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# taz.de -- Protest gegen Asylbewerberheim: Pogromstimmung in Hellersdorf
> Im Osten Berlins eskaliert eine Info-Veranstaltung des Bezirks über ein
> neues Flüchtlingsheim. Die rechtsextreme NPD feuert die Anwohner an.
Bild: Geplante Notunterkunft für Flüchtlinge im ehem. Max-Reinhardt-Gymnasium…
BERLIN taz | Der Schulhof in Berlin-Hellersdorf ist bis auf den letzten
Stehplatz gefüllt. Rund 1.000 Menschen sind am Dienstagabend zur
Grundschule am Rosenhain gekommen, um gegen ein Asylbewerberheim zu
protestieren, das das Land in einer stillgelegten Nachbarschule einrichten
will. Der Bezirk hatte höchstens mit 400 Gästen gerechnet – und nicht mit
dieser Stimmung.
„Wer denkt an unsere Kinder?“ wütet eine Frau unter tosendem Applaus. Eine
andere sagt: „Ich muss morgens zur Arbeit, wenn es dunkel ist. Wer kümmert
sich um meine Sicherheit? Wer kommt dafür auf, wenn einer von denen mein
Auto klaut?“ Ein Mann fragt: „Welche legalen Möglichkeiten haben wir noch,
dieses Heim zu verhindern, bevor Mord und Totschlag kommen?“ Besonne
Stimmen sind selten.
Stattdessen schallen Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) sowie
Vertretern des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf, die zur
Informationsveranstaltung geladen hatten, Sprechchöre wie „Nein zum Heim“
und „Volksverräter“ entgegen. Angefeuert werden die Menschen von der
Berliner NPD, die sich unter die Gäste gemischt hat. Pogromstimmung ist
greifbar.
NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke kann unter Applaus ins Mikrofon rufen,
„wir sind selbstverständlich gegen das Heim“. Das Bezirksamt gewährte ihm
die Bühne ebenso wie zwei Frauen, die laut Rechtsextremismusexperten zum
Dunstkreis der NPD gehören. Sie geben sich als besorgte Anwohnerinnen aus,
die sich um das Wohl ihrer Kinder und Autos sorgen: wegen „denen, die da
kommen“.
## „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt“
Komoß mahnte zwar zu Beginn der Veranstaltung zu Besonnenheit und drohte
mit dem Hausrecht. Doch die Polizei, mit 200 Kräften vor Ort, hätte wohl
niemanden vom Schulhof begleiten können, ohne eine Massenschlägerei zu
riskieren.
„Sebastian Schmidtke und seine NPD heizen hier die Stimmung an, mich
erinnert das an Rostock-Lichtenhagen“, sagt Klaus-Jürgen Dahler,
Lokalpolitiker der Linkspartei, mit Blick auf das mehrere Tage währende
Pogrom im Jahr 1992 gegen vietnamesische Vertragsarbeiter.
Die Drohung, das von Flüchtlingen noch nicht bezogene Gebäude in
Hellersdorf ebenso anzuzünden wie damals das Heim in Rostock, steht konkret
im Raum: Mehrere Personen tragen am Dienstagabend T-Shirts mit dem Aufdruck
„22.-26. August 1992“ – dem Datum der Ausschreitungen in der Ostseestadt.
„Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt“, ruft ein T-Shirtträger immer
wieder.
Derzeit hat die Baustelle, in das Heim sollen Mitte des Monats die ersten
Asylsuchenden einziehen, keinen Polizeischutz. Auf Facebook, die Einträge
sind mittlerweile wieder gelöscht, wurden bereits Fotos von Bauarbeitern,
die vor Ort arbeiten, eingestellt – und mit Feuer gedroht.
## Die Ränder der weltoffenen Metropole
Es ist nicht der erste Protest in Berlin gegen eine neue Unterkunft für
Asylbewerber. Aber es ist das erste Mal, dass die NPD in der Diskussion die
Oberhand gewinnt. 30 Heime sind mittlerweile über die ganze Stadt verteilt.
Die meisten davon wurden in den letzten 12 Monaten errichtet. Denn nach
Berlin kamen im aktuellen Jahr bereits 70 Prozent mehr Flüchtlinge als im
gesamten Jahr 2012.
Egal, ob in gutbürgerlichen Bezirken im Westen oder in der Platte im Osten
in Hellersdorf – die Reaktionen der Anwohner, die sich zu Wort melden,
gehen alle in eine ähnliche Richtung: sie setzen Asylbewerber mit
Kriminalität, Lärm, Müll und „Überfremdung“ gleich und gründen
Kiezinitiativen gegen die neuen Nachbarn. In Reinickendorf im Westen der
Stadt wehren sich Anwohner beispielsweise per Anwalt dagegen, dass Kinder
von Asylbewerbern auf einem öffentlichen Spielplatz spielen. Berlin büßt an
seinen Rändern viel vom Ruf einer weltoffenen Metropole ein.
Dagegen meldete sich am Mittwoch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus
Wowereit (SPD) zu Wort: „Toleranz mit den Menschen, die von überall auf der
Welt zu uns kommen, ist die Grundlage unseres Gemeinwesens. Sie muss
täglich geschützt und auch verteidigt werden.“
10 Jul 2013
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Hellersdorf
Asylsuchende
NPD
Berlin
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