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# taz.de -- Bildband über Urbanes Grün: Ein Leben im Commonismus
> Ein Bildband feiert die Erfindungen der postfordistischen Stadtbewohner:
> Commons, Gemeinschaftsgärten, offene Werkstätten – und überhaupt: Do it
> together!
Bild: Eine Idylle in entsättigten Farben. Die Zukunft liegt im Stadtgrün.
Selbst gehäkelte Ananas. Gelb, süß, bloß nicht saftig, sondern ziemlich
faserig. Dafür an bayrischen Bäumen zu finden, als Produkt der
Künstlerinnengruppe „Rausfrauen“. Hermine und Sissi, Studentinnen der
Theaterwissenschaften, bieten „Verstrickungen“ dar; sie treten mit
angeklebten Strickschnurrbärten oder als „Rausmeisterduo“ Hermann und Siggi
auf. Weibliche Handarbeit im Privaten, männliche Architektur im
öffentlichen Raum – mit dieser Asymmetrie wollen sie Schluss machen.
Den „Rausfrauen“ gilt eine der vielen Eintragungen in einem opulenten Buch,
das weder als Sachbuch noch als Bildband noch als Lexikon richtig
beschrieben ist. Zusammengestellt von den Autorinnen Andrea Baier, Christa
Müller und Karin Werner aus der Münchner Stiftungsgemeinschaft anstiftung &
ertomis und der Leipziger Fotografin Inga Kerber, ist es ein Hybridband,
ein Werkstattbuch, eine Projektschau, eine Zusammenstellung vorläufiger
Erkenntnisse und Erfindungen aus den neuen Labors des Commonismus.
Commonismus? Mal sehen, was das Glossar im Buch dazu sagt. „Commonismus“
ist (noch) nicht eingetragen, dafür aber werden die „Commons“ erklärt:
„Commons, Gemeingüter, Allmenden – all diese Begriffe bezeichnen den
kollektiven Versuch, den Marktliberalismus und die damit verbundene
Handlungsrationalität des Homo oeconomicus zu dezentrieren und durch
demokratische Praxen in Gesellschaft und Ökonomie zu konterkarieren.
Ressourcen werden gemeinsam bewirtschaftet, öffentliche Flächen für
gemeinwohlorientierte Nutzungen reklamiert, Wissen kostenfrei zur Verfügung
gestellt.“ Die urbanen Do-it-yourself-Projekte seien „Teil dieser neuen
weltweiten Strömung des Commoning und versehen es mit eigenen Akzenten. Die
Stadt der Commonisten entsteht in und zwischen ihren Aktivitäten.“
## Unfertig, statt dogmatisch
„Do it yourself“ ist dabei eigentlich nicht ganz richtig, denn es geht, wie
das Buch selbst präzisiert, um das neue „Do it together“. Um urbane
Gemeinschaftsgärten wie das „Querbeet“ in Leipzig oder das „Gartendeck�…
einem Tiefgaragendach in der Großen Freiheit in Hamburg-St.Pauli; um offene
Werkstätten, FabLabs und Repair-Cafés wie die „Dingfabrik“ in Köln oder …
„Haus der Eigenarbeit“ in München, in denen „gebaustelt“ wird als
Zwischending von basteln und bauen. Und, ganz generell, um die
Wiederaneignung von Räumen, Möglichkeiten und Fähigkeiten, die die strikt
arbeitsteilige fordistische Fließbandgesellschaft ihren Untertanen entzogen
hat.
Drei erfrischende Unterschiede zum Kommunismus von anno dunnemals fallen
den Betrachtenden ins Auge: Erstens feiert die Bewegung das Unfertige,
statt Dogmen in Stein zu meißeln. Zweitens lebt sie Commonismus im Alltag,
anstatt ihn auf den Sieg des Proletariats am St. Nimmerleinstag zu
verschieben.
Und drittens sind Teilen, Tauschen und ökologische Schonung von Ressourcen
in der „Stadt der Commonisten“ genauso selbstverständlich wie das kreative
„Upcycling“. Bei der „Schrottregatta“ innerhalb des „Recycled Creativ…
Festivals“ 2012 in Berlin etwa war Sieger, wer das wildeste Wasserfahrzeug
aus Müll und Schrott zusammensetzte.
„Brachflächen“ ist ein anderer nicht unwichtiger Begriff aus der
commonistischen Praxis, geht es doch um „Möglichkeitsräume“, die selbst
verwaltet und kreativ umgestaltet werden. Welche starke internationale
Ausstrahlung derartige Projekte haben können, zeigt der Berliner
Prinzessinnengarten, der nach dem Beispiel der kubanischen
Nachbarschaftsgärten auf einer ehemals vermüllten Brachfläche in Kreuzberg
entstand.
Auf einem der unzähligen Fotos im Buch stehen vor den Kreuzberger
Gemüsekisten seriös beschlipste Bürgermeister aus Cincinnati (Ohio),
Greenville (South Carolina), Portland (Maine), Rochester Hills (Michigan)
und Savannah (Georgia).
Ein wunderschöner Fotoband, der in Form und Inhalt einschließlich seiner
Bildsprache das Improvisieren und Ausprobieren widerspiegelt, zum Vor-,
Mit- und Nachmachen einlädt. Allerdings imitiert er auch die
Unübersichtlichkeit der commonistischen Bewegung.
Einen Eintrag wiederzufinden oder ein Foto zu identifizieren ist nicht
leicht. Bildbeschreibungen finden sich mal zwischen den Kapiteln, mal im
Anhang, und im Glossar kommt „Reissack“ vor „Rausfrauen“. Wollten die
Autorinnen auch das Alphabet kreativ umgestalten?
3 Aug 2013
## AUTOREN
Ute Scheub
## TAGS
Bildband
Plastiktüten
Großstadt
Fahrrad
Grüne
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