# taz.de -- Die Wahrheit: Urlaub mit Tücken | |
> Nervenbelastung soll als neue Disziplin bei den Olympischen Spielen 2016 | |
> eingeführt werden. Der IOC-Präsident zeigt sich begeistert. | |
Bild: Urlaub mit der Familie ist schön. Aber der Weg dorthin kann schnell zur … | |
Der 18. Juli 2010 war ein harter Tag für Ute und Rüdiger Müller und ihre | |
drei Kinder Lukas, Leonie und Paola, denn die Reise von Schwäbisch Hall zur | |
Nordseeinsel Wangerooge stand unter keinem guten Stern. Der | |
Regional-Express nach Nürnberg hatte Verspätung, so dass sie den | |
Anschlusszug in Nürnberg verpassten, womit auch die reservierten Plätze | |
flötengegangen waren. | |
In dem ICE, der eine Stunde später nach Hannover fuhr, versagte die | |
Klimaanlage, im Intercity nach Oldenburg randalierte der vollzählig | |
versammelte Damen-Kegelverein „Die wilde Kuh“ aus Elisabethaußengroden, in | |
der sogenannten NordWestBahn nach Sande hatte irgendjemand die einzigen | |
noch freien Plätze mit Dosenbier bewässert, und infolge einer | |
Weichenstörung trat eine weitere Verspätung ein, was dazu führte, dass die | |
urlaubsreife Familie Müller in Harlesiel die letzte Fähre verpasste. | |
„Und das war noch längst nicht alles“, heißt es in einer Presseerklärung | |
des Elternpaars. „Wir hatten ja außer drei Rollkoffern und sechs | |
Reisetaschen auch noch unsere fünf Fahrräder dabei sowie das Körbchen mit | |
unseren leider an Durchfall erkrankten Katzen Dolly und Minka, und in | |
Hannover ist der eine Koffer auf der Rolltreppe umgekippt und aufgeplatzt, | |
und der halbe Inhalt hat sich über die Stufen ergossen – Salzstangen, | |
Unterwäsche, Sonnenmilch, Mikadostäbchen, Wachsmalkreide, Gummibärchen, | |
hartgekochte Eier, Tampons, Socken, Spielzeugautos, Puzzleteile …“ | |
Aber so, wie aus dem trübsten Sumpf der herrlichste Lotus sprießen kann, | |
erwuchs aus dem Desaster eine zukunftsträchtige Idee: Wie wäre es, fragten | |
sich Ute und Rüdiger Müller, als sie in Harlesiel vergeblich nach einer | |
Unterkunft suchten, wenn man die Nervenbelastung durch | |
Urlaubsreisestrapazen als Sportart etablierte? | |
Das Internationale Olympische Komitee reagierte hocherfreut auf diesen | |
unkonventionellen Vorschlag. In mehrjähriger Kleinarbeit ist daraus eine | |
neue olympische Disziplin hervorgegangen, die 2016 in Rio de Janeiro ihre | |
Bewährungsprobe bestehen soll: Jede Teilnehmernation wird einen Reisebus | |
entsenden, in dem jeweils sechzig Personen sitzen. | |
Die Busse werden auf der Aschenbahn eines Stadions drei Tage lang im | |
Schneckentempo ihre Runden drehen. Alle anderthalb Stunden müssen die Teams | |
ihre Busse nach einem per Losverfahren bestimmten Modus wechseln, wobei für | |
das Umsteigen nur jeweils fünf Minuten Zeit bleiben. Wer länger braucht, | |
scheidet aus. | |
Beim Umsteigen muss natürlich auch das Gepäck umgeladen werden (pro Person | |
ein Mountain-Bike, ein Surfboard, ein Meerschweinchenkäfig, drei große | |
Rollkoffer und sieben Paar Langlaufskier). Es ist erlaubt, die Insassen der | |
gegnerischen Busse über Außenlautsprecher mit grausiger Schlagermusik aus | |
dem eigenen Land zu beschallen. | |
Um die Nervenbelastung zu steigern, werden in unregelmäßigen Abständen | |
Baustellen auf der Strecke eröffnet, die den Verkehr lahmlegen, und es | |
versteht sich von selbst, dass die Ernährung der Passagiere unterwegs einer | |
strengen Kontrolle unterliegt: Verzehrt werden dürfen nur mürbe | |
Kartoffelchips mit Mayonnaise, sauer eingelegte Lakritzschnecken und warme | |
Coca-Cola. | |
Das Publikum kann die Geschehnisse in den Bussen unterdessen auf | |
Videotafeln verfolgen. Am Ende wird der Blutdruck der Sportler gemessen, | |
und das Team mit dem niedrigsten Mittelwert erringt die Goldmedaille. | |
„Das ist doch mal was anderes als der übliche Mist“, soll der IOC-Präside… | |
Jacques Rogge bei einem internen Vorbereitungstreffen gesagt haben. „Wer | |
will heutzutage schon noch Weitspringern und Hürdenläufern und Speerwerfern | |
zukucken? Alles ausgelutscht!“ | |
Kritische Stimmen verweisen auf die Gefahr, dass die klassischen Sportarten | |
einer „Eventkultur“ weichen müssten, wenn das Internationale Olympische | |
Komitee hier einknicke. An die Spitze der Gegenbewegung hat sich | |
überraschenderweise der ehemalige Verteidigungsminister und jetzige | |
Freizeitsportler Rudolf Scharping (SPD) gesetzt, den man ebenso als emsigen | |
Radfahrer wie als passionierte Wasserratte kennt. | |
In einem Protestschreiben an das IOC hat er angekündigt, das olympische | |
Feuer „persönlich auszupusten, wenn in dieser Frage nicht im Sinne aller | |
traditionsbewussten Sportfreunde Remedur geschaffen wird. Selbst wenn | |
Muhammad Ali die Fackel tragen sollte. Jetzt ist Powerplay angesagt!“ Wir | |
werden sehen. | |
2 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Henschel | |
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