# taz.de -- Froome bei der Tour de France: Ecce homo! | |
> Kein Übermensch also, dieser Chris Froome. Seine immense Überlegenheit | |
> macht misstrauisch, bisher aber sprechen ihn Experten vom Dopingverdacht | |
> frei. | |
Bild: Fahrerfeld der Tour. An der Spitze: Chris Froome. | |
Chris Froome ist doch kein „Übermensch“. Das bewies er massenwirksam im | |
größten Freiluft-Radsportstadion der Welt. Just in einer der 21 Kehren des | |
Aufstieg nach L’Alpe d’Huez, die von etwa einer Million Menschen bevölkert, | |
von mehr als 2.000 Caravans eingerahmt und einem von den Wohnwageninsassen | |
seit Tagen produzierten Alkoholdunst überwölkt war, überkam den | |
Gesamtführenden der Tour de France ein Hungerast. | |
Deutlich streckte er den Arm heraus, um das Teamfahrzeug auf sich | |
aufmerksam zu machen. Wenig später bekam er vom Kollegen Richie Porte, der | |
sich folgsam zum Sky-Fahrzeug begeben hatte, ein Gel überreicht. Weil | |
Verpflegung aus dem Auto zu diesem Zeitpunkt verboten ist, erhielt Froome | |
später 20 Sekunden Zeitstrafe aufgebrummt. | |
Damit konfrontiert, ließ er den Winkeladvokaten heraushängen: „Es war ja | |
Richie Porte, der aus dem Teamfahrzeug verpflegt wurde. Ich habe es doch | |
nur von ihm erhalten.“ Nicht gerade eine souveräne Geste, alle Schuld auf | |
den Kumpel abladen zu wollen. | |
Froome hätte sich über die Bestrafung auch freuen dürfen. Sie ist eine | |
amtliche Beglaubigung einer momentanen physischen Schwäche und damit der | |
Beweis, dass er doch nicht „superhuman“ ist. So war er bis dato von vielen | |
wegen seiner Leistungen bei dieser Tour bezeichnet worden. Einem | |
Kampfroboter gleich, versetzte er in der ersten Hälfte der Schleife seiner | |
Konkurrenz drei K.-o.-Schläge in den Etappen, bei denen es drauf ankommt. | |
## Verdächtige Dominanz | |
Bei der ersten Bergetappe hinauf nach Ax-3 Domaines ließ er im Stile Lance | |
Armstrongs alle seine Konkurrenten stehen. Dann demütigte er beim flachen | |
Zeitfahren am Fuße des Mont-Saint-Michel seine Gegner im Kampf um das gelbe | |
Trikot und ließ nur dem Spezialisten in dieser Disziplin, Weltmeister Tony | |
Martin, einen hauchdünnen Vorsprung. Auf dem Mont Ventoux schließlich | |
gelang ihm das Kunststück, im gelben Trikot die Ziellinie als Erster zu | |
überqueren. Das war zuletzt 1970 Eddy Merckx geglückt. Der Belgier sagte | |
der taz dann auch: „Wenn er so weitermacht, kann er größer werden als ich.�… | |
Er schränkte freilich ein: „Aber dazu muss er erst einmal seine erste Tour | |
gewinnen.“ | |
Seine immense Überlegenheit ruft aber auch kritische Geister auf den Plan. | |
„Angesichts der Vergangenheit dieses Sports sind Verdächtigungen eine | |
logische Konsequenz“, musste selbst der Teamchef von Sky, Dave Brailsford, | |
eingestehen. Bei seinem Schützling Froome verblüfft, dass dieser sich nicht | |
nur im stilistischen, sondern auch im faktischen Vergleich in den | |
Leistungsregionen einstiger Doper tummelt. | |
Beim Aufstieg nach Ax-3 Domaines benötigte Froome 23 Minuten und 14 | |
Sekunden. Damit war er nur wenig langsamer als Armstrongs Bestzeit im Jahr | |
2001. Mit der vom französischen Leistungsdiagnostiker Antoine Vayer | |
errechneten Leistung von 446 Watt kam er der von Vayer selbst | |
publikumswirksam aufgestellten Schwelle des „mutierten Sports“ von 450 Watt | |
bedenklich nahe. | |
Am Mont Ventoux erreichte er vom 15,9 Kilometer vom Gipfel entfernten Ort | |
Saint-Estève bis zum Ziel eine Zeit von 48:35 Minuten. Damit blieb er nur | |
fünf Sekunden hinter Armstrong und unterbot den Marco Pantani des Jahres | |
2000. Leistungsmäßig war Froome mit errechneten 418 Watt sogar besser als | |
dieser, schrieb Vayer in Le Monde. Für ihn ist das „verdächtig“. | |
## Schnelle Werte | |
Just am Tag des Hungerastes fand Froome freilich prominente Entlastung. Das | |
Sportblatt L’Équipe bot ihren eigenen Experten, den | |
Trainingswissenschaftler Frédéric Grappe, auf. Er bekam – im Gegensatz zum | |
Kritiker Vayer – Leistungsdaten von Froome aus den letzten zwei Jahren zur | |
Verfügung gestellt. Das war zwar weniger Transparenz, als Sky-Teamchef | |
Brailsford auf der teilweise hitzigen Pressekonferenz am zweiten Ruhetag | |
der Tour de France versprochen hatte. Das Weniger fand immerhin aber | |
schneller statt. | |
Brailsford hatte der Weltantidopingagentur Wada nicht nur alle | |
Leistungsdaten Froomes, sondern auch Einblick in die individuellen Blut- | |
und Hormonwerte angeboten, die zurzeit unter die Aufsicht der UCI fallen. | |
Der schnell kontaktierte Grappe, als Angestellter beim Tourteam FDJeux auch | |
unkompliziert verfügbar, bescheinigte Froome „konsistente Leistungen“ und | |
sprach ihn vom Dopingverdacht frei. | |
Man mag sich in diesem Expertenstreit, der gleichzeitig ein Medienstreit | |
zwischen L’Équipe und Le Monde ist, nun auf die Seite des einen oder des | |
anderen stellen und Froome verurteilen oder ihn entlasten. Es bestehen aber | |
Zweifel, ob allein mit einer Leistungsmessung sichere Auskunft darüber | |
gegeben werden kann, ob ein Athlet dopt oder nicht. Der Frankfurter | |
Sportwissenschaftler Dennis Sandig warnt vor dem Ansatz, von Leistungsdaten | |
auf Vorgänge im Körper zu schließen – und damit Doping begründen oder | |
ausschließen – zu wollen. „Man muss die Physik von der Physiologie trennen. | |
Mich interessiert vor allem, was im Körper selbst passiert, und nicht, was | |
ich dann an Leistungsdaten messen kann“, sagte Sandig der taz. Seiner | |
Meinung nach wäre die Messung der Sauerstoffaufnahmefähigkeit eines | |
Organismus der bessere Weg. Aber ob man damit Doping belegen oder | |
ausschließen kann? | |
Der Kölner Sportwissenschaftler Christian Manunzio gibt zu bedenken: „Man | |
kann nicht einfach von einer Laborsituation auf das Rennen schließen, wo | |
der Druck der Konkurrenz und die Anfeuerungsrufe der Fans noch weitere | |
Leistung aus einem Athleten herauskitzeln können.“ Quantifizieren lässt | |
sich dieser Einfluss nicht. „Ihn völlig zu negieren würde bedeuten, die | |
Arbeit von Psychologen im Sport als nichtig anzusehen“, meinte Manunzio | |
gegenüber der taz. | |
## Warten auf den Nachweis | |
Weil Froomes überwältigende Leistung bei dieser Tour ziemlich genau mit den | |
Effekten des Antifettsuchtpräparats Aicar korreliert, bleibt einem nichts | |
anderes übrig, als auf einen sicheren Nachweistest dieses Medikaments zu | |
warten. Das jedenfalls schlug auch der Dopingexperte von L’Équipe, Damien | |
Ressiot, in seinem Kommentar zu Grappes Entlastungsbotschaft vor. | |
In allem Trubel um den „Überathleten“ Froome droht unterzugehen, dass diese | |
100. Tour de France zum ersten Mal seit Langem ihrem Ideal, eine Serie | |
herausragender Eintagesrennen zu sein, sehr nahe kam. Was Alberto Contador | |
und dessen Team Saxo Tinkoff boten, als sie Froome bergab und auch auf | |
Flachstrecken attackierten; wie Team Movistar den jungen Kletterer Nairo | |
Quintana bei dessen Tourdebüt mehrfach von der Sehne schnellen ließ; oder | |
wie Omega dem einstigen Übersprinter Mark Cavendish durch schlaues | |
Ausnutzen des Seitenwinds zu dessen bislang einzigem Etappensieg verhalf, | |
das ist tatsächlich wert, in die Geschichts- und Lehrbücher dieses Sports | |
einzugehen. | |
Relevant ist ebenso das Kapitel, das die deutschen Sprinter schrieben. | |
André Greipel erwies sich als Mark Cavendish ebenbürtig und holte einen | |
Etappensieg. Marcel Kittel stach die beiden mit drei Tageserfolgen deutlich | |
aus. „Er ist das kommende große Ding im Sprint“, gestand Rivale Cavendish | |
neidlos ein, nachdem ihn Kittel im Kopf-an-Kopf-Rennen in Tours bezwungen | |
hatte. Das „kommende große Ding“ könnte am Sonntag beim Abendrennen auf d… | |
Champs-Élysées den nächsten Akzent setzen. Hoffnung, damit einen Boom | |
auszulösen wie einst Jan Ullrich, haben die Sprinter nicht. Zu sehr ist die | |
Öffentlichkeit auf Superhelden fixiert. | |
20 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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