| # taz.de -- Jan Ullrich zum 40. Geburtstag: Ulle, der Verschwiegene | |
| > Jan Ullrich wird heute 40. Wäre das nicht endlich mal ein Anlass, alles | |
| > aus der dunklen Vergangenheit des Radsports auf den Tisch zu packen? | |
| Bild: Jan Ullrich, wie er in Erinnerung behalten werden will: 2005, auf dem Weg… | |
| Um die Hüfte rum ein wenig füllig, das schwarze Trikot zeigt vorne eine | |
| verräterische Beule, aber die Beine, die sehen gut aus, definiert und | |
| stark. Nicht ganz so wie vor zehn Jahren, aber immerhin. Und er lächelt | |
| zufrieden. Wer Jan Ullrichs Homepage aufruft, wird zwar auf 2014 | |
| vertröstet, aber man sieht ihn zumindest fotografisch im Sattel beim | |
| Ötztal-Marathon im August 2013. Heute wird der Mann, der als einziger | |
| Deutscher die Tour de France gewonnen hat, 40 Jahre alt. | |
| Angeblich ist das die Grenze, an der sich die Weisheit einstellen soll. Die | |
| hätte man ihm freilich eher gewünscht, aber vielleicht ist Ullrich ganz | |
| froh, ohne großen Trubel mit seiner Frau Sara und den drei Söhnen Max, | |
| Benno und Tobi auf der Schweizer Seite des Bodensees feiern zu können. Denn | |
| Rummel, den mochte er noch nie. Aber der war unausweichlich bei dem | |
| gewaltigen Erfolg, der am 15. Juli 1997 seinen Anfang nahm. | |
| Es war heiß in den Pyrenäen. Die Tour de France rollte auf die Bergankunft | |
| in Andorra-Arcalis zu. Es sollte der Tag werden, an dem ein 23-jähriger | |
| Jungstar namens Jan Ullrich endgültig vom großen Talent zum Superstar | |
| aufstieg. Eigentlich war Bjarne Riis Chef des Teams Telekom, der Sieger von | |
| 1996 trug die Nummer 1, sein Kronprinz die 8 auf dem Trikot. Ullrich nahm | |
| die Helferrolle an, aber Sportchef Walter Godefroot hatte auf den letzten | |
| sechs von 246 Kilometern erkannt, dass dem Dänen die Kraft ausgeht. Wild | |
| hupend preschte er an der Spitzengruppe vorbei nach vorne, setzte sein Auto | |
| neben Jan Ullrich und brüllte: „Der König ist tot. Schauen Sie sich nicht | |
| um und geben Sie alles.“ Wenn der Belgier nervös war, neigte er gerne etwas | |
| zum Blumigen und verwechselte Du und Sie – aber Ullrich verstand. | |
| Unwiderstehlich trat er an, fuhr die Gruppe von der Spitze weg auseinander | |
| und streifte sich kurze Zeit später in der Skistation zum ersten Mal in | |
| seiner noch jungen Karriere das Gelbe Trikot der Tour über seinen | |
| ausgemergelten Oberkörper. Zwölf Tage später fuhr er als einer der Jüngsten | |
| und als erster Deutscher im Siegertrikot über die Champs-Élysées in Paris. | |
| Zuhause klebten die Menschen vor dem Fernsehen wie sonst nur bei | |
| Länderspielen. | |
| ## Es wurden Fehler gemacht | |
| „Ulle“ trat eine mediale Lawine los, die der Radsport in Deutschland so | |
| noch nie erlebt hat. Die dreiwöchige Siegesfahrt des schweigsamen | |
| Rostockers sahen Millionen Menschen im Fernsehen, die ARD zeigte nicht nur | |
| alle Etappen, sondern abends nach der Tagesschau auch noch eine 15-minütige | |
| Sondersendung. Täglich. Der scheue Mann mit den Sommersprossen wurde | |
| anschließend durch alle Talkshows und auf alle Podien gezerrt. Für ihn war | |
| das härter als der Mont Ventoux bei 35 Grad, wohl fühlte sich der Radstar | |
| vor allem im Sattel oder vor einem gut gefüllten Teller mit einem Glas | |
| Rotwein dabei. Oder zwei. | |
| Auch das machte ihn so populär, Ullrich hatte Probleme mit dem Hüftgold wie | |
| Millionen andere auch. Als er im Dezember 1997 zum „Sportler des Jahres“ | |
| gewählt wurde, stand er da etwas verhuscht auf der Bühne und bekam | |
| minutenlang stehenden Applaus, was es so bei dieser alljährlichen Gala auch | |
| noch nicht gegeben hatte. Damals ahnte keiner, dass auch er nach den | |
| kriminellen Regeln seines Sports lebte. | |
| Jan Ullrich hat zwar bisher nur das gestanden, was durch die Faktenlage | |
| nicht mehr abzustreiten war. Er hatte Kontakt zum spanischen Blutpanscher | |
| Eufemiano Fuentes. Ein Gerichtsverfahren gegen sich hat Ullrich gegen | |
| Zahlung einer Geldsumme verhindert und lediglich eingeräumt, „Fehler | |
| gemacht“ zu haben. Auf eine umfassende, konkrete Beichte wartet man | |
| freilich heute noch. Seit 2009 kündigt er ein Buch an, das aber auch | |
| aktuell noch nicht in Sicht ist. | |
| In einem Interview mit der Bild am Sonntag sagte er im Jahr 2012: „Für mich | |
| ist das Thema (Dopingbeichte) erledigt. Ich habe lange gelitten. Ich habe | |
| lange bereut. Ich bin der Meinung, dass ich meine Strafe abgesessen habe. | |
| Ich wurde bis August 2013 gesperrt, seit 2005 wurden mir alle Titel | |
| aberkannt. Es war eine harte Strafe. Die größte Strafe war, dass es sich | |
| über Jahre hingezogen hat – aber da bin ich teilweise selbst schuld dran. | |
| Ich möchte die ganze Sache nicht wieder neu aufrollen. Ich fühle mich wohl, | |
| meine Familie auch. Meine Ansichten und alle Details könnte ich auch gar | |
| nicht erzählen, ohne viele andere mit reinzuziehen. Da bin ich aber nicht | |
| der Typ für.“ | |
| ## Den Blick nach vorn, nicht zurück | |
| Aber braucht es noch das große Geständnis? Es gibt keine Zweifel, dass er | |
| seinen Toursieg, das Olympiagold von Sydney, die beiden WM-Titel im | |
| Zeitfahren und die fünf zweiten Plätze bei der Grand Boucle zwischen 1996 | |
| und 2003 nach den Regeln des Jobs erreicht hat, natürlich eingerahmt von | |
| Mitsündern, was seinen Dauerspruch „Ich habe niemanden betrogen“, erklärt, | |
| aber nicht besser macht. | |
| Dass er nicht umfassend reinen Tisch gemacht hat, lag aber auch an seinem | |
| Umfeld. Zunächst verordnete ihm sein langjähriger Manager Wolfgang | |
| Strohband, ein Autohändler aus Hamburg, einen Maulkorb – wohl auch aus | |
| Furcht vor Regressforderungen der Sponsoren. Auch nach dem Wechsel zu Falk | |
| Nier, der im Sommer die Agentur von Charly Steeb in die Insolvenz getrieben | |
| haben soll, wurde es nicht besser. Jetzt berät ihn Ole Ternes, der sagt, | |
| dass Jan „lieber nach vorne blicken will“. Das könnte er sicher besser tun, | |
| wenn er einmal offen und ehrlich zurück geblickt hätte. | |
| So bleibt er das Schmuddelkind, obwohl Ullrich nach wie vor der einzige | |
| deutsche Toursieger ist. Allerdings einer, der seinen Erfolg nach | |
| menschlichem Ermessen mit Doping befördert haben muss, freilich in einem | |
| vergleichbaren Umfeld. Daneben war der Mann mit den Jahrhundertbeinen aber | |
| auch Opfer. Was kaum einer weiß: Ullrich war die Tour ein Graus, weil er | |
| das Land, die Sprache und den Rummel nicht mochte. Der Giro wäre ihm lieber | |
| gewesen, aber auch Sponsor Telekom ließ ihn in eine Rolle drücken, die er | |
| nicht spielen wollte. Nach 1997 hat man ihn trotzdem sportlich auf die Tour | |
| reduziert, mit Geld und Ansprüchen zugedeckt. Selbst die ARD überwies | |
| jährlich 195.000 Euro Gebührengelder an Ullrich, damit der nach den Etappen | |
| ein paar dürre Worte in die Mikros keuchte. Heute tun sie so, als wäre er | |
| tot. | |
| ## Gelbe Trikots im Keller | |
| An dieser Fixierung auf die Tour ist er zerbrochen – und am rasanten | |
| Abstieg 2006 vom gepamperten Helden zum bösen Buben. Alkohol, Burn-out, | |
| Depressionen – eine Zeit lang konnte er nicht mal mehr hobbymäßig Rad | |
| fahren. Nach einem Klinikaufenthalt hat er sich gefangen. Heute radelt er | |
| mit gut trainierten Freizeitradlern durch die Alpen. Und wenn es bergauf | |
| geht, könnte er auch noch mit 40 engagierte Amateure abhängen. Wenn er denn | |
| wollte. Seine Gelben Trikots von der Tour, die hat er auch noch. Allerdings | |
| in Kartons im Keller. | |
| Vielleicht kommt mit 40 ja doch noch die Einsicht, umfassend aufzuklären. | |
| Dann könnte er den Platz in der deutschen Sportgeschichte einnehmen, den er | |
| zumindest ein bisschen verdient hat. | |
| 2 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Löhle | |
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