie geht es dir?“ – „J… | |
er und fährt sich durch die schwarzen Haare. Ich unterdrücke einen Seufzer | |
der Verzückung und frage: „Lange Nacht gehabt?“ – „Nee“, sagt er, �… | |
aus Versehen mein Handy kaputt gemacht.“ Er hält ein iPhone hoch, bei dem | |
die halbe Frontscheibe fehlt. „Muss mich irgendwie draufgesetzt haben.“ So | |
was Ähnliches hat er mir neulich schon erzählt, da hatte er sein Auto | |
kaputt gefahren. Vermutlich fehlte dem danach auch die halbe Frontscheibe. | |
Ich mag ihn. | |
In meiner schlimmsten Abschlussprüfungsphase vor einem Jahr hat er mir | |
immer Kinderriegel geschenkt. Nur für ihn hab ich damals noch das Haus | |
verlassen. Und für „Gösser Natur-Radler“ mit echtem Zitronensaft. Später | |
stand Onkel Klaus völlig verdattert vor der Flaschenkiste bei Tante Erna. | |
Onkel Klaus ist Wiener, und Gösser ist eine österreichische Brauerei, und | |
jetzt dachte Klaus, er hätte aus Versehen sein Leergut aus Wien in den | |
Koffer für Berlin gepackt. | |
Und dann, letzten Winter, war der Späti plötzlich geschlossen. „Wegen | |
Umbaus“, stand auf einem Banner an der Fassade, und „Hier entsteht eine | |
Bäckerei“. „So ein Schwachsinn!“, sagten wir. „Jetzt wird er Pleite | |
machen.“ In Pankow gibt es mehr Bäckereien als Kinderbedarfsläden. Und das | |
will was heißen! Spätis dagegen gibt es in der Florastraße nur drei, und | |
Spätis kann man schließlich nie genug haben. | |
## Omas wollen Pillen | |
Als ich vor neun Jahren nach Pankow gezogen bin, gab es nur die Tankstelle | |
für die Spätversorgung, das muss man sich mal vorstellen. Meine schwedische | |
Freundin Sabina schrieb seinerzeit in einem Aufsatz für ihren Deutschkurs: | |
„In Pankow wohnen viele Omas. Es gibt Bäcker und Apotheken. Omas wollen | |
Kuchen und Pillen.“ Bäcker und Apotheken gibt’s immer noch, aber die Omas | |
scheinen durch Kinder ersetzt worden zu sein. | |
Johnny Depp hat jetzt nahezu Kasinoöffnungszeiten, und das Sortiment reicht | |
von Frühstücksbrötchen bis Einschlafbier. „Lohnt sich das eigentlich für | |
euch?“, habe ich Johnny neulich gefragt, „Bäckerei hier in der Gegend?“ … | |
„Voll!“, sagt er, „Wir haben jetzt an normalen Tagen den Umsatz, den wir | |
früher an Feiertagen hatten. Jeden Tag kommen Leute und sagen: Hallo, wir | |
sind gerade frisch hergezogen. Oder sie fragen, wo hier Wohnungen zu | |
verkaufen sind.“ Ich staune: „Verkaufst du jetzt auch Wohnungen?“ – „… | |
sagt er und lacht, „das nicht. Ey, aber letztens kamen hier Touristen rein. | |
Rate, was die gesucht haben!“ – „Na!“ – „Das Brandenburger Tor.“ … | |
sage ich, „In Pankow?“ – „Ja“, sagt er, „in Mitte muss es auch eine | |
Mühlenstraße geben.“ – „Ach, komm, du verarschst mich.“ – „Nein, … | |
schwör!“ | |
„Der hat dich verarscht“, sagt Paul, als ich ihm die Geschichte erzähle. | |
Aber ich glaube, er ist nur ein bisschen eifersüchtig, weil Johnny Depp ihm | |
noch nie einen Kinderriegel geschenkt hat. Paul hat dafür eine Affäre mit | |
dem Falafelmann, der schenkt ihm immer Baklawa. | |
5 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
## TAGS | |
Hollywood | |
Wirtschaft | |
Ladenschlussgesetz | |
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